Wirtschaft

Reaktionen auf die anhaltende Geldflut Fed treibt ein riskantes Spiel

Notenbanken, Geld, Gott: Alles eine Frage des Vertrauens.

Notenbanken, Geld, Gott: Alles eine Frage des Vertrauens.

(Foto: picture alliance / dpa)

Mit der Entscheidung, die Geldflut doch noch nicht zu dämmen, sorgt US-Notenbankchef Bernanke für eine faustdicke Überraschung. Die weltweiten Reaktionen sind heftig - an den Märkten Jubel, bei vielen Experten aber auch tiefe Besorgnis. Wird die Fed die Geister, die sie rief, irgendwann bändigen können?

Daumen hoch, den Anlegern gefällt, was die Fed verkündet hat: Der Geldrausch geht unvermindert weiter. Das schmiert die Börsen. Jubel allerorten. Die Aktienmärkte zeigen sich in Höchststimmung. Die aufgeschobene geldpolitische Wende löst weltweit ein Kursfeuerwerk aus. "Keine Drosselung!", kommentiert der Investmentstratege Brad McMillan von Commonwealth Financial den Paukenschlag. "Der Markt liebt das!"

In der Euphorie werden aber auch immer mehr verwunderte bis skeptische Stimmen laut. Die Tatsache, dass die US-Notenbank sich in Zurückhaltung übt, hat allein zum Grund, dass die Notenbanker die Konjunkturerholung alles andere als zufriedenstellend bewerten. Ob die Niedrigzinspolitik und die milliardenschweren Anleihenkäufe die richtigen Maßnahmen sind, um die lahmende Wirtschaft in Schwung zu bringen, wird von vielen Ökonomen und Analysten sowieso angezweifelt. Dass der erste Anlauf aus dem billigen Geld auszusteigen, erst vergleichsweise deutlich angekündigt und nun erst einmal verschoben wurde, lässt bei vielen nun die Alarmglocken schrillen.

ZEW rechnet mit "starken Preisbewegungen"

ZEW-Präsident Clemens Fuest hält die derzeitige ultra-lockere Geldpolitik Fed für sehr riskant. Man müsse bei der Geldflut auch in Europa vor Preisblasen auf der Hut sein, warnt er im Deutschlandradio Kultur. Zwar seien die Konjunkturnachrichten der letzten Zeit aus den USA nicht so toll gewesen. Dennoch überrasche es sehr, dass die US-Notenbank ihre Staatsanleihenkäufe, anders als ursprünglich angekündigt, nicht reduziere. Werden die Anleihekäufe am Ende dann doch eingestellt, drohe ein großer Absturz.

Die Inflationsrate sei zwar allgemein niedrig, ergänzt Fuest. Doch im "Vermögensgüterbereich" - gemeint sind Aktien, Immobilien oder Gold – sei nach der Ankündigung von Fed-Chef Ben Bernanke mit starken Preisbewegungen zu rechnen. Das Risiko bestehe darin, dass die Preise für Vermögensgüter immer mehr steigen, sagt der Experte zur Gefahr einer erneuten Immobilienblase in den USA. Auch in Europa müsse man vor Preisblasen, die platzen könnten, auf der Hut sein. In dem Fall sei mit erheblichen Erschütterungen an den weltweiten Märkten zu rechnen. Da es die derzeitige Situation noch nie gegeben habe, "begibt man sich hier ein bisschen ins Unbekannte", warnt Fuest.

Die Geldschleusen bleiben offen

Euro / US-Dollar
Euro / US-Dollar 1,17

Die Nachricht, dass die Fed noch nicht von ihrer ultra-lockeren Politik abrückt, schlug am Vorabend wie eine Bombe ein. Entgegen allen Erwartungen bleibt nun doch alles beim Alten. Zur Begründung verwiesen die Notenbanker vor allem auf die instabile Wirtschaftslage, dem zuletzt deutlichen Anstieg der Markt- und Hypothekenzinsen sowie dem nach wie vor verhaltenen Preisauftrieb. Es müssten erst noch mehr Beweise vorliegen, dass die Erholung der Konjunktur und des Arbeitsmarktes tatsächlich gefestigt sei, hieß es.

Investoren waren - nach entsprechenden Signalen von Bernanke - seit Wochen darauf eingestellt, dass die Zentralbank schon bald deutlich weniger Geld in den Markt pumpen und später sogar eine Zinswende einleiten wird. Ob es sich um eine Fehlinterpretation oder einen Trugschluss handelt, oder ob die Fed tatsächlich auf neue Parameter reagiert hat, lässt sich nicht sagen. Tatsache ist:  Die US-Notenbank bleibt vorerst bei ihren monatlichen Käufen von Staatsanleihen und Immobilienpapieren in Höhe von 85 Milliarden Dollar. Ebenso hält sie an ihrer Niedrigzinspolitik fest und belässt den Leitzins bei null bis 0,25 Prozent.

Am Ende haben sich die Notenbanker noch nicht einmal auf einen Termin festlegen wollen, wann der Einstieg in den Ausstieg aus der ultra-lockeren Geldpolitik möglicherweise probiert wird. Plötzlich ist völlig offen, ob damit noch in diesem Jahr zu rechnen ist. Beobachter sind damit allesamt auf dem falschen Fuß erwischt worden. Die meisten Ökonomen hatten zuvor mit einer maßvollen Drosselung der Anleihekäufe auf 75 Milliarden US-Dollar pro Monat gerechnet.

Anleger erwartet der kalte Entzug

Kurzfristig werde "die Entscheidung der Fed die Risikofreude an den globalen Finanzmärkten deutlich erhöhen", prognostiziert Frank Engels, Portfoliomanager bei Union Investment. Skeptiker mahnen aber, dass die Welle der Euphorie abebben wird. Es bleibe abzuwarten, ob die Begeisterung anhalte, kommentiert der Investmentstratege McMillan von Commonwealth Financial. Bald werde "wieder etwas Katerstimmung einsetzen: Der durch die Federal Reserve im Raum stehende Entzug der Liquiditätsdroge wird im vierten Quartal seine Schatten vorauswerfen", prognostiziert auch Rohstoff-Analyst Norman Rudschuck von der NordLB.

Mancher schüttelt nach dem Entscheid entgeistert den Kopf: "Um die Wahrheit zu sagen, ich bin wirklich erschüttert", sagt Chef-Marktstratege Joseph Trevisani von WorldwideMarkets. "Die Fed versucht jetzt, den Geist wieder in die Flasche zu bekommen", ergänzt Philip Marey von der Rabobank. Mit mäßigem Erfolg. Die billionenschweren Hilfen der Notenbanken rund um den Globus haben die Aktienmärkte in den vergangenen Jahren so geschmiert, dass eine Gewöhnung eingetreten ist, heißt es. Kritiker monieren, die Finanzmärkte seien mittlerweile abhängig vom Notenbank-Geld wie von einer Droge.

Der stiere Blick auf den Arbeitsmarkt

Bernanke zeigte sich nicht nur mit der Konjunkturerholung, sondern auch mit dem US-Arbeitsmarkt unzufrieden. Der Jobmarkt sei noch weit weg vom Wünschenswerten. Seiner Einschätzung nach ist der Rückgang der Arbeitslosigkeit weniger auf neu geschaffene Jobs zurückzuführen, sondern verstärkt auf die sinkende Erwerbsquote. Ein Teil der Amerikaner hat sich wegen der langen Krise enttäuscht aus der Arbeitswelt zurückgezogen.

Den ultra-niedrigen Leitzins von null bis 0,25 Prozent will die Notenbank deshalb auch nicht anrühren. Der Zinssatz liegt seit Ende 2008, als die schwere Finanzkrise begann, auf diesem Niveau. Und er soll auf dem jetzigen Niveau noch mindestens so lange bleiben, wie die Arbeitslosenquote über 6,5 Prozent verharrt. Im August lag sie bei 7,3 Prozent. Nach Ansicht von zwölf der 17 Fed-Notenbanker ist erst 2015 der richtige Zeitpunkt, um die Zinszügel wieder anzuziehen.

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft IfW hält die starre Koppelung der Niedrigzinspolitik der US-Notenbank an die weitere Entwicklung der Arbeitslosigkeit für höchst riskant. "Die Fed hat es sich mit ihrer neuen Kommunikationsstrategie erschwert, ihre Geldpolitik nennenswert zu straffen, selbst wenn sie das später einmal für angebracht halten sollte", sagt Nils Jannsen, USA-Experte im IfW. "Vieles deutet darauf hin, dass die Geldpolitik bereits seit einiger Zeit deutlich zu expansiv ausgerichtet ist und die Fed somit bereits massive Risiken eingegangen ist, die sich durch die neue Kommunikationsstrategie sogar erhöht haben."

Geldpolitik ist nicht alles

Die Koppelung der Geldpolitik an einen einzelnen Indikator wie die Arbeitslosenquote sei problematisch, hieß es weiter. Die Fed habe damit ihren Handlungsspielraum stark eingeengt. Die Arbeitslosenquote hänge von vielen Faktoren ab, "die von der Notenbank nur mittelbar beeinflusst werden können oder sich ihrem Einfluss völlig entziehen".

Bernanke hat am Vorabend versucht, diesen Vorwurf abzuschwächen: Er betonte, es gebe "keinen festen Kalender", die Fed verfolge auch keine "vorgefestigte" Geldpolitik. Eine Änderung des geldpolitischen Kurses hänge von den weiteren wirtschaftlichen Rahmendaten ab.

Die Fed hat versucht, alle Unwägbarkeiten einzupreisen und sich entschlossen, zu diesem Zeitpunkt lieber die Füße still zu halten. Spätestens nach diesem Entscheid ist klar, dass der Einstieg in den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik keine einfache Nummer ist und deutlich schwieriger wird, als bisher angenommen. Nicht mehr nur Fingerspitzengefühl ist gefragt, sondern wahrscheinlich eine gesunde Portion Mut, dem leichten Geld zu entsagen. 

Quelle: ntv.de

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