Wirtschaft

Autojahr 2021 und die Folgen "Daimler wird zum Übernahmekandidaten"

110455325.jpg

Daimler ein Übernahmekandidat? Für Autoexperte Helmut Becker ist das durchaus denkbar.

(Foto: picture alliance/dpa)

Corona-Krise, Chipmangel, Probleme mit den Lieferketten: Das Autojahr 2021 hat es in sich. Aber wie stehen die Zeichen für 2022? Warum ist Tesla ein möglicher Verlierer? Welche Rolle spielt die Politik? Und was macht China? Autoexperte Helmut Becker liefert die Antworten im ntv.de-Interview.

ntv.de: Herr Becker, gerade zum Jahresende ging es in der Automobilindustrie noch einmal hoch her, so stand VW-Chef Herbert Diess etwa vor dem Aus. Was hat Sie in diesem Autojahr noch bewegt?

Helmut Becker: Als Volkswirt und Automann haben mich drei Dinge in diesem Jahr beschäftigt: Zum einen positiv, dass trotz des drastischen Einbruchs in der Autoproduktion Massenentlassungen in der Branche ausgeblieben sind. Hier haben intelligente Betriebsvereinbarungen wie Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Großartiges geleistet. Zum anderen negativ, dass es trotz des Überflusses an Industrieprodukten auch im 21. Jahrhundert noch zu so einem folgenreichen Mangel wie an Speicherchips kommen kann, der die halbe Weltautomobilproduktion lahmlegt.

Und mit Blick auf die Autobauer selbst?

Ganz klar: die Zerschlagung des Daimler-Konzerns in drei Teile. Und das Schlimme dabei: Niemand hat sich darüber aufgeregt - auch im "Ländle" nicht. Die Machtposition des alten Konzerns ist damit dahin, die Einzelteile des Konzerns sind für Investoren verdaulicher geworden. Daimler wird zum Übernahmekandidaten.

Was sagen denn die nackten Verkaufszahlen? Wie haben sich die Auto-Absatzmärkte 2021 ganz allgemein entwickelt?

Alle globalen Märkte haben im Frühjahr einen fulminanten Start hingelegt und fuhren wie erwartet mit Vollgas - nicht mit Starkstrom - im Gleichschritt aus der Krise. Dann kamen Corona und die Chipkrise zurück. Die Talfahrt der Märkte setzte im Herbst ein. Absatzrückgänge von bis zu 30 Prozent waren die Folge. Insgesamt war 2021 aber trotzdem ein gutes Automobiljahr, das Tal aus 2020 wurde verlassen, der erhoffte Boom allerdings blieb aus. Was die Jahresergebnisse bei den Zulassungen anbelangt, so rechne ich für 2021 im Groben damit, dass in China etwa 21 Millionen Neuwagen verkauft werden, das entspricht einem Plus von gerade mal rund einem Prozent. Sowie in den USA knapp 15 Millionen Fahrzeuge, was nahezu keine Veränderung zum Vorjahr darstellt. Etwa zwölf Millionen Einheiten werden es in Europa sein, das ist ein Rückgang von rund vier Prozent. Das zeigt: Auch in der Krise ist China das Maß aller Dinge.

Deutliche Absatzrückgänge also - wie schlägt sich diese Entwicklung in den Produktionszahlen nieder?

Die globale Pkw-Produktion dürfte nach 55,8 Millionen 2020 auf unter 50 Millionen und damit auf das Niveau von 2005 abrutschen. Nur zum Vergleich: 2017 lag sie noch bei 73,5 Millionen.

Sie sprachen es bereits an: China ist bei den Verkaufszahlen das Maß der Dinge. Daran dürfte sich auch im kommenden Jahr nichts ändern. Aber kann der dortige Markt wieder an Stärke und Dynamik gewinnen, sprich wachsen?

Das wird er mit Sicherheit. China steht heute bereits für mehr als ein Drittel des Weltmarktes. Der chinesische Markt ist trotz aller aktuellen Probleme vom Trend her nach wie vor ein Wachstumsmarkt, allerdings künftig mit abnehmenden Zuwachsraten. Kein Wunder: Hatte vor 30 Jahren fast jeder Chinese ein Fahrrad, aber kein Auto, so kann inzwischen die gesamte chinesische Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen in der heimischen Pkw-Flotte Platz nehmen - wenn man ein bisschen zusammenrückt. In Deutschland hat man dafür fast ein ganzes Jahrhundert gebraucht.

Apropos Deutschland: Für die heimischen Hersteller ist ein starkes China-Geschäft fast schon überlebenswichtig: Was erwarten Sie von BMW, Daimler, VW und Co. 2022 im Reich der Mitte?

Zunächst dürften bei allen dreien - BMW, Daimler und Volkswagen - eher eine Konsolidierung im Vordergrund stehen. Bei Volkswagen steht etwa ein erneuter Personalwechsel an der Führungsspitze an, ein erkennbar hausgemachtes Problem. Bei anhaltender Marktschwäche drohen dann auch Marktanteilsverluste.

Wie könnte sich die Lage für die deutschen Hersteller ganz allgemein entwickeln?

Ich schließe mich da Friedrich Schiller an: "Nichts Genaues lässt sich von der Zukunft wissen!" Aber was feststeht, ist: Alles hängt von der Chip-Versorgung der Produktion ab - nicht von der Nachfrage. Diese ist da und hoch. Bei einer schrittweisen Besserung sollte die Branche das Mengengerüst von 2020 wieder erreichen, ab Herbst 2022 sogar deutlich überschreiten.

Der Konkurrenzdruck bleibt also hoch: Rechnen Sie mit Firmenpleiten unter den Autobauern? Oder mit weiteren Fusionen?

Nein. Bei den heutigen bekannten globalen Playern rechne ich nicht mit Pleiten oder weiteren Fusionen. Allenfalls wird Daimler von seinen automobilen Großaktionären Geely oder BAICA übernommen, der Knowhow-Transfer nach China ist beim Elektro-Smart bereits voll im Gange.

Welche Hersteller sind für die Zukunft besonders gut aufgestellt?

Aus meiner Sicht sind es diejenigen, die das eine tun, aber das andere nicht lassen. Das heißt: Es sind die Unternehmen, die sowohl in der Verbrennertechnologie als auch im E-Bereich auf Batteriebasis unterwegs sind. Es sind die Hersteller, die Elektromobilität als Teil- und Zwischenlösung sehen, den Verbrennermotor aber gleichzeitig im Portfolio behalten und weiterentwickeln. Um konkrete Namen zu nennen: BMW Toyota und Hyundai gehören mit Sicherheit zu den Gewinnern.

Wer hat Sie im abgelaufenen Jahr besonders überzeugt?

Das wird Sie jetzt wundern, ist aber so: Tesla. Das Unternehmen konnte gegen den Markttrend weiter auf über 500.000 verkaufte Autos zulegen, ist also seiner Pionierrolle im Elektromarkt weiter voll gerecht geworden. Das war aber nur möglich, weil vor allem die deutschen Premiumhersteller und VW mit voll wettbewerbsfähigen Elektroautos, die Tesla Paroli bieten können, erst so richtig von 2022/2023 an sukzessive in den Markt stoßen. Die zunehmende Konkurrenz sollte dem Branchenpionier mehr und mehr zusetzen.

Wer hat Sie positiv, wer negativ überrascht?

Positiv überrascht? Eindeutig die Bundesregierung und deren kluge Arbeits- und Sozialpolitik. Dass die deutsche Automobilindustrie auch 2021 trotz neuerlicher massiver Produktionseinbrüche von zeitweise 30 Prozent kaum Mitarbeiter entlassen musste, hingt ausschließlich mit der weitsichtigen und sozialen Kurzarbeit-Gesetzgebung zusammen.

Und negativ?

Negativ in meinen Augen: Das Bundesumweltministerium, das mit hartnäckiger Konstanz bis zuletzt an der einseitigen Favorisierung des Batterie-Elektroantriebs als nur CO2-akzeptabel festgehalten hat. Und das, obwohl inzwischen vielfach wissenschaftlich nachgewiesen wurde, dass das nur bei Einsatz von grünem Strom der Fall ist - den Deutschland aber nicht ausreichend hat.

Welcher Konzern könnte dem Autojahr 2022 seinen Stempel aufdrücken?

Das ist schwer zu sagen. Von der kommenden Markterholung profitieren zunächst einmal alle. Vielleicht gibt es neue Meldungen von Tesla, die Fabrikeröffnung in Grünheide ist ja überfällig.

Was erwarten Sie vom Autojahr 2022? Wird es ein richtungsweisendes Jahr?

Mehr zum Thema

Ja, in jedem Fall. 2022 müssen in der Politik die Weichen für synthetische Treibstoffe als klimaneutrale Alternative gestellt werden. Damit endlich die Investitionen dafür rechtlich abgesichert sind und die Transportketten und Elektrolyse-Fabriken gebaut werden können.

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen