Wirtschaft

Der Drei-Prozent-Lockruf Jetzt startet der Preiskrieg der Discounter

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Um Verbraucher und Wirtschaft in der Corona-Krise zu entlasten, hat die Bundesregierung beschlossen, vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2020 die Mehrwertsteuersätze von 19 auf 16 beziehungsweise 7 auf 5 Prozent zu senken.

(Foto: picture alliance/dpa)

Aldi und Lidl wittern ihre Chance: Sie nehmen die Mehrwertsteuersenkung vorweg, um Käufer zu ködern - einer legt sogar noch einen Rabatt obendrauf. Mitten im Streit um Dumpingpreise und -löhne in der Lebensmittelbranche heizt die Politik so einen Preiskrieg an, den sie nicht gewollt haben kann.

In der deutschen Lebensmittelbranche geht es derzeit zu wie auf dem Wochenmarkt. Wie Marktschreier versuchen sich die Discounter gegenseitig zu übertönen, um Kunden in ihre Filialen zu locken. Ausgelöst hat den Wettkampf Finanzminister Olaf Scholz mit seiner geplanten Mehrwertsteuersenkung. Erst hat Lidl sie um mehr als eine Woche vorgezogen, nun zieht Aldi nach. Und legt sogar noch eine Schippe obendrauf.

Statt nur die staatliche Mehrwertsteuersenkung durchzureichen, die eigentlich erst ab 1. Juli gilt, schenkt der Discounter seinen Käufern - zumindest bei Lebensmitteln - noch einen dritten Prozentpunkt mehr. Schon von diesem Samstag an werden beim Erfinder des Selbstbedienungsladens Produkte aus dem Food-Bereich wie Dosentomaten, Fischstäbchen oder Grillfleisch, die ab kommenden Mittwoch mit 5 Prozent versteuert werden müssen, somit nochmals um einen klitzekleinen Betrag billiger. Bei Non-Food-Produkten, für die künftig 16 Prozent fällig werden, wird nur die Steuersenkung vorgezogen.

"Um die beabsichtigte volkswirtschaftliche Wirkung der Bundesregierung zu verstärken, investieren Aldi Nord und Aldi Süd zusammengerechnet einen dreistelligen Millionenbetrag, indem sie auf Marge verzichten", heißt es in einer Pressemitteilung. An der Kasse werde pauschal "einfach drei Prozent vom gesamten Einkauf abgezogen". Der Discounter hält es also unkompliziert. "Das lohnt sich vor allem bei Großeinkäufen und hilft besonders denjenigen, die von der Corona-Krise wirtschaftlich betroffen sind." Aldi zeigt sich in Geberlaune.

Lidl hatte die gesetzliche Mehrwertsteuersenkung bereits am Montag umgesetzt. Supermärkte wie Edeka und ihre Discount-Tochter Netto ziehen ebenfalls mit und werben mit größeren Rabatten als der reinen Mehrwertsteuersenkung. Für eine Vielzahl an Produkten sollen die Verkaufspreise zumindest abgerundet werden. Der Preiskrieg im Lebensmittelhandel ist damit voll entbrannt.

Für den Handelsexperten Stephan Rüschen von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg kommt die Rabattschlacht zu diesem Zeitpunkt nicht überraschend. Von der Politik gewollt war sie so aber wohl eher nicht. "Aus übergreifender Sicht ist die Mehrwertsteuersenkung sinnvoll. Sie könnte mehr Kauftkraft bedeuten, die dann anderweitig eingesetzt wird. Negativ ist aber, dass in einer Branche, die nicht unter Corona gelitten hat, wieder einiges aufgezehrt wird. Der Spielraum für Steuereinnahmen und Investitionen ist damit geringer", sagt Rüschen ntv.de.

"Preiskrieg wird zum Verteilungskampf"

Auch der Kuchen für den Lebensmittelhandel wird damit nicht größer. Denn die Verbraucher werden bis zum Jahresende, solange gilt die niedrigere Mehrwertsteuer, nicht deutlich mehr essen - Steuersenkung hin oder her. Was mehr bei Aldi eingekauft wird, fehlt als Umsatz bei Penny und Netto in der Kasse und umgekehrt. "Der Preiskrieg wird zum Verteilungskampf", sagt Rüschen. Und das betrifft nicht nur die Discounter. Billigmärkte sind gegenüber klassischen Supermärkten mit Vollsortiment deutlich im Vorteil. "Es könnte sein, dass die Discounter profitieren, der Preiskrieg aber zulasten der Supermärkte wie Edeka und Rewe geht."

Das zeigt schon die praktische Umstellung, die die Supermärkte vor ganz andere Herausforderungen stellt. Discounter haben im Schnitt gerade mal 2000 Artikel im Angebot, sie können die Mehrwertsteuersenkung damit viel leichter umsetzen. Große Supermärkte mit Vollsortiment müssen dagegen bis zu 40.000 Schilder auf den jeweiligen Regalschienen ändern. Positive Effekte kann der Handelsexperte für die Lebensmittelbranche deshalb nicht entdecken. Die Mehrwertsteuersenkung sei "mit der heißen Nadel gestrickt". Seiner Ansicht nach hätte es die Politik - relativ einfach - besser machen können.

Gewünscht hatten sich Branchenfachleute vor allem Unterstützung für die Non-Food-Branche, die von Corona und der Kaufzurückhaltung der Verbraucher in der Krise stärker betroffen war, weil die Läden geschlossen waren. Statt sowohl den regulären (19 Prozent) als auch den ermäßigten Steuersatz (7 Prozent) in einer Nacht- und Nebelaktion über einen Kamm zu scheren, hätte man differenzieren müssen, meint der Experte. "Die Mehrwertsteuersenkung kam völlig überraschend. Wenn man die Senkung auf die 16 Prozent für Non-Food-Waren begrenzt hätte, "hätte man gezielt dem Bereich, der vom Corona-Lockdown am meisten betroffen war, geholfen".

Erschwerend hinzu kommt, dass der Preiskampf nun ein weiteres Schlaglicht auf einen Wirtschaftszweig wirft, der zurzeit ohnehin stark in der Kritik steht. In Zeiten von Fleischskandalen und Corona-Infektionen in Schlachtfabriken sind Dumpingpreise im Lebensmittelhandel ein heißes Thema geworden. Ein Preiskrieg fördert weder eine bessere Tierhaltung noch menschenwürdigere Arbeitsbedingungen. "Hier bekommen wir ein Bild, wozu ein Preiskampf führt", sagt Rüschen. Eigentlich sollte es nicht im Interesse der Politik liegen, dass Lebensmitteln noch billiger werden. "Wozu heizt die Politik dann den Preiskampf an, der zu billigen Lebensmitteln führt, wenn man das gar nicht will?" 

Große Ketten haben keine andere Wahl

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Stephan Rüschen ist Professor an der Hochschule DHBW Heilbronn im Studiengang BWL mit Spezialisierung auf den Bereich Food/ Lebensmittelhandel.

Auf Käuferfang sind aber auch Händler außerhalb des Lebensmittelhandels: Die Drogeriemarktkette Rossmann räumt ihren Kunden ebenfalls pauschal drei Prozent Rabatt ein. Deutschlands größter Schuhhändler und die Elektronikketten Media Markt und Saturn geben zumindest die Steuersenkung befristet bis zum Jahresende eins zu eins weiter.

Verpflichtet sind sie dazu ebenso wenig wie Friseure, Handwerker oder Gastronomen. "Im Rahmen der üblichen Preisgestaltung steht es den Unternehmen, Dienstleistern und Geschäftstreibenden frei, ihre Preise beizubehalten und dadurch ihre Gewinnspanne zu erhöhen", räumt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen ein. Doch der harte Wettbewerb, besonders im Lebensmittelhandel lässt den großen Ketten kaum eine andere Wahl.

Etwas anders sieht es bei kleineren und mittleren Unternehmen aus. Laut einer Umfrage der Handelsberatung BBE abseits des Lebensmittelhandels gab immerhin ein Fünftel der befragten Händler an, die Steuersenkung nicht oder nur noch teilweise an die Kunden weitergeben zu wollen. Ein weiteres Fünftel schwankt noch, wie es weiter vorgehen will. Annähernd drei Viertel der Befragten hält den mit der Steuersenkung verbundenen Mehraufwand nicht für verhältnismäßig. Am größten ist die Zurückhaltung im Textil-, Sport- und Schuhhandel. Klar ist aber, dass auch dort der Druck wächst. Die Gefahr sei groß, dass die Leute sich ansonsten betrogen fühlten, räumen die Experten ein. Eine einheitliche Lösung statt eines Preiskampfes wäre besser gewesen, meint Rüschen. "Riesiger Aufwand, kompliziert - am 1. Juli wird man sehen, ob es funktioniert."

Quelle: ntv.de

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