Energieträger der Herzen Die Kohle der Deutschen
29.09.2010, 15:00 UhrIm Streit um das neue Energiekonzept der Bundesregierung gerät eine Tatsache leicht in Vergessenheit: Steinkohle spielt für Industrie und Energieerzeuger nach wie vor eine tragende Rolle. Ein Überblick.

Schlummert seit Jahrmillionen im Erdboden: Steinkohle zählt zu den fossilen Energiequellen.
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Deutschland braucht Energie: 82 Millionen Menschen wollen heizen, fahren, fernsehschauen - abertausende Unternehmen aller Größen betreiben Maschinen, Hochöfen, IT-Anlagen und Fuhrparks. Es gibt leichtere Aufgaben als die Versorgung einer Industrienation mit ausreichenden Mengen Energie - und das jederzeit zuverlässig und möglichst günstig. Dazu kommt: Der Energiebedarf schwillt und schwindet mit Tageszeiten, Witterungsbedingungen und der Konjunkturentwicklung. Preisschwankungen quälen die Verbraucher, Abgase schädigen die Umwelt und ungleich verteilte Bodenschätze zwingen zur Einfuhr von Uran, Erdöl, Gas oder Kohle. Wie fast alle Volkswirtschaften der Erde ist auch Deutschland abhängig von Energierohstoffen aus dem Ausland.
Für die deutsche Energiepolitik ergeben sich daraus schmale Spielräume. Experten sprechen vom "energiepolitischen Zieldreieck" aus ökonomischer Effizienz, Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit. Zwischen diesen drei Polen bewegen sich die meisten aktuelle Fragen. Erdöl zum Beispiel erschien lange Zeit als ausreichend billig für die Wärmegewinnung. Zudem war es leicht verfügbar. Erst die Ölschocks mit rapide ansteigenden Weltmarktpreisen, die zahlreichen Krisen in den Förderländern und die steigene Abgasbelastung machten der Heizölnutzung einen Strich durch die Rechnung.
Erneuerbare Energiequellen wie Wind, Wasser und Sonne schwanken dagegen mit den Witterungsbedingungen. Versorgungssicherheit können die Betreiber von Solarkraftwerken und Windrädern alleine nicht garantieren. Im Dreieck der Energieexperten schneiden sie dafür bei der Umweltverträglichkeit bestens ab. Im Betrieb liegen die Emissionen bei Null. Einer wachsenden Zahl von Bundesbürgern erscheint das mit Blick auf eine langfristig angelegte ökonomische Gesamtrechnung als die effizienteste Lösung.
Schwarz schimmernde Stütze
Das energiepolitische Konzept der Bundesregierung spricht mit Blick auf die offensichtlichen Nachteile von Kernkraft und Kohle von "Brückenlösungen". Doch die Zeit drängt. Denn aus Brüssel kommen Forderungen, die verbleibenden Subventionen früher abzubauen als bislang geplant. Nach einem Vorschlag der EU-Kommission soll in der gesamten EU von 2014 an keine staatliche Förderung für die Steinkohle mehr erlaubt sein. Das wäre vier Jahre früher, als Deutschland bislang plant. Laut Kohle-Kompromiss von 2007 sollen die Subventionen für die deutsche Steinkohle erst 2018 auslaufen.

Kumpel unter dem Saarland: Spätestens wenn die Preise am Weltmarkt in die Höhe schießen, dürfte Deutschland diese Herren schmerzhaft vermissen.
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Wie steht es um die deutsche Kohle? Welche Rolle spielt der tiefschwarze Energieträger zur Zeit? Aufschluss geben Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) und des Statistischen Bundesamtes. Im ersten Halbjahr 2010 gab es demnach eine kräftige Erhöhung des Energieverbrauchs. Die konjunkturelle Erholung und der Auswirkungen des langen Winters trieben den Bedarf an Heizwärme, Strom und Bewegungsenergie deutlich an. In der Statistik schlägt sich das im Primärenergieverbrauch nieder, in dem auch der Aufwand zur Förderung und Aufbereitung der Energierohstoffe enthalten ist. Schließlich kostest es ja nicht wenig Energie, fossile Brennstoffe ans Tageslicht zu fördern oder Rohöl in Heizöl umzuwandeln.
Gemessen wird der Primärenergieverbrauch immer noch im althergebrachten Vergleichsmaßstab der Steinkohleeinheiten. In den ersten sechs Monaten des Jahres stieg der deutschlandweite Verbrauch an Primärenergie auf 243,3 Mio. Tonnen Steinkohleeinheiten (abgekürzt: SKE). Das entspricht einem Anstieg von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahrszeitraum. Der Anteil der Steinkohle an der Gesamtmenge beläuft sich auf rund elf Prozent. Das sieht nach einer untergeordneten Rolle aus, kann aber im Mutterland des Otto-Motors nicht verwundern. Schließlich ist im Primärergieverbrauch auch der energieintensive Treibstoffbedarf enthalten. Mineralöl stellt mehr als ein Drittel der insgesamt verbrauchten Primärenergie.
Steinkohle auf Platz 3
Ganz anders sieht das allerdings in der Stromerzeugung aus. Hier - im Zentrum der deutschen Energiedebatte - dominiert die Braunkohle nach wie vor mit einem Anteil von 24,5 Prozent, gefolgt von der Kernenergie mit 22,6 Prozent und schließlich der Steinkohle mit 18,3 Prozent. Erst dahinter folgen die Erneuerbaren mit 12,9 Prozent und Erdgas mit 12,9 Prozent. Insgesamt wurden im Beispieljahr 2009 in Deutschland rund 597 Mrd. Kilowattstunden Strom erzeugt.

Bergleute der Zeche Lohberg in Dinslaken ziehen in der Waschkaue ihre schmutzige Arbeitskleidung aus: Der Ausstieg aus dem mit Milliardensummen subventionierten Steinkohle-Bergbau im Jahr 2018 ist seit Herbst 2007 beschlossene Sache.
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Doch auch bei der Prozesswärme im Industrieeinsatz steht Steinkohle an zentraler Stelle. Den AGEB-Zahlen zufolge stieg der Verbrauch an Steinkohle in Deutschland im ersten Halbjahr besonders stark - um insgesamt 35 Prozent auf 32,2 Mio. Tonnen SKE.
"Die inländische Stahlindustrie steigerte den Einsatz von Kohle und Koks um knapp 84 Prozent und glich damit den rezessionsbedingten Nachfragerückgang des vergangenen Jahres nahezu aus", erklärten die Energieexperten.
Von den 32,2 Mio. Tonnen Steinkohle wird der überwiegende Teil verheizt. In den Öfen der Steinkohlekraftwerke der deutschen Kraftwirtschaft verschwanden im ersten Halbjahr 22,5 Mio. Tonnen. Großabnehmer finden sich im produzierenden Gewerbe wie zum Beispiel in der Stahlindustrie. Sie alleine schluckte 9,0 Mio. Tonnen, also etwas mehr als ein Viertel des deutschen Steinkohleverbrauchs. Der verbleibende Bruchteil fließt in Form von Koks oder Briketts in die Erzeugung von Heizwärme.
Preisroulette am Weltmarkt
Im Energiekonzept der Bundesregierung heißt es: "Die Stromversorgung in Deutschland ist historisch gewachsen und beruht auf einem breiten Mix von Energieträgern." Vorgesehen ist, dass die die fossilen Energieträger, insbesondere die Kohle zusammen mit der Kernenergie auch weiterhin "den Großteil der Stromerzeugung in Deutschland" gewährleisten sollen - bis die erneuerbaren Energieträger oder andere Zukunftstechnologien diese Aufgabe übernehmen können.
Zusammen mit dem von der EU geforderten beschleunigten Ausstieg aus der Steinkohle ist damit aber schon jetzt absehbar, dass die Importabhängigkeit Deutschlands bei der Stromversorgung weiter steigt. Schon jetzt muss Steinkohle überwiegend importiert werden. Im ersten Halbjahr waren das laut AGEB 21 Mio. Tonnen SKE.
Dass die Nachfrage für Kohle international in Bewegung geraten kann, zeigt ein kurzer Blick zurück: In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Preis für Kohle - auch vor dem Hintergrund boomender Schwellenländer - zeitweise mehr als verdoppelt.
Quelle: ntv.de, mit rts