Christine Lagarde im n-tv.de Interview "Viele Schritte waren halbherzig"
23.01.2012, 23:24 Uhr
Christine Lagarde hielt in Berlin einen Vortrag zum Thema "Globale Herausforderungen 2012"
(Foto: dpa)
Die Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, ist überzeugt: Nach "vielen Fehlstarts und halbherzigen Maßnahmen im Jahre 2011" wird 2012 für die Wirtschaft ein "Jahr der Heilung". Ihre Forderungen an die Mitgliedsländer der Eurozone: Ein "stärkeres Wachstum", ein "breiterer Rettungsschirm" und eine "tiefere politische Integration". Zugleich fordert die ehemalige französische Finanzministerin im Gespräch mit n-tv.de eine stärkere Beteiligung des privaten Finanzsektors bei der Krisenbekämpfung.
n-tv.de: Sie sagen, 2012 muss ein Jahr der Heilung der Wirtschaft sein, und dass es einen Ausweg aus der Krise gäbe. Was macht Sie so hoffnungsvoll?
Christine Lagarde: Ich bin dazu bestimmt, hoffnungsvoll zu sein. Es muss den politischen Willen geben, kollektive Lösungen zu finden. Vertrauen kann wieder aufgebaut werden.
Was meinen Sie mit "politischen Willen"?
Im vergangenen Jahr gab es den politischen Willen eine Lösung für die Eurozone zu finden, aber alles lief desorganisiert ab, viele Schritte waren halbherzig, viele Anläufe misslangen. Jetzt brauchen wir in der Eurozone eine Reihe von Maßnahmen, die aber von allen gemeinsam angegangen werden müssen. Wir brauchen erstens ein stärkeres Wachstum, zweitens einen breiteren Schutzschirm und drittens eine tiefere politische Integration. Aber nicht nur hier in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt muss natürlich etwas unternommen werden. Die Vereinigten Staaten etwa müssen mittelfristig ihr Schuldenproblem und ihr Budgetdefizit in den Griff bekommen. Gleiches gilt für Japan, das zugleich einige Strukturreformen einleiten muss, um seine Wirtschaft wieder wachsen zu lassen. Länder mit Überschüssen, wie zum Beispiel China, können sich selbst helfen, indem sie den Fokus stärker auf den Konsum ihrer Bevölkerung richten und ihre Wirtschaft weniger auf Export und Investitionen ausrichten.
Sehen Sie eine besondere Rolle Deutschlands?
Deutschland kann eine bedeutsame Rolle spielen. Vor allem, weil es eine Führungsrolle innerhalb der Eurozone hat. Deutschland muss diese Führungsrolle nutzen, um sich und anderen Mitgliedsstaaten zu helfen. Das liegt auch in Deutschlands eigenem Interesse. Dazu muss Deutschland ein Maßnahmenpaket umsetzen: Es geht nicht nur allein um stärkeres Wachstum, allein um einen breiteren Rettungsschirm oder um eine tiefere politische Integration der Rettungsmaßnahmen. All das muss auf einmal passieren. Und das Ganze muss sich auf Vertrauen gründen, auf das Vertrauen zum Beispiel, dass ein anständiger Fiskalpakt zustande kommt.
Es hat den Anschein, dass jetzt alles von Griechenland abhängt. Wie sehen Sie die Zukunft des Landes?
Griechenland ist Teil eines größeren Marktes und einer größeren Region. Natürlich ist eine sehr ernste Situation entstanden, und es müssen Lösungen gefunden werden, um die Wirtschaft des Landes wieder auf Vordermann zu bringen. Das erfordert von Griechenland große Anstrengungen. Aber nicht nur Athen, sondern auch andere müssen sich engagieren: Der Privatsektor, die anderen Mitglieder der Eurozone. Schlussendlich muss Griechenland zukunftsfähig werden. Griechenland muss Teil der Region bleiben, und dafür muss es wettbewerbsfähiger werden.
Was halten Sie von einer Finanztransaktionssteuer? Sollte eine solche Abgabe nur in der Eurozone, in der ganzen Europäischen Union oder gar auf einer noch höheren Stufe erhoben werden?
Der Finanzsektor muss sich stärker beteiligen. Wie er das macht, auf welcher Grundlage, wie effektiv die Mechanismen sein werden, muss er selbst entscheiden. Zudem gibt es technische Fragen, die geklärt werden müssen. Am Ende aber muss sich der Finanzsektor wegen seiner Bedeutung für die Realwirtschaft stärker beteiligen.
Und die Ratingagenturen?
(Lacht) Ratings sind zweifellos notwendig. Ein Rating sollte klar, transparent, verständlich sein. Aber man sollte sich nicht zu viel auf die Ratings von, sagen wir, drei Agenturen auf dieser Welt, verlassen. Regierungen und Zentralbanken müssen ihre eigenen Bewertungen der Lage vornehmen.
Mit Christine Lagarde sprach Manfred Bleskin.
Quelle: ntv.de