Inside Wall Street Stolzer Gigant ohne Namen
16.02.2011, 06:59 UhrDie Fusion von Deutscher Börse und NYSE ist in trockenen Tüchern. Allein wie das Kind nun heißen soll, bereitet noch Kopfzerbrechen. Der Name soll schließlich dem Nationalstolz beider Partner genügen. Bis man fündig geworden sind, müssen erst einmal Arbeitstitel genügen.
Die Marktdaten von "NewCo" können sich sehen lassen: 4 Mrd. Euro Umsatz, 2 Mrd. Euro Gewinn, eine Marktkapitalisierung von 17 Mrd. Euro … das klingt gut, und die Partner freuen sich. Die Deutsche Börse und die NYSE Euronext stehen felsenfest zu ihrer Fusion. Allein der Name des Branchenprimus ist unklar. "NewCo" steht für "new company" – mehr ist noch nicht entschieden.
Keiner weiß, wie die weltgrößte und global weitest verbreitete Börse in Zukunft heißen soll. Diskutiert wird über GEO als Abkürzung von "Global Exchange Operator". Hingegen sei "The Big Börse" aus dem Rennen. Die Namens-Klamotte bereitet den Verantwortlichen mehr Kopfzerbrechen als alle anderen Details des Deals. Denn Nationalstolz auf beiden Seiten des Atlantiks dürfte bei den Verhandlungen eine Hauptrolle spielen.
Vor allem in den USA. Da hetzen Kritiker schon seit Tagen gegen einen "German takeover". Sie befürchten, dass der legendäre Handelsplatz an der Wall Street, der Tempel des Kapitalismus, das Symbol der amerikanischen Wirtschaft schlechthin bald aus Frankfurt gelenkt wird – ein Albtraum.
Der New Yorker Senator Chuck Schumer versuchte die Wogen zu glätten. "Keine Angst", sagte er US-Medien, "der neue Konzern wird von New York dominiert und fest in amerikanischer Hand sein." Das wiederum macht den Deutschen Sorgen – zurecht: Die Deutsche Börse am Main ist größer als der Partner vom Hudson, das gesteht auch NYSE-CEO Duncan Niederauer ein. Entsprechend werden 60 Prozent der "NewCo" and Anleger der Frankfurter Mutter gehen, die übrigen 40 Prozent an NYSE-Shareholder.
Das heißt wiederum nicht, dass der größte Teil der neuen Mega-Börse von deutschen Aktionären gehalten wird. Im Gegenteil: Ein großer Teil der Frankfurter Papiere liegen bei Investoren im Ausland, unter anderem in den USA. Unterm Strich werden amerikanische Anleger letztlich 55 Prozent halten, während sich die übrigen 45 Prozent auf Deutschland und andere, kleinere Märkte verteilen.
Wichtiger als die Verteilung war Analysten ein Blick auf die Daten und Fakten zum Merger, den der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Börse, Manfred Gentz, als "monumental" anpries. In der Tat entsteht der weltweit führende Handelsplatz für Derivate und Risk Management, der Marktführer in Sachen Kapitalaufnahme und Listing, der Primus in Abwicklung und Post-Trade-Infrastruktur, ein Hightech-Pionier, und, und, und…
"Wir könnten nicht glücklicher sein", freut sich NYSE-CEO Duncan Niederauer über den Deal. Niederauer, der selbst deutsche Wurzeln hat und bei der Weihnachtsfeier auf dem New Yorker Parkett stets mit einem freundlichen "Prost!" anstößt, prophezeit dem Marktgiganten eine große Zukunft. Umso mehr als sich die Partner auf ihre jeweiligen Schwerpunkte konzentrieren wollen, die sich perfekt ergänzen. Frankfurt führt im Derivate-Handel und im Datengeschäft, New York führt im Cash-Trading und bringt zudem die bekannteste Marke der Finanzwelt mit ein.
Bereits bestehende Partnerschaften auf beiden Seiten laufen nicht aus: Der Bereich Settlement und Custody wird in Luxemburg betreut, der Sitz der IT-Sparte liegt in Paris mit Ablegern in Belfast und Prag. Auch Amsterdam, Chicago, London, Zürich, Singapur und weitere Handelsplätze sind in der Kompetenzverteilung bereits verankert. In einem immer globaler ausgerichteten Markt hat keine andere Börse mehr lokate Standbeine als die "NewCo", und keine andere baut so sehr auf das Talent aller Partner.
Das Management setzt sich zu gleichen Teilen aus den Chefs von NYSE und Frankfurter Börse zusammen, der Vorstand hat 9 Mitglieder aus Deutschland und 6 aus den USA, die Sitzungen sollen abwechselnd in den beiden Hauptquartieren abgehalten werden.
Bis der Börsenmerger Ende des Jahres offiziell besiegelt sein soll, haben die Partner noch einiges zu tun. Außer der Namensgebung steht die Überwindung von regulatorischen und politischen Hürden bevor. Dann aber dürften am Börsenplatz das Star-Spangled Banner und an der Wall Street die deutsche Flagge im Winde wehen.
Bis dahin wäre es übrigens schön, wenn sich die Amerikaner die Aussprache "Börse" aneignen könnten. Es heißt nicht "Deutsche Bors".
Quelle: ntv.de