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Epos im Weltall "Starfield" bricht mit Rollenspielklischees

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"Houston, ich habe keine Ahnung, wo ich bin."

"Houston, ich habe keine Ahnung, wo ich bin."

(Foto: Bethesda/Screenshot)

Das Studio Bethesda steht für epochale Rollenspielkost, für Abenteuer, in denen die Spieler selbst entscheiden können, wer sie sein wollen und was sie tun. "Starfield" weitet das Erlebnis auf mehrere Sonnensysteme aus. Rund 1000 Planeten stehen zur Erkundung frei. Doch nicht nur die Masse überzeugt.

Was für ein Akt. Bereits seit den 1990er-Jahren will Bethesda den Weltraum erschließen. Das Studio kaufte Lizenzen, etwa für Star Trek, werkelte, verwarf, orientierte sich neu. Ein Spiel kam 1994 zwar zustande, ein durchwachsener Shooter, doch der hätte lieber in Bethesdas Orbit verglühen sollen. Noch im selben Jahr erschien der erste Teil der "Elder Scrolls"-Reihe, ein Epos, das Spielern enorme Freiheiten gab – nur eben in einer mittelalterlich anmutenden Fantasywelt. Schlösser statt Raumstationen, Orks statt Aliens, Bögen statt Laserpistolen. Nun, knapp 20 Jahre später, ist Bethesdas erstes Sci-Fi-Rollenspiel da: "Starfield". Und das Warten hat sich gelohnt.

"Starfield" ist ein besonderes Spiel. Dabei erweckt es gerade zu Beginn den Eindruck, dass Bethesda formelhaft bleibt. Wie in "Elder Scrolls" und "Fallout" steht ein namenloser Protagonist im Mittelpunkt der Geschichte; wie in "Elder Scrolls" und "Fallout" können ihn Spieler im Editor via Regler nach eigenen Ansprüchen formen; und wie in "Elder Scrolls" und "Fallout" schmeißt ihn Bethesda in eine besonders ungemütliche Ecke der Spielwelt.

Die Planeten sind häufig karg. Ein paar Kleinigkeiten gibt es dennoch zu entdecken.

Die Planeten sind häufig karg. Ein paar Kleinigkeiten gibt es dennoch zu entdecken.

(Foto: Bethesda/Screenshot)

Gefängniszelle, Schafott, Kühlkapsel, Bunker, waren es bereits, diesmal ist es ein Bergbau im tiefsten Nirgendwo des Weltalls. Zischende Laser, polternde Gesteinsbrocken, ächzende Arbeiter. Es ist dunkel, feucht, muffig. Wer das Studio kennt, weiß, dass es so nicht bleibt. Der Protagonist stößt bei Schürfarbeiten auf ein Artefakt und soll fortan als Weltraumabenteurer nach weiteren suchen. Eine Figur im Geiste Perry Rhodans.

Viel zu sehen

Mehr als 1000 Planeten können Spieler dabei erkunden. Die meisten von ihnen bieten zwar lediglich kahle, öde Landschaften, doch andere wiederum großartige Städte, mal durchsetzt von Monumentalbauten aus Glas und Beton, mal von Schrottbaracken gehüllt in schrille Neonlichter, mal von rostigen Stahlhütten gepfercht in gewaltige Fabrikgebäude auf der Oberfläche lebensfeindlicher Planeten. Überall lebt die Bevölkerung nach anderen Regeln, klagt über andere Probleme, alles atmet, alles lebt. In dieser vielseitigen Welt können Spieler sich von der Hauptgeschichte lösen, sich einer der vielen Fraktionen anschließen, Soldaten und Industriespione werden.

Wie sich die Spielfigur durch die Welt bewegt, ob sie sich durch Konversationen silberzüngelt, Verhandlungen via Abzug torpediert, schleicht oder schießt, spricht oder schlägt, ist einem überlassen. Hier greift die rollenspieltypische Individualisierung, das Entwickeln einer Identität, durch freie Handlungsmöglichkeiten - und eben einen Fähigkeitsbaum.

Dessen Verästelungen passen sich der Spielweise an. Spieler sammeln mit der Zeit Skillpunkte, die sie jedoch nur in entsprechende Fähigkeiten investieren können, wenn sie zuvor Herausforderungen bestanden haben: "Überzeuge x Charaktere", "töte x Feinde", "verkaufe x Gegenstände". Schöne Idee, wenngleich natürlich das "einzigartige" Spielerlebnis eher homöopathisch ist, Fähigkeitsbaum und Geschichte haben eben ihre Grenzen. Jeder kann alles in einem Durchgang mitnehmen, Entscheidungen haben so gut wie nie Konsequenzen.

Die Städte in "Starfield" sind schwer beeindruckend.

Die Städte in "Starfield" sind schwer beeindruckend.

(Foto: Bethesda/Screenshot)

Im Gegensatz zu den meisten Rollenspielen nimmt "Starfield" die Hauptfigur nicht so wichtig und das ist die wohl größte Stärke des Titels. Überall tauchen Leute auf, die auf die eigene Austauschbarkeit hinweisen. Verlässt der Protagonist die Minenarbeiter, wird sein Platz neu besetzt; nimmt er einen neuen Job an, taucht plötzlich der Vorgänger auf, erschüttert über seine Kündigung. Nicht mal die Interaktion mit den Artefakten – bei Berührung folgen Visionen – ist eine Fähigkeit, die nur der Hauptfigur vorbehalten ist. Es ist ein Bruch mit der immer selben Geschichte, die ein Großteil der Videospiele erzählen: Held fängt klein an, entpuppt sich als Auserwählter und bezwingt das Böse. "Starfield" lässt das, konzentriert sich hingegen voll aufs Herrscher-Knecht-Verhältnis.

Ja, Chef!

Was der Protagonist auch macht, er muss sich stets unterwerfen, steht er nun in obersten Etagen schillernder Wolkenkratzer oder taucht im düstersten Sumpf aus Kriminalität am Rande der Gesellschaft. Immer ist da jemand, der ihm die Befehle erteilt, ihn rumschubst, ihn aber auch bezahlt. Via Dialogoption können sich Spieler wehren, das bringt aber nichts. Einem Aufstieg sind Grenzen gesetzt, die Sitze in den Führungsetagen sind über Generationen mit einigen wenigen Ärschen verwachsen. Sie loszureißen, unmöglich. Doch in der Welt rumort es.

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"Starfield" lässt seinen Blick nicht von denjenigen, die den Wohlstand einiger weniger erarbeiteten. Die anfängliche Mine zeigt, woher der Großteil der Rohstoffe stammt, die wiederum in gewaltigen Fabriken zu Raumschiffen und Waffen geformt werden. Überall Arbeiter. Und die sind geladen: Sie meckern über Lohnkürzungen, über Extraarbeit, über wohlfeile Motivationssprüche vonseiten gehässiger Aufseher. Das alles findet sich in Gesprächsfetzen, die der Protagonist auf seinen Wegen aufschnappt. Die Menschen werden zur Profitlogik gezwungen, weigern sich aber, das dauerhaft zu akzeptieren. Sie proben den Aufstand, wissen aber auch um ihre Ersetzbarkeit.

Nicht die Hauptfigur steht im Zentrum des Geschehens, nicht der Spieler, vielmehr ist es die Gesellschaft. Sich von dem Gedanken zu lösen, Nebenfiguren als Füllmasse für die Spielwelt zu nutzen oder als Mittel, die Hauptfigur gut aussehen zu lassen, tat Bethesdas erstem richtigen Ausflug ins Weltall nicht nur gut, es macht ihn herausragend. "Starfield" ist nicht perfekt, hat spielerische Schwächen, etwa, dass Spieler Planeten nicht selbst ansteuern, sich stattdessen durch eine hübschere Excel-Tabelle klicken, aber auch technische, beispielsweise asynchrone Lippenbewegungen, KI-Aussetzer, Grafikfehler, stattdessen zeigt es eine Kritik an ein ökonomisches System, die nicht nur in dem Spiel greift. Und dafür müssen die Spieler lediglich zuhören.

Quelle: ntv.de

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