Wirtschaft

Nichts zu verzollen USA und EU streben freien Handel an

Ein Containerschiff im italienischen Hafen Gioia Tauro.

Ein Containerschiff im italienischen Hafen Gioia Tauro.

(Foto: REUTERS)

Das Vorhaben ist gewaltig, die Probleme sind es auch. Die Vereinigten Staaten und die Europäische Union wollen ab Juli verhandeln, wie Zölle und andere Handelshemmnisse abgeschafft werden können. Doch bevor die Gespräche begonnen haben, gibt es bereits zwei große Konfliktfelder: amerikanische Spionage und Frankreichs Filmindustrie.

Euro / US-Dollar
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Die Europäische Union und die USA machen mit ihren Bemühungen um eine transatlantische Freihandelszone ernst. Die erste Verhandlungsrunde werde im Juli in Washington stattfinden, sagte US-Präsident Barack Obama auf dem G8-Gipfeltreffen in Nordirland. Der britische Premierminister David Cameron sagte, die Chance auf ein derartiges Abkommen biete sich einer Generation nur einmal. "Und wir wollen sie nutzen." Ähnlich äußerte sich der deutsche Wirtschaftsminister Philipp Rösler. Es handele sich vor Obamas Besuch am Mittwoch in Berlin um ein hervorragendes Signal.

Beide Seiten hoffen, dass die Wirtschaft mit Hilfe eines Freihandelsabkommens stärker wächst und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Bereits jetzt beträgt das Volumen des Handels zwischen beiden Regionen drei Mrd. Dollar am Tag. Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge profitiert Deutschland aber weniger als andere EU-Staaten vom geplanten Abkommen. Die Freihandelszone wäre mit 800 Millionen Einwohnern so groß wie keine andere auf der Welt.

Die EU und die USA stehen gemeinsam für fast die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung. Rund ein Drittel der globalen Handelsströme entfallen allein auf sie. Jeden Tag werden etwa zwei Milliarden Euro in Gütern und Dienstleistungen zwischen beiden Seiten ausgetauscht. Unterschiedliche technische Normen, Sicherheitsstandards oder Wettbewerbsvorschriften schränken den Handel jedoch ein.

Es handelt sich also um das ambitionierteste transatlantische Vorhaben der letzten Jahrzehnte – für Bundeskanzlerin Angela Merkel das "mit Abstand wichtigste Zukunftsprojekt" in der Handelspolitik. Schätzungen zufolge kann der Freihandel das Bruttoinlandsprodukt der EU jährlich um 119 Mrd. Euro ankurbeln, das der USA um 95. Mrd. Euro. Denn ein solches Abkommen schafft nicht nur Zölle ab und vereinheitlicht Vorschriften, es erleichtert auch Investitionen oder etwa die Beteiligung an Ausschreibungen.

Doch die Nervosität ist relativ groß. Denn Frankreich hat durchgesetzt, dass Kultur und audiovisuelle Medien nicht mit in das Freihandelsabkommen einbezogen werden – aus Sorge um den hochsubventionierten französischen Film. "Frankreich wird die kulturelle Ausnahme bis zuletzt verteidigen - das ist eine rote Linie", hatte Kulturministerin Aurelie Filipetti angekündigt. Und in Industrie- und Regierungskreisen wird darauf verwiesen, dass jede Ausnahme auf EU-Seite eine auf US-Seite nach sich ziehen wird.

In den vergangenen Tagen hatten sich alle Beteiligten nochmals positioniert. Die Bundesregierung pochte darauf, dass es keinerlei Ausnahmen geben dürfe. "Wir sollten zum jetzigen Zeitpunkt vermeiden, Tabus aufzubauen", mahnte etwa Wirtschaftsminister Philipp Rösler. "Es ist wichtig, dass das Mandat nicht zu löchrig wird und nicht schon jetzt rote Linien eingezogen werden", hatte auch das Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Stefan Mair, betont.

Neuer Anlauf

Denn schon werden unangenehme Erinnerungen an den früheren Versuch für ein transatlantisches Freihandelsabkommen wach. Bereits 2007 hatte vor allem Merkel zusammen mit EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso auf ein Freihandelsabkommen gedrängt. Aber der damalige US-Präsident George W. Bush schob das Thema nach einer Anfangseuphorie wieder auf die lange Bank, es hakte vor allem an Agrarfragen. Der geplante Abbau nicht nur von Zöllen, sondern auch von Hürden wie Regulierungs- oder Zulassungsfragen drohte Besitzstände vieler Branchen anzugreifen.

Das ist auch diesmal so. Dennoch scheint vieles anders. Die Agrarlobby ist ruhiger als früher, weil sich die Lebensmittelindustrie moderner und globaler aufgestellt und weniger Angst vor US-Importen hat. Die Automobil- und Chemieindustrie sind so eng mit den USA verflochten, dass sie nur Vorteile sehen. Nun sehen die ambitionierten Pläne vor, dass ein Abkommen innerhalb von 20 Monaten ausgehandelt werden soll.

Entscheidendes Argument für einen Erfolg des Freihandelsabkommens ist aber die wachsende Verzweiflung auf beiden Seiten des Atlantiks. Zum einen treibt der Aufstieg Chinas den Westen näher zusammen, wenn er sich etwa bei der Standardsetzung von Produkten künftig noch behaupten will. Zum anderen spricht die hohe Verschuldung anders als früher gegen große staatlich finanzierte Konjunkturprogramme. "Alle brauchen einen Impuls, der erst einmal nichts kostet", sagte Sara Borella, Handelsexpertin des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

Prism belastet

Auch in Deutschland macht man sich dabei wenig Illusionen, dass mit Start der Verhandlungen die Probleme beseitigt seien. "Aber falls man Kompromisse macht, sollte man dies im Laufe der Verhandlungen tun und nicht am Anfang", mahnt Thomas Bareiß, Wirtschaftspolitiker in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Wir wollen eine maximale Lösung haben", sekundiert der stellvertretende Unions-Fraktionschef Michael Fuchs.

Und Kompromisse sind nötig: So warnen etwa Daten- und Verbraucherschützer auf beiden Seiten des Atlantiks, dass bestehende Standards nicht gesenkt werden dürften. Gerade wegen der jüngsten Enthüllungen über die weltweite Spionage der US-Geheimdienste gibt es hier wohl besonders hohen Gesprächsbedarf.

Man müsse kein Genie sein, um zu erkennen, dass die Datensammlung (Prism) die Verhandlungen belasten werde, räumte der US-Botschafter bei der Welthandelsorganisation (WTO), Michael Punke, ein. "Die Berichte über Prism werden das Misstrauen gegen ein transatlantisches Freihandelsabkommen vergrößern", sagte auch der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich.

Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa

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