Ökonomen-Barometer Offenbarungseid kommt
18.05.2012, 17:02 UhrDie Mehrzahl der Experten glaubt, dass sich die Eurokrise weiter verschärft. Auch für Deutschland sind sie nicht mehr ganz so optimistisch. Die wirtschaftliche Entwicklung stagniert, der Ausblick trübt sich leicht ein.
Nach Einschätzung der führenden deutschen Volkswirte stagniert die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland im Mai auf dem Niveau der Vormonate. Die Erwartungen für die nächsten zwölf Monate haben sich leicht eingetrübt, bleiben aber mit 60,16 Punkten noch immer auf einem vergleichsweise hohen Niveau.
Das geht aus dem Ökonomen-Barometer (ÖB) von Euro am Sonntag und dem Nachrichtensender n-tv für den Monat Mai hervor. Demnach lag die Einschätzung der aktuellen Lage in diesem Monat mit 59,71 Punkten marginal unter dem April-Wert von 59,79. Die Zwölf-Monats-Prognose ging um 2,5 Prozent auf 60,16 (Vormonat 61,73) Punkte zurück. Dies entspricht allerdings noch immer einer hochgerechneten Jahreswachstumsrate von zwei Prozent.
Kapitalrisiko steigt
Vor dem Hintergrund der Situation in Griechenland und anderen europäischen Problemländern wie Spanien rechnen die meisten der befragten Experten (71 Prozent) damit, dass sich die Euro-Schuldenkrise weiter verschärft. "Mit dem Scheitern der Regierungsbildung in Griechenland ist der Offenbarungseid zwangsläufig", sagt Ulrich Blum (Halle). Für Thomas Apolte (Münster) fehlen insgesamt glaubwürdige Versprechen einer stabilitätsorientierten Politik in Europa. Deshalb blieben auch die Finanzmärkte weiter anfällig. "Es hat bisher keine realen Fortschritte gegeben", sagt Wilfried Fuhrmann (Potsdam). "Das Kapitalrisiko für Privatanleger steigt in jedem Fall. Die Wachstumsinitiative bedeutet Umverteilung, beginnende direkte EU-Verschuldung und Vermögensabgaben mit Kapitalflucht als Folge."
Verträge einhalten
In der Auseinandersetzung zwischen Paris und Berlin über eine Neuverhandlung des europäischen Fiskalpakts erhält Kanzlerin Angela Merkel Rückendeckung von den Ökonomen. Eine klare Mehrheit von 90 Prozent der Befragten lehnt eine Neuverhandlung des im Januar vereinbarten Fiskalpakts ab.

Für das Ökonomen-Barometer wurden rund 600 Volkswirte in Banken, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.
Ökonomen wie Tom Krieger (Paderborn), Walter Krämer (Dortmund) oder Juergen B. Donges (Köln) pochen dabei darauf, dass geschlossene Verträge eingehalten werden müssten. "Man muss sich auf die Einhaltung von Absprachen verlassen können, auch wenn die Regierung wechselt", fordert RWI-Präsident Christoph M. Schmidt.
Andere Wissenschaftler halten den Pakt sowieso für wirkungslos, weil er keine Sanktionen enthält. "Er ist das Papier nicht wert, auf dem er steht", lautet das Urteil von Bernd Raffelhüschen (Freiburg). "Der Pakt ist ein Papiertiger", meint Wilfried Fuhrmann (Potsdam).
Frankreich hatte zuletzt eine Ergänzung des Fiskalpakts um "wachstumsfördernde Maßnahmen" verlangt. Einer Ergänzung des Fiskalpakts durch ein "Wachstumsprogramm" stehen 72 Prozent der befragten Ökonomen sogar grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Die Vorstellungen, was unter einer solchen Initiative zu verstehen ist, weichen allerdings stark voneinander ab.
Wachstum fördern
Die meisten der Befürworter eines solchen Programms stellen sich darunter sogenannte angebotsseitige Reformen wie Deregulierung der Arbeitsmärkte, Bürokratieabbau oder verstärkte Privatisierungen vor. Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder Forschung werden ebenfalls genannt. "Wichtig sind wachstumsfördernde Strukturreformen. Höhere Konsumausgaben sind keine Hilfe", erläutert Carsten Hefeker (Siegen).
Laut Volker Nitsch (Darmstadt) sollten solche Maßnahmen nur auf nationaler Ebene angesiedelt sein. "Dafür braucht es keinen europäischen Pakt." Ähnlich argumentiert Martin Kocher (LMU München:): "Ein Wachstumsprogramm in verschiedenen EU-Ländern sollte unterschiedliche Schwerpunkte haben, um optimal zu wirken."
Für das Ökonomen-Barometer wurden zwischen 9. und 16. Mai rund 600 Volkswirte in Banken, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden befragt.
Quelle: ntv.de