Inside Wall Street Kleinanleger steigen aus
12.01.2010, 20:40 UhrSeien wir ehrlich: Die Wall Street kommt zum Jahresbeginn nicht so recht in Schwung. Für die ersten paar Tage stehen zwar Gewinne zu Buche, doch schwindlig ist auf dem Parkett seit Neujahr noch keinem geworden.
Wirklich überraschend ist das nicht - immerhin haben die US-Märkte im vergangenen Jahr um 70 Prozent zugelegt. Und doch machen sich einige Experten Sorgen. Denn bei allem Optimismus, den die Wall Street sonst so gut beherrscht, ist zum einen klar, dass keine Rallye ewig anhält. Zudem geschieht zurzeit etwas, was es bei früheren Kletterpartien nicht gab: die Kleinanleger steigen aus. Zum Beispiel Ed Shook, ein Dachdecker aus South Carolina, der die letzten zwei Bullenmärkte mitgemacht hat - und jeweils zu spät ausstieg. Diesmal will er schlauer sein. Er überlasse den Aktienmarkt jetzt "den Verbrechern die ihn steuern".
Ed Shook hat seine Aktien verkauft und das Geld in Staatsanleihen investiert, und er ist nicht der einzige. Millionen von Anlegern scheinen denselben Weg zu gehen, wie ein Blick auf die Marktstatistik zeigt. Im vergangenen Jahr haben Kleinanleger mindestens 14 Mrd. Dollar von Stocks in Bonds verlegt, wissen die Analysten von TrimTabs. Investment-Stratege Vincent Deluard kann es nicht fassen: "So eine Rally, und der Kleinanleger steigt aus? Das haben wir noch nie gesehen."
Bedenklich ist der Trend vor allem, weil die Macht der Kleinanleger oft unterschätzt wird. Laut einer aktuellen Schätzung der amerikanischen Notenbank halten sie nämlich 80 Prozent der immerhin 19 Billionen Dollar, die US-Unternehmen an ausstehenden Aktien haben. Wenn in diesem Lager Verkaufsstimmung die Runde macht, drohen den Börsen dramatische Kurseinbrüche.
Entsprechend hoffen manche Analysten, dass der Schein trügt und Anleger bald zurückkommen. Vielleicht aufgrund der zuletzt etwas besseren Konjunkturdaten. Vielleicht weil das Weihnachtsgeschäft für den Einzelhandel doch nicht so schlecht lief. Vielleicht… aber eben nur vielleicht. Kleinanleger haben in den letzten Jahren teuer für übertriebenen Optimismus gezahlt. Im Bullenmarkt waren sie die letzten, die in großem Maße einstiegen – den rechtzeitigen Ausstieg haben sie in der Regel verpasst.
Die Datensammler von TrimTabs können das belegen: Nach dem Crash von 1987 zogen Kleinanleger 20 Mrd. Dollar aus dem Aktienmarkt - und verpassten eine gewaltige Erholung. Dann machten sie den Fehler andersrum: Sie investierten 22 Mrd. Dollar in den Markt kurz bevor die Rezession der frühen Neunzigerjahre begann. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase zogen sie erneut 81 Mrd. Dollar ab und verpassten eine Erholungs-Rallye um 29 Prozent.
Dieses Spiel dürfte sich jetzt nicht mehr wiederholen. Viele Anleger haben aus ihren Fehlern gelernt, zumal nach einer Rallye um 70 Prozent selbst beim Laien die Alarmglocken schrillen. Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Die Kleinanleger haben keine Sympathien mehr für die Wall Street und glauben nicht mehr, über Aktien gewinnen zu können. Selbst Unternehmen, die jahrelang als Garanten für gute Rendite standen, haben in der Finanzkrise an Vertrauen eingebüßt oder den Unmut der Leute auf sich gezogen. Zum Beispiel Goldman Sachs. Das Investmenthaus galt jahrzehntelang als grundsolides Unternehmen mit Genies auf allen Etagen - jetzt ist das Traditionshaus mit Schuld an der Misere, in der sich das ganze Land befindet.
Für den Jahresbeginn hatten sich die Bullen mehr versprochen. Und sie geben nicht auf: Für den Moment halten sich die Optimisten am Januar-Indikator fest. Der besagt bekanntlich, dass die ersten fünf Handelstage den Trend für das ganze Jahr vogeben - und der wäre positiv. Doch obwohl der Indikator seit 1928 in rund 75 Prozent der Jahre richtig lag, wissen doch alle, was Miller-Tabak-Analyst Dan Greenhaus zusammenfasst: "Allein mit Blick auf diesen Index zu investieren, ist nicht zu empfehlen."
Quelle: ntv.de