"Verrat am europäischen Projekt" Nobelpreisträger Krugman attackiert die EU
13.07.2015, 07:47 Uhr
Der Ökonom Paul Krugman spricht vom "Tod des europäischen Projektes".
(Foto: picture alliance / dpa)
Der US-amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Krugman kritisiert das Vorgehen der EU gegenüber Athen. Die Liste der Forderungen der Eurogruppe nennt er "verrückt". Ihr gehe es um "schiere Rachsucht" und "komplette Zerstörung nationaler Souveränität".
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hat in der griechischen Schuldenkrise Deutschland und vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel stark kritisiert. In seinem Blog der "New York Times" wirft er ihr vor, dass ihr nicht einmal die Kapitulation der griechischen Seite ausreiche. "Völlige Aufgabe ist nicht genug für Deutschland, das einen Regimewechsel will und die totale Demütigung", schreibt Krugman. Eine einflussreiche Fraktion ziele sowieso darauf, die Griechen aus der Eurozone zu stoßen. Die Liste der Forderungen der Eurogruppe nennt der US-Amerikaner "verrückt".
"Das europäische Projekt - ein Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe - hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erlitten. Und was immer man von (der griechischen Regierungspartei) Syriza oder Griechenland hält - die Griechen haben es nicht verbockt."
Laut Krugman liegt der Hashtag #thisisacoup, der am Morgen hunderttausendfach auf Twitter verbreitet wurde, genau richtig: Das Vorgehen der Eurogruppe gehe über Strenge hinaus "in schiere Rachsucht, in kompletter Zerstörung nationaler Souveränität, ohne Hoffnung auf Abhilfe". Es sei vermutlich als Angebot gedacht, das Griechenland nicht annehmen könne - nichtsdestotrotz sei es ein grotesker Verrat an allem, wofür das europäische Projekt eigentlich stehen sollte, so Krugman. "Auf eine Art ist die Wirtschaft dabei fast zweitrangig. Aber lasst uns darüber im Klaren sein: In den vergangenen Wochen haben wir gelernt, dass Mitglied der Eurozone zu sein bedeutet, dass die Gläubiger deine Wirtschaft vernichten können, wenn du aus der Reihe tanzt", schreibt der Wirtschaftsexperte weiter.
Tsipras in der Sackgasse
Dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras hält der Welt-Ökonom mangelndes taktisches Geschick vor. Weil sich seine Syriza-Partei sehr zeitig darauf festgelegt habe, dass ein Grexit nicht in Frage komme und keinerlei Vorbereitungen für eine Parallelwährung getroffen worden seien, sieht Krugman Tsipras an die Wand gedrückt. "Das hat ihn in eine hoffnungslose Verhandlungsposition geführt."
Im Moment sieht der Wirtschaftsprofessor nur schreckliche Alternativen für Griechenland und Europa. Trotzdem könnte der Grexit besser sein als der Verbleib im Euro unter der strengen Knute der Deutschen und ihrer Verbündeten, findet Paul Krugman.
Lew zuversichtlich
Krugmans Landsmann, US-Finanzminister Jack Lew, äußerte sich dagegen zuversichtlich zu den Verhandlungen über ein Rettungspaket für Athen: Griechenland habe sich substanziell bewegt und den politischen Willen demonstriert, der nötig sei, um die von den Geldgebern geforderten Reformen umzusetzen. Lew forderte zugleich mehr Flexibilität von Athen wie von den Gläubigern, da die Gespräche noch nicht zu einer Vereinbarung geführt haben.
Lew zeigte sich aber ermutigt von den Berichten über einige Fortschritte, auch wenn noch zusätzliche Arbeit geleistet werden müsse, wie das Finanzministerium in einem Readout eines Telefongesprächs zwischen dem Minister und dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras zitierte. Das Ministerium führte nicht näher aus, wodurch genau Lew ermutigt sei oder inwiefern politischer Wille seitens Athen erkennbar sei.
Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP