Wirtschaft

"Preis ist nicht entscheidend" Wie die Wiener ihre U-Bahn lieben lernten

"Um Gottes willen, das ist viel zu gefährlich, das braucht Wien nicht", hatte es zum Baubeginn der U-Bahnlinien in Österreichs Hauptstadt geheißen.

"Um Gottes willen, das ist viel zu gefährlich, das braucht Wien nicht", hatte es zum Baubeginn der U-Bahnlinien in Österreichs Hauptstadt geheißen.

(Foto: IMAGO/viennaslide)

Das 9-Euro-Ticket läuft bald aus - um die Verkehrswende anzukurbeln, wird eine Verlängerung diskutiert. In Wien gibt es seit zehn Jahren ein 365-Euro-Jahresticket. Auf das Mobilitätsverhalten der Wiener hat die günstige Fahrkarte allerdings nur wenig Einfluss.

Als in den 1960er-Jahren die ersten U-Bahnen in der österreichischen Hauptstadt gebaut wurden, gingen viele Wiener und Wienerinnen auf die Barrikaden. "Um Gottes willen, das ist viel zu gefährlich, das braucht Wien nicht", sollen Bewohner der Donaumetropole gesagt haben, wie Daniel Amann, Pressesprecher der Wiener Linien, ntv.de erzählt. Doch das Netz wurde ausgebaut, die Taktung erhöht und 2012 das 365-Euro-Ticket eingeführt. Heute nutzen fast 40 Prozent der Einwohner Wiens die öffentlichen Verkehrsmittel - viel mehr als im europäischen Durchschnitt. "Die Wienerinnen und Wiener haben die U-Bahn lieben gelernt", sagt Amann.

Mit der Einführung des 9-Euro-Tickets in Deutschland vor drei Monaten sollten in erster Linie die Bürger entlastet werden. Doch die Hoffnung war groß, dass auch die Deutschen das Auto stehen lassen und mehr U-Bahn fahren. Die endgültigen Ergebnisse stehen noch aus, aber erste Auswertungen zeigen, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. "Kein Autofahrer hat gesagt: Ich lasse meinen Wagen ab jetzt stehen", sagte Verkehrsexperte am Wissenschaftszentrum Berlin, Andreas Knie, kürzlich in einem Interview mit "Capital". Das überrascht Amann nicht. Denn "der Preis allein ist nicht entscheidend".

Durch das 365-Euro-Ticket in Wien kaufen zwar mehr Menschen Jahreskarten - von 370.000 vor 2012 stieg deren Zahl auf mittlerweile 860.000 im Jahr. Doch viele Neukunden sind nicht dazugekommen. Der Anteil der Wiener, die Bus und Bahn als Fortbewegungsmittel nutzen, lag schon 2012 bei 37 Prozent. Heute sind es 38 Prozent. Zum Vergleich: 25 Prozent der Berliner nutzen heute öffentliche Verkehrsmittel. In den anderen deutschen Großstädten sind es noch weniger.

Das Angebot ist wichtiger als der Preis

Das günstige 1-Euro-pro-Tag-Ticket in Wien war also nur die Kirsche auf der Torte: "Dieses Angebot stand am Ende eines langen Prozesses", sagt Lars Wagner, Pressesprecher beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Ein dauerhaftes 29-Euro-Ticket in Deutschland würde Bürger zwar massiv entlasten, was in Zeiten von acht Prozent Inflation viel wert ist. Zur Verkehrswende trage das preisgünstige Angebot aber wenig bei. "Wenn wir langfristig über die Verkehrswende reden, kann nicht zuerst der Preis gesenkt werden", sagt Wagner. "Mindestens parallel dazu muss das Angebot massiv ausgebaut werden." Denn wie das Beispiel in Wien zeigt, macht das Angebot viel mehr aus als der niedrige Preis.

Die österreichische Hauptstadt investiert seit Jahrzehnten massiv in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs - im Jahr 2021 waren es laut Wiener Linien 503 Millionen Euro. In Berlin investierten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) im gleichen Zeitraum 464,7 Millionen Euro in das Verkehrsnetz. Bei einer doppelt so großen Fläche wie Wien müsste die deutsche Hauptstadt deutlich mehr investieren, wenn sie mithalten will. "Aber das geht natürlich nur, wenn der politische Wille da ist", sagt Amann.

Die Verkehrswende kostet eine Menge Geld. Die Wiener Linien GmbH kann maximal 65 Prozent des täglichen Betriebs mit eigenen Einnahmen abdecken. Der Rest und alle weiteren Investitionen werden von der Stadt Wien und teilweise vom Bund bezahlt. Insgesamt beläuft sich die Rechnung auf eine Milliarde Euro pro Jahr, erklärt Amann. Allerdings werden dafür nur sehr wenige Steuergelder verwendet. Denn ein großer Teil der Gelder für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs stammt aus zwei Quellen.

Zum einen werden bei der sogenannten Dienstgeberabgabe die Nutznießer der öffentlichen Verkehrsdienste zur Kasse gebeten. Jeder Betrieb, jedes Geschäft, jedes Unternehmen, das durch die gute Anbindung einen Standortvorteil hat, muss eine "U-Bahn-Steuer" zahlen. Seit 2012 zahlen diese Arbeitgeber zwei Euro pro Mitarbeiter und Woche.

Zum anderen fließen alle Parkgebühren in Wien direkt in den Investitionstopf für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Im Jahr 2019 hat die Stadt auf diese Weise 123 Millionen Euro eingenommen. In Berlin hat im Jahr 2013 die Senatsverwaltung 33 Millionen Euro durch Parkgebühren eingenommen. Aktuelle Zahlen liegen nicht vor. Der massive Unterschied liegt vor allem an den hohen Parkpreisen in der österreichischen Hauptstadt. Dort kostet ein Parkausweis für Anwohner zehn Euro im Monat. Berliner zahlen den gleichen Betrag für ein ganzes Jahr.

Das Ergebnis dieser Maßnahme ist ein doppelter Anreiz, das Auto stehenzulassen: Denn das Autofahren wird immer teurer, während Busse und Bahnen nicht nur billiger, sondern auch besser ausgestattet werden. "In Wien rennt man niemandem hinterher, nicht einmal einer U-Bahn", sagt Amann dazu. Die Bus- und Bahn-Dichte wurde in den letzten Jahren massiv ausgebaut. Je besser das Angebot ist, desto eher steigen die Menschen vom Auto auf die Bahn um.

"Das Auto ist das Lieblingskind der Deutschen"

In Deutschland sei eine U-Bahn-Steuer rechtlich kaum möglich, sagt Wagner. Denkbar wäre aber die Einführung des Wiener Modells der Parkraumbewirtschaftung. Doch hier sieht der Verkehrsexperte ein kulturelles Problem: In kaum einem anderen EU-Land sei die Liebe zum Auto so groß wie in der Bundesrepublik. "Das Auto ist das Lieblingskind der Deutschen", sagt er. Selbst Wagner, ein echter Verfechter des klimaneutralen Verkehrs, hat deshalb Verständnis dafür, dass die Bundesregierung die Kosten für Autofahrer nur ungern erhöht. Gerade in Zeiten von Inflation und hohen Energiepreisen will die Ampel ihre Wähler nicht noch mehr mit höheren Parkgebühren belasten.

Der kulturelle Wandel weg vom Auto braucht Zeit. Auch in Wien hat es viele Jahre gedauert, bis die öffentlichen Verkehrsmittel so beliebt wurden. 1993 nutzten nur 29 Prozent der Stadt die öffentlichen Verkehrsmittel - erst 20 Jahre später erreichte die Stadt das heutige Niveau.

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So viel Zeit wie Österreich kann sich Deutschland allerdings nicht lassen. Denn es bleiben weniger als acht Jahre, um die gesetzlich festgelegten Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Von den sechs Handlungsfeldern, die zur Emissionsminderung beitragen müssen, hat der Verkehrssektor bisher den geringsten Beitrag geleistet. Bis 2030 müssen die Treibhausgasemissionen des Verkehrs auf 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente sinken. Im Vergleich zu 2019 bedeutet dies fast eine Halbierung: 48 Prozent weniger.

Wenn diese Ziele nicht erreicht werden, muss die deutsche Regierung Strafen in Milliardenhöhe an die Europäische Union zahlen. "Wollen wir nicht lieber jetzt weniger zahlen, als hinterher Strafzahlungen in Milliardenhöhe zu leisten?", fragt Wagner. Ohne die Umgestaltung des öffentlichen Verkehrs werden die Ziele für 2030 nicht erreicht werden, so der Verkehrsexperte. Natürlich sei der Preis für die Verbraucher entscheidend. Aber allein mit 29 oder gar 9 Euro im Monat werde es nicht gelingen, das Verhalten der Menschen in Deutschland in so kurzer Zeit drastisch zu verändern.

Quelle: ntv.de

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