Wirtschaft

Gang nach Canossa Ungarn bittet IWF um Hilfe

Die Ratingagenturen drohen damit, die Kreditwürdigkeit des osteuropäischen Landes auf Ramschstatus zu senken. Deshalb will Ministerpräsident Orban nun doch wieder mit IWF und EU reden.

Viktor Orban.

Viktor Orban.

(Foto: REUTERS)

Ungarn hat den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Europäische Union um Unterstützung gebeten. "Der IWF hat eine Anfrage von der ungarischen Regierung erhalten", sagte IWF-Chefin Christine Lagarde. Ein ähnliches Schreiben des EU-Landes, das nicht der Eurozone angehört, ging an die Europäische Kommission.

Das Land steht an den Finanzmärkten seit Wochen unter Druck, es droht eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit auf Ramschniveau. Die drei großen Agenturen Fitch, Moody's und Standard & Poor's bewerten die Bonität derzeit mit nur einem Punkt darüber. Das macht es für die Regierung teuer, sich frisches Geld zu besorgen. Für zehnjährige Staatsanleihen liegen die Renditen derzeit bei mehr als acht Prozent.

Durch die Hilfeersuchen können IWF und EU nun offizielle Verhandlungen mit Budapest über eine Unterstützung aufnehmen. Ungarn strebt dabei keinen Kredit an, sondern eine Art "Versicherung". Dabei könnte es sich um eine Art präventive Kreditlinie handeln. Das Geld würde dann nur im Notfall abgerufen. Orban hofft, dass das nicht der Fall sein wird und die Gespräche mit dem IWF sowohl die Märkte beruhigen als auch eine weitere Abstufung der Bonität verhindern.

Orban in Erklärungsnot

IWF und EU hatten das Land 2008 mit einem Kreditpaket von 20 Mrd. Euro vor dem Bankrott gerettet. Ungarn lehnte 2010 eine weitere Zusammenarbeit ab, da der Internationale Währungsfonds eine neue Kreditvergabe an weitere Sparmaßnahmen knüpfte. Seitdem betonte die Regierung, Ungarn könne sich über die Finanzmärkte finanzieren.

Neue Kredite wollen die bis zur Überheblichkeit stolzen Regierenden Ungarns deshalb verhindern. Doch auch bei der von Budapest angestrebten "Versicherungslösung" werden sie sich wohl gefallen lassen müssen, dass alle drei Monate eine IWF-Delegation die Staatsfinanzen unter die Lupe nimmt und schmerzhafte Spar-Forderungen stellt.

Dass Budapest jetzt den IWF wieder um Hilfe bittet, kommt daher einem Gang nach Canossa gleich, den der seit 2010 regierende Orban nun mühsam vor dem Volk rechtfertigen muss. Noch vor vier Tagen hatte Wirtschaftsminister György Matolcsy im Parlament beteuert, Verhandlungen mit dem IWF seien ausgeschlossen, denn "diese Institution mit drei Buchstaben" sei gegen jede Maßnahme, "die die Ungarn aus der Bankenfalle retten würde".

Verschuldung steigt kräftig

Im Sommer 2010 hatte Budapest außerdem Verhandlungen mit dem IWF abgebrochen, da Orbans Regierung die an neue Kredite geknüpften Spar-Auflagen nicht erfüllen wollte. Gegen den Willen des IWF führte Ungarn eine zusätzliche Bankensteuer ein.

Orban schrieb sich damals eine Wirtschaftspolitik unter dem Zeichen der "Unabhängigkeit" auf die Fahne. "Freiheitskampf", nannte dies spöttisch die Oppositionspresse, in Anlehnung an den antihabsburgischen Krieg der Ungarn im 19. Jahrhundert.

Ist Orbans "Freiheitskampf" nun zu Ende? Diesen Eindruck wollte der Regierungschef jedenfalls vermeiden, als er die neue Gesprächsbereitschaft mit dem IWF ankündigte. Nun beginne "eine Ära des Wachstums", sagte Orban, nachdem Ungarn "die Ära der Finanzstabilität abgeschlossen" habe.

Orbans "Finanzstabilität" der letzten Monate sah indes so aus: Die Staatsverschuldung stieg vom zweiten bis zum dritten Quartal von 75 auf 82 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Der Wechselkurs des Forint rutschte binnen eines halben Jahres rasant ab, so dass ein Euro Mitte November fast 318 Forint kostete, nach 266 Forint im Juni. Bei zwei aufeinanderfolgenden Auktionen konnte Ungarn seine Staatspapiere nicht verkaufen.

Europas Banken drohen

Für Verärgerung bei der EU sorgt zudem weiterhin das neue Fremdwährungsgesetz, das Banken aus dem In- und Ausland großen Schaden zugefügt hat.

In den vergangenen Jahren haben viele Häuslebauer und Verbraucher in Ungarn Kredite in ausländischen Währungen - vor allem in Schweizer Franken - aufgenommen, um von niedrigen Zinsen zu profitieren. Doch dies erwies sich als fatal: Allein in den vergangenen zwölf Monaten ist der Franken gegenüber dem ungarischen Forint um 20 Prozent gestiegen, was viele Kreditnehmer in Bedrängnis brachte. Das neue Gesetz ermöglicht Bankkunden nun bis Jahresende eine Ablösung der Franken-Kredite zu deutlich günstigeren Wechselkursen - auf den Kursverlusten bleiben die Banken sitzen.

Die Institute schäumen und wollen mit "allen Mitteln" gegen das Gesetz kämpfen. Raiffeisen-Chef Herbert Stepic nennt es "faktisch eine Enteignung". Die Banken sprechen in Anlehnung an den Schuldenschnitt für griechische Staatsanleihen von einem "Haircut". Sie würden dazu gezwungen, de facto mindestens 15 Prozent bei Euro-Krediten und mindestens 25 Prozent bei Franken-Krediten zu erlassen.

Die Institute fordern Schützenhilfe von der EU. "Wir appellieren an die Kommission, unverzügliche und sofortige Maßnahmen zu setzen, um den Verstoß gegen Grundfreiheiten und Grundsätze der EU zu stoppen", heißt es in einem Schreiben an EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier, das von Vorständen der besonders stark im Land engagierten Institute wie der BayernLB, der italienischen Unicredit und den großen österreichischen Banken unterzeichnet ist.

Inzwischen drohen die Institute damit, ihr Engagement in Ungarn auf den Prüfstand zu stellen.

Quelle: ntv.de, jga/rts/dpa/DJ

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen