Griechenland im Zerrspiegel "Übertreibungen und Halbwahrheiten"
03.05.2010, 10:46 Uhr
Die Hilfe für Griechenland stößt nicht auf ungeteilte Zustimmung. "IWF raus", ist auf der Fassade der griechischen Nationalbank zu lesen.
(Foto: REUTERS)
Das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland hat angesichts der Schuldenkrise Athens einen Tiefpunkt erreicht. Dafür sei auch die Berichterstattung in beiden Ländern verantwortlich, kritisiert Martin Knapp. Sie sei von Sachkenntnis weitgehend ungetrübt, so der Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen.
n-tv.de: In Deutschland wird hitzig über die Schuldenkrise Griechenlands diskutiert. Nicht nur der Boulevard spricht von "den Pleite-Griechen", die "unser Geld wollen" - und statt zu sparen, lieber streiken. Deutsche Politiker fordern, Griechenland sollte Inseln verkaufen, um die Schulden zu tilgen. Wie wird das in Griechenland aufgenommen?
Martin Knapp: Sehr negativ. Auch wenn die Politiker nur unbewohnte Inseln gemeint haben sollten, die als Grundstücke an reiche Leute, beispielsweise Reeder, verkauft werden sollten, wurde das hier natürlich vollkommen anders aufgefasst. Man glaubte, Griechenland solle nun seine bekannten bewohnten Inseln den Deutschen aushändigen…
Und was denken Sie persönlich von der Diskussion in Deutschland?
Dass die der Diskussion zugrunde liegende Berichterstattung von Sachkenntnis weitgehend ungetrübt ist. Ganz egal ob es um die Renten, die Altersgrenze oder die Korruption geht, es strotzt alles nur so vor Übertreibungen und Halbwahrheiten. Der deutsche Bürger kann sich kaum ein objektives Bild von der Lage hier machen und versteht daher auch die Notwendigkeit einer Hilfsaktion nicht.
Welches Deutschlandbild existiert in Griechenland?
Deutschland ist in den griechischen Umfragen in Bezug auf die Beliebtheit der Länder von der ersten auf die letzte Stelle gefallen. Dabei ist die Berichterstattung in den griechischen Medien über Deutschland um nichts besser als die in den deutschen in Bezug auf Griechenland. Es ist den griechischen Medien sogar gelungen, das Thema innerhalb weniger Wochen von einer hausgemachten Krise in einen Angriff Deutschlands auf Griechenland umzudeuten. Angesichts der Steilvorlagen der deutschen Medien war das nicht einmal besonders schwer.

Martin Knapp ist Geschäftsführer der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammer in Athen.
Und wie wird Angela Merkel beurteilt?
Die Bundeskanzlerin kann froh sein, dass ihr Wahlkreis nicht in Athen liegt…
Es gab einen Boykottaufruf gegen deutsche Lieferanten. Hatte dieser Aufruf spürbare Auswirkungen?
Anfangs gab es da Teilerfolge, sich interessanterweise auf bestimmte Branchen beschränkten. Doch ist das inzwischen nicht mehr spürbar.
Die Schuldenkrise und die Sparmaßnahmen der Regierung sorgen für sinkenden Konsum in Griechenland. Wie weit trifft das deutsche Firmen?
Die Umsätze gehen überall zurück, da sitzen die deutschen und die griechischen Firmen in einem Boot.
Griechenland wird derzeit gerne mit Korruption und Vetternwirtschaft in Verbindung gebracht. Welche Auswirkungen hat das auf deutsche Firmen, die in Griechenland tätig sind?
Korruption und Bürokratie sind überall auf der Welt zwei Schwestern, die sich gegenseitig hochschaukeln. Wegen der Korruption werden immer neue Kontrollmechanismen eingeführt, die dann immer mehr Leuten die Gelegenheit geben, die Hand aufzuhalten. Nun gibt es eine dritte Schwester, die wenig beachtet wird, aber genauso gefährlich ist. Das gilt besonders in Griechenland.
Welche Schwester ist das?
Ich spreche von der Angst, Verantwortung zu übernehmen. Diese lähmt in erster Linie diejenigen Amtsträger, die nicht korrupt sind. Nehmen wir an, dass bei einem Investitionsprojekt alles perfekt ist. Arbeitsplätze werden geschaffen, Geld kommt ins Land, die Umwelt wird geschont etc. etc. Trotzdem wird sich kaum ein Beamter finden, der das Projekt unterstützt bzw. absegnet, aus Furcht, dass alle denken werden, man sei vom Investor gekauft. Ich hoffe, dass das jetzt anders wird.
Korruption ist ein Ärgernis, das es nicht nur in Griechenland gibt. Derzeit müssen große deutsche Konzerne mit Schmiergeldaffären fertig werden. Halten sich griechische Firmen oder der Staat deshalb mit Aufträgen an deutsche Firmen zurück?
Leider sind in der Tat die großen Skandale im staatlichen Beschaffungswesen ausnahmslos mit den Namen deutscher Firmen verbunden. Deshalb regt es die griechische Öffentlichkeit ganz besonders auf, wenn ausgerechnet die deutschen Medien über die Korruption in Griechenland herziehen.
Angeblich versuchen Konkurrenten, vom schlechter werdenden Ruf Deutschlands zu profitieren. Trifft das zu?
Nur im Zusammenhang mit dem Boykottaufruf hatten wir entsprechende Hinweise, aber das ist im Moment nicht mehr relevant.
Eurozone und IWF verlangen von Griechenland einen harten Sparkurs. Zugleich werden Zweifel laut, dass es der Regierung gelingt, diesen Sparkurs auch durchzusetzen. Wie schätzen Sie den Sparwillen der griechischen Bevölkerung ein?
Ein kleiner aber lautstarker Teil der Bevölkerung weigert sich seit Jahrzehnten beharrlich, die Gesetzmäßigkeiten der Marktwirtschaft auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Leider prägen diese Leute auch das Bild im Ausland. Die große Masse aber hat, seit bekannt wurde, wie ernst die Lage ist, begriffen, dass sich ihr Leben von Grund auf ändern wird. Wenn es darum geht, bei wem man mit dem Sparen anfangen soll, drängelt sich natürlich niemand vor, aber ich glaube, das wäre woanders genauso.
Ernst nehmen muss man allerdings auch die Stimmen derjenigen Fachleute, die darauf hinweisen, dass ein übertriebener Sparkurs die Wirtschaft vollends abwürgen kann, so dass die Fähigkeit, die alten und die neuen Kredite zu bedienen, weiter Schaden nimmt.
Griechenlands Wirtschaft wird in Deutschland vielfach belächelt. Zu Recht?
Die griechische Wirtschaft ist anders gestrickt als die deutsche. Es gibt Lowtech und Hightech, aber nichts dazwischen. Der deutsche Maschinenbau, das Rückgrat unserer Volkswirtschaft, hat in Griechenland keine Entsprechung. Das spiegelt sich auch im Bildungssystem wider. Das Abitur zu machen ist in Griechenland unendlich viel schwieriger als in Deutschland. Trotzdem macht es fast jeder. Nicht weil die Griechen so viel genialer wären, sondern weil es zum Hochschulstudium praktisch keine Alternative gibt.
Im Übrigen kommen wir hier zum Kern des Problems. Seit der Öffnung der sozialistischen Staaten 1990 fließen alle Investitionen, die unter anderen Umständen in Länder wie Portugal oder Griechenland geflossen wären, in die osteuropäischen Staaten. Speziell für Griechenland gilt, dass auch die griechischen Unternehmen Milliarden in den Nachbarländern investiert haben, weswegen man jeder einzelnen Firma natürlich keinen Vorwurf machen kann. Nur blieb Griechenland selbst dabei auf der Strecke.
Überhaupt hat man die Mittelmeerländer in der Eurozone in den letzten Jahren nur noch als Feriengebiete und als Absatzmärkte für Konsumgüter wahrgenommen. Davon können sie aber nicht leben. Wenn wir die Eurozone behalten wollen, ohne ständig nachzuschießen, brauchen wir eine neue Arbeitsteilung in Europa. Daran führt kein Weg vorbei.
Mit Martin Knapp sprach Jan Gänger
Quelle: ntv.de