Erste Frau an Währungsfonds-Spitze Lagarde wird IWF-Chefin
28.06.2011, 22:00 Uhr
Am Ziel: Christine Lagarde.
(Foto: Reuters)
Die wochenlange Suche nach einem Nachfolger für den zurückgetretenen Dominique Stauss-Kahn an der Spitze des IWF ist beendet. Der Verwaltungsrat des Fonds spricht sich für Christine Lagarde als neue IWF-Chefin aus. Die Französin ist die erste Frau, die den wichtigen Kreditgeber für in Not geratene Länder führt.
Einstimmig: Die französische Finanzministerin Christine Lagarde rückt als erste Frau an die Spitze des Internationalen Währungsfonds. Der Verwaltungsrat der Institution entschied sich einstimmig für die 55-Jährige, wie der IWF mitteilte. Sie folgt Dominique Strauss-Kahn nach, der eines Sexualverbrechens beschuldigt wird und Mitte Mai zurückgetreten war. Lagarde hatte nur einen einzigen Mitbewerber, Mexikos Notenbankchef Agustín Carstens. Lagarde soll das Amt am 5. Juli antreten.
Der Verwaltungsrat nannte in seiner Erklärung Lagarde und Carstens sehr qualifizierte Kandidaten. Das Gremium habe das Ziel gehabt, eine einstimmige Entscheidung zu fällen und sich "nach Erwägung aller relevanten Informationen" für Lagarde entschieden.
Seit der Gründung des IWF am Ende des Zweiten Weltkriegs wird der Chefposten von einem Europäer besetzt und im Gegenzug der bei der Weltbank von einem US-Amerikaner. Diese Tradition war zuletzt aber verstärkt kritisiert worden.
Lagarde mit "außergewöhnlichem Talent"
Der Chefposten des IWF ist seit Mai vakant, nachdem Amtinhaber Dominique Strauss-Kahn das Amt wegen eines Strafverfahrens niedergelegt hat. Dem Franzosen wird vorgeworfen, in einem New Yorker Hotel ein Zimmermädchen sexuell genötigt zu haben. Er hat die Vorwürfe zurückgewiesen.
Für Europa spielt der IWF derzeit eine äußerst wichtige Rolle. Der Fonds ist an den milliardenschweren Rettungspaketen für Griechenland, Irland und Portugal beteiligt. Lagarde als Europäerin wurden nicht zuletzt deshalb von Anfang an deutlich besseren Chancen eingeräumt. Allein Europa, dass nicht nur die Tradition gewahrt sehen wollte, sondern in der Schuldenkrise unbedingt die eigene Kandidatin durchsetzen wollte, hat rund 40 Prozent der Stimmrechte im IWF. Zuletzt hatten sich auch die USA als Zünglein an der Waage mit 17 Prozent für Lagarde ausgesprochen.
Finanzminister Timothy Geithner: "Ihr außergewöhnliches Talent und große Erfahrung sind von unschätzbarem Wert bei der Führung dieser immens wichtigen Institution in diesen kritischen Zeiten für die Weltwirtschaft."
Lagarde will IWF-Kurs beibehalten
Die designierte IWF-Chefin bekräftigte nach ihrer Wahl, den eingeschlagenen Reformweg der Organisation weitergehen zu wollen. "Ich werde es zu meinem übergeordneten Ziel machen, dass unsere Institution weiter allen Mitgliedern mit der selben Aufmerksamkeit und in dem selben Geist dient", sagte sie laut einer Mitteilung. Das Handeln des IWF müsse wirklichkeitsnah, vorausschauend, effizient und gerechtfertigt sein.
Schon bei ihrer Vorstellung beim Exekutivrat des Fonds hatte sie deutlich gemacht, sich auf dem Spitzenposten für die Belange der Schwellenländer besonders stark machen zu wollen. Arme und aufstrebende Nationen befürchten, sie könnte sich als Französin vor allem um die Probleme Europas kümmern.
Lagarde bedankte sich bei allen, die ihre Kandidatur unterstützt hatten, und sprach dem unterlegenen Bewerber Carstens ihren Respekt aus. "Ich bin tief berührt von dem Vertrauen, dass der Verwaltungsrat mir entgegengebracht hat."
Carstens begrüßte in einer Mitteilung die Wahl seiner Konkurrentin, die er eine "sehr fähige Führerin der Institution" nannte. Er hoffe, dass der IWF unter ihr bedeutende Fortschritte hinsichtlich der internen Steuerung, der Legitimität und der Effektivität mache.
Frankreichs Justiz als Spielverderber?
Gefahr droht Lagarde noch von der heimischen Justiz. Der Ministerin wird Amtsmissbrauch vorgeworfen. Am 8. Juli wird die Entscheidung erwartet, ob gegen Lagarde eine offizielle Untersuchung wegen Beihilfe zur Veruntreuung öffentlicher Gelder eingeleitet wird. Um das Problem zu lösen, könnte Kreisen zufolge Lagarde der IWF-Vertrag erst nach diesem Datum angeboten werden.
Quelle: ntv.de, dpa/rts