40 Prozent Plus seit März Warum der nächste Corona-Crash kommt
28.05.2020, 17:28 Uhr
Dass im Augenblick Casino-Stimmung herrscht, heißt nicht, dass Anleger nicht genauso schnell wieder in den Krisenmodus schalten können und Aktienkurse ins Bodenlose fallen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Die Aktienkurse steigen, als hätte es den Shutdown nicht gegeben. Dabei wird die Wirtschaftserholung lang und mühsam werden, wie Ökonomen warnen. Womöglich ist die Kursexplosion der Auftakt zum Corona-Crash 2.0.
Es ist paradox. Die Wirtschaft fängt gerade erst an, sich aus der Corona-Starre zu befreien und die Börsen feiern, als hätte es die Pandemie nie gegeben. Der 750 Milliarden Euro schwere Corona-Wiederaufbaufonds der EU hat dem Dax am Mittwoch anderthalb Prozent beschert. Am Donnerstag klettert er um ein weiteres Prozent. Seit seinem Tief Mitte März hat der deutsche Leitindex damit um knapp 40 Prozent zugelegt. Das Allzeithoch vor dem Corona-Crash liegt inzwischen zum Greifen nahe, gerade mal rund 15 Prozent sind die Kurse noch davon entfernt.
In den USA sieht es noch besser aus: Hier bewegt sich der Technologie-Index Nasdaq 100 fast wieder auf Rekordniveau. Angesichts der desaströsen Entwicklung in der Realwirtschaft kann man sich eigentlich nur die Augen reiben. Denn die Wirtschaftsdaten und Unternehmensergebnisse machen wenig Hoffnung, dass es schnell wieder aufwärts geht. Mit steigenden Börsenkursen wird die Gefahr eines zweiten Corona-Crashs unweigerlich immer größer.
Fundamental schlechte Aussichten
Die Wirtschaftsprognosen geben keinen Anlass zur Euphorie. Das Ifo-Institut rechnet in diesem Jahr mit einem Einbruch der deutschen Wirtschaft um 6,6 Prozent. Das würde einen noch stärkeren Kollaps als während der Finanzkrise bedeuten. Zwar soll es nach der Prognose der Konjunkturexperten im nächsten Jahr schon wieder steil bergauf gehen. Aber ausgemacht ist das noch lange nicht, wie die Ifo-Experten einräumen.
Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Gabriel Felbermayr, warnt ausdrücklich, dass die deutsche Wirtschaft sich nicht so wie nach der letzten Krise erholen wird. Er verweist auf die zunehmenden Globalisierungsängste und den verstärkten Hang zur Autarkie und Abschottung. Deutschland könne sich nicht darauf verlassen, "sich nach der Krise wieder gesund zu exportieren", sagt er im Podcast "Die Stunde Null". Für die deutsche Wirtschaft, die einen Großteil ihrer Wirtschaftsleistung über Exporte erzielt, wäre das ein heftiger Schlag. Bis vor Kurzem ging das IfW noch von der V-Kurve aus. Nun soll es eher "ein gestrecktes V oder ein U" werden.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schließt sich an. Die Wirtschaft nehme zwar etwas Fahrt auf, "der Einbruch ist aber drastisch und eine vollständige Erholung wird sehr lange auf sich warten lassen", sagt DIW-Konjunkturchef Claus Michelsen. Auch er sieht vor allem die Lage für die wichtigen deutschen Exporteure kritisch: "Das Auslandsgeschäft dürfte angesichts der weltweit verheerenden Folgen der Corona-Pandemie wegbrechen und die Nachfrage vor allem nach Investitionsgütern schwach bleiben."
V-förmig ist nur die Aktienkurve
Weil die Börsianer klar auf eine schnelle Erholung wetten, ist das Enttäuschungspotenzial auch entsprechend groß. Sollte die wirtschaftliche Erholung nicht wie ein V verlaufen, sondern wie ein U oder sogar L-förmig - also erst einmal ausbleiben - ist Katzenjammer angesagt.
Zwar wird mit dem schrittweisen Hochfahren der Volkswirtschaften rund um den Erdball der Corona-bedingte Angebotsschock überwunden. Die entscheidenden Fragen lauten jetzt aber: Wie werden sich die Verbraucher verhalten? Und: Wie schnell wird der Nachfrageschock überwunden? Auch hier sieht es nicht rosig aus. Es liegt auf der Hand, dass Menschen, die gerade in Kurzarbeit geschickt wurden oder sogar um ihren Job fürchten müssen, nicht als Erstes an den Kauf eines neuen Autos denken.
Der Bund puffert die drohende Misere am Arbeitsmarkt zwar zu einem guten Teil ab, aber dass Verbraucher ihr Kaufverhalten verändert haben, ist nicht zu übersehen. Die Konsumenten seien verunsichert, stellt das DIW fest. Viele würden sich mit größeren Anschaffungen zurückhalten. "Dass Betriebe und Dienstleister Stück für Stück zum Normalbetrieb zurückkehren, ist das eine", so DIW-Experte Simon Junker. "Dass Produkte und Dienstleistungen aber so nachgefragt sind wie vor Ausbruch der Pandemie, ist etwas ganz anderes."
In den USA sieht es noch düsterer aus. Jeden Tag verlieren Hunderttausende Amerikaner ihren Job, insgesamt haben seit Beginn der Pandemie 41 Millionen - zumindest zeitweise - ihre Arbeit verloren. Chevron und Boeing haben gerade angekündigt, zehn Prozent ihrer Belegschaft zu feuern. Die Arbeitslosenquote ist binnen weniger Wochen regelrecht durch die Decke geschossen. Für Mai dürfte sie laut Analysten bei mehr als 20 Prozent liegen. Im Februar hatte die Quote noch bei 3,5 Prozent gelegen. Für ein Land, dessen Wirtschaft zu 70 Prozent vom Konsum lebt, ist das tödlich.
Ein weiteres Risiko für die Erholung - und damit auch die Finanzmärkte - besteht darin, dass der Handelsstreit zwischen den USA und China wieder aufflammt. Es deutet sich an, dass US-Präsident Donald Trump den Konflikt im Wahlkampf wieder hochkochen wird. Weitere Strafzölle für Importe aus China und andere Länder würden dann für höhere Preise sorgen und die Kauflaune der US-Verbraucher zusätzlich dämpfen. Wenn dann die Wall Street in die Knie geht, würden die US-Börsen ohne Frage auch die anderen Handelsplätze in der Welt mit nach unten reißen.
Aktien sind überbewertet
Zudem sind für die Aktienmärkte vor allem die Leitzinsen und die Unternehmensgewinne entscheidend. Von dort sind leider auch kaum positive Impulse zu erwarten. Die Zinsen bewegen sich - zumindest in Deutschland gemessen an den Renditen der Bundesanleihen - schon seit geraumer Zeit im negativen Bereich. Und auch mit Blick auf die Unternehmensgewinne scheint die derzeitige Rally gewagt: Die 500 größten börsennotierten US-Unternehmen haben im ersten Quartal des laufenden Jahres 15 Prozent weniger verdient als 2019. Trotzdem notiert der S&P 500 nur zehn Prozent unter seinem Vorkrisenniveau. In Europa sind die Gewinne noch stärker kollabiert. Es ist absehbar, dass die Ergebnisse im zweiten Quartal sogar noch schlechter ausfallen, weil hier der größere Teil des Shutdowns stattgefunden hat. Mit anderen Worten: Aktien sind teurer geworden - obwohl die Wirtschaft in einer Rezession steckt.
Die Gefahr für einen Kursrücksetzer wächst also. Dass Casino-Stimmung herrscht, heißt nicht, dass Anleger nicht schnell wieder in den Krisenmodus schalten können und Aktienkurse erneut ins Bodenlose fallen. "An den Aktienmärkten entsteht gerade wieder eine gefährliche Sorglosigkeit und damit verbunden die Erwartungshaltung, dass alles relativ zügig wieder zum alten Normalzustand zurückkehren wird", warnt Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. "Die große Gefahr besteht darin, dass sich genau dies nicht bestätigt."
"Die Finanzmärkte gehen von sehr vielen guten Nachrichten aus", stellte auch der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock, Larry Fink, am Mittwoch in einer Veranstaltung mit Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing fest. Im Moment rechneten die Märkte damit, dass die Beschränkungen in der Corona-Krise aufgehoben werden, es zu keiner zweiten oder dritten Welle der Pandemie komme und Mittel gegen die Krankheit gefunden würden. "Falls wir eine zweite oder dritte Welle haben, könnte dies erhebliche Auswirkungen auf kleine oder mittlere Unternehmen haben", warnte Fink. "Das könnte dann auch zu einer schweren Kreditkrise führen." Auch Sewing mahnte vor zu viel Zuversicht: "Es wird Rücksetzer geben."
Allem Augenreiben zum Trotz: Ungewöhnlich ist die derzeitige Entwicklung an den internationalen Aktienmärkten nicht. Auch in den Crashs von 2000 bis 2003 und 2008 bis 2009 kam es nach einem ersten Absturz zu einer spürbaren Erholung - bevor es dann noch einmal richtig bergab ging. Zumindest charttechnisch betrachtet könnten die Tiefstände von März also auch noch einmal getestet werden. Es ist also Vorsicht geboten. Mit jedem Tag wächst die Gefahr, dass die Märkte ein "zweites Bein nach unten" ausbilden, wie es Börsianer nennen. Anleger sollten sich also sowohl auf Ausschläge nach oben als auch nach unten einstellen.
Übrigens: Firmenlenker aus dem Dax beteiligen sich nicht an der Corona-Schnäppchenjagd, wie aus den Mitteilungen an die Börsenaufsicht Bafin hervorgeht. Die Topmanager selbst lassen die Finger von Aktien - zumindest ihrer eigenen Unternehmen. Das soll was heißen.
Quelle: ntv.de