Kolumnen

Inside Wall Street Benzinpreis-Paranoia ist Unsinn

Die US-Amerikaner schieben Panik: Die Benzinpreise steigen. Die Republikaner rufen als Wahlkampfversprechen 2,50 Dollar pro Gallone aus. Die Paranoia ist völlig übertrieben, sagt n-tv-Korrespondent Lars Halter. Denn das Konsumverhalten der US-Amerikaner bleibt immer gleich.

Eine Tankstelle in Frederick im US-Bundesstaat Maryland. In Europa zahlen Autofahrer immer noch deutlich mehr für den Liter Sprit.

Eine Tankstelle in Frederick im US-Bundesstaat Maryland. In Europa zahlen Autofahrer immer noch deutlich mehr für den Liter Sprit.

(Foto: REUTERS)

Wie es sich in New York gehört, fahre ich morgens mit der Subway zu meinem Büro an der New York Stock Exchange. Die Trader auf dem Parkett tun das auch, viele steigen noch in den Zug um, wenn sie weiter draußen wohnen. Kaum einer fährt mit dem Auto, und die meisten könnten den aktuellen Benzinpreis nicht nennen. Für US-Amerikaner außerhalb der Metropolen ist das anders. Sie fahren meilenweit und oft mit hohem Spritverbrauch. Entsprechend groß ist der Ärger über hohe Benzinpreise. Doch die aktuelle Wahlkampf-Paranoia ist völlig übertrieben.

Obwohl sich der Vorwahlkampf der Republikaner seit Monaten durch das weite Land quält, gibt es erstaunlich wenige Themen für die Möchtegern-Präsidenten: in Debatten und Interviews geht es meist um die Moral im Lande, um Verhütung, Abtreibung und Schwulenehe. Selten geht es um die strauchelnde Konjunktur. Und wenn doch einmal ein Wirtschaftsthema aufkommt, dann ist es der Benzinpreis.

Unter der Präsidentschaft von Barack Obama sei der Benzinpreis durch die Decke gegangen, schimpfen die vier Kandidaten. Am lautesten ist Newt Gingrich, der einen Benzinpreis von 2,50 US-Dollar pro Gallone glatt als Wahlversprechen ausgibt. Um das so oft wie möglich zu illustrieren, hat er sich jüngst das Bild einer Zapfsäule ans Rednerpult geschraubt. Es ist eine dümmliche Masche, um Aufmerksamkeit zu erlangen und vielleicht ein paar Stimmen bei all denen abzugraben, die von der Materie einfach gar keine Ahnung haben.

Jenseits jeglicher Kontrolle

Denen sei folgendes gesagt: der Präsident hat auf den Benzinpreis keinen Einfluss – weder George W. Bush noch Obama konnten die Preise kontrollieren, und Gingrich kann es auch nicht. Der Ölpreis ist ein wenig von einer weltweit rasant steigenden Nachfrage getrieben, und noch viel mehr von rücksichtsloser Spekulation an den Rohstoffmärkten. Selbst wenn die USA ihre Förderquoten noch anheben könnten – neue Bohrungen würden frühestens in zehn Jahren Öl fördern –, würde das weltweit keinen nennenswerten Unterschied ergeben.

Interessant ist wiederum, dass ein sinkender Öl- und damit ein freundlicher Benzinpreis keine dramatischen Auswirkungen auf die US-Amerikaner hätten. Die wettern zwar lautstark gegen die Preise an der Zapfsäule, in ihrem sonstigen Konsumverhalten ist die Mehrbelastung beim Tanken allerdings nicht reflektiert. Aktuelle Daten aus der letzten US-amerikanischen Volkszählung zeigen, dass die US-Amerikaner im Durchschnitt 40 US-Dollar pro Woche für Benzin ausgeben. Das sind 2000 US-Dollar im Jahr und rund 5 Prozent der Konsumausgaben. Wenn die Preise über Gebühr steigen, müssen die Verbraucher anderswo sparen – sollte man meinen.

Dem ist aber nicht so. Der NPR-Kolumnist Adam Davidon hat sich im Auftrag der New York Times mit dem Konsumverhalten der Amis beschäftigt und erkannt, dass diese in den letzten Jahren ihre Ausgaben trotz steigender Benzinpreise in keinem einzigen Sektor heruntergefahren haben. Er sehe keine nennenswerten Veränderungen "bei Kinobesuchen, Bowling und Billard, Kasino-Besuchen und nur ganz geringe, unbedeutende Abschläge bei Ausgaben für Freizeitparks, Sehenswürdigkeiten und Stadionbesuche." In unzähligen Interviews auf der Straße habe er hingegen eines immer wieder gehört: Manche US-Amerikaner scheinen weniger Lotto-Tickets zu kaufen als früher … das ist alles.

So zeigt sich, dass die lauthals verfluchte Mehrbelastung der US-Amerikaner an der Zapfsäule so schlimm nicht sein kann. Denn die zu erwartende automatische Gegenbewegung in anderen Sektoren hat sich nicht eingestellt. So bleibt die Frage, warum die Amis so schimpfen und warum der Benzinpreis ein so wirksames Instrument im Wahlkampf ist?

Ganz einfach: Von allen Rohstoffen, die durchweg in den letzten Jahren teurer geworden sind, hat der Durchschnittsbürger eben nur Öl im Auge. Steigende Preise für Weizen und anderer Agrarprodukte treiben nicht umgehend die Preise im Supermarkt in die Höhe. Wenn Kupfer teurer wird, steigen die Preise für Kabel nicht. Normalerweise tauchen Rohstoffe beim Konsumenten nur als Teil eines Produktes auf, in dessen Preiskalkulation zahlreiche Parameter einfließen – nur Öl, beziehungsweise Benzin, hat der Kunde direkt mit täglichen Schwankungen im Blick.

Die Paranoia der US-Amerikaner, die unter Rekordpreisen an der Tankstelle ächzen, ist also komplett übertrieben. Zumal die Preise in den USA im internationalen Vergleich ja immer noch günstig sind: In Europa zahlen Autofahrer deutlich mehr für den Liter Sprit. Verschwinden wird das Thema dennoch nicht, zumal im Wahlkampf nur eines zählt: der oberflächliche Eindruck, das Gefühl der Wähler. Die Fakten dahinter spielen eine untergeordnete Rolle.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen