Pharma-Riesen suchen Biotechs im Visier
20.05.2008, 17:12 UhrDer Hunger der großen Pharmakonzerne nach neuen Medikamenten dürfte einer Studie zufolge zu Großübernahmen in der Biotechnologie-Branche führen. "Die Unternehmen ziehen viele strategische Käufer an und erzielen dank ihrer ausgereiften Pipelines und der steigenden Zahl von Produktzulassungen deutlich höhere Transaktionswerte", erklärte der Leiter des Industriesektors Biotechnologie bei Ernst & Young, Siegfried Bialojan, bei der Vorstellung des so genannten weltweiten Biotechnologie-Reports.
Das Zusammenwachsen von Biotech- und Pharmaindustrie werde sich unvermindert fortsetzen, heißt es darin. Eine oder mehrere große Übernahmen reifer Biotechfirmen - wie die von MedImmune durch den britisch- schwedischen Pharmariesen AstraZeneca für 15,6 Mrd. US-Dollar im vergangenen Jahr - seien wahrscheinlich. Doch es handelt sich um keine Selbstläufer. So stand auch der US-Biotechkonzern Biogen, der mit 19 Mrd. Euro an der Börse bewertet wird, stand zum Verkauf - blieb allerdings Ladenhüter.
Megaübernahmen in der Biotechbranche sind umstritten. Einige Investoren wie der US-Milliardär Carl Icahn gehen davon aus, dass sie beträchtlichen Wert schaffen können. Andere glauben, dass kleinere Zukäufe für die Arzneimittelhersteller sinnvoller wären. Den großen Pharmakonzernen werden zwischen 2007 und 2012 Umsatzeinbußen von 67 Mrd. Dollar wegen des Ablaufs von Patenten bei etablierten Arzneien vorhergesagt, die Konkurrenz durch Anbieter von Nachahmerpräperaten (Generika) ist gewaltig. Deshalb halten die Konzerne in der Biotechbranche nach neuen Produkten Ausschau, um für Nachschub zu sorgen - und sind bereit, für neue Wirkstoffe tief in die Tasche zu greifen. Im vergangenen Jahr erreichten die Transaktionen vor diesem Hintergrund einen Höchststand. Allein in den USA betrug das Volumen fast 60 Mrd. US-Dollar und lag damit weit über den entsprechenden Zahlen der Vorjahre. In Europa kletterte das Transaktionsvolumen auf 34 Mrd. US-Dollar.
Doch die deutschen Biotechfirmen profitieren bisher davon kaum. Nach 20 Fusionen und Übernahmen im Jahr 2005 und 15 im Jahr 2006 gab es im vergangenen Jahr nur sieben Transaktionen unter deutscher Beteiligung. Die Biotechnologie steckt in Deutschland im Vergleich zu den USA noch in den Kinderschuhen. Dort erzielen in den USA Biotech-Riesen wie Amgen und Genentech Milliardenumsätze.
Mittlerweile geraten aber auch deutsche Biotechnologiefirmen verstärkt ins Visier von Pharmakonzernen, die dringend Nachschub an Medikamenten suchen. "Die Biotechunternehmen werden die großen Gewinner der Pharmaprobleme sein", sagte Christian Lach, Manager der schweizerischen Beteiligungsgesellschaft BB Biotech. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich ein großer Pharmakonzern ein deutsches Biotechunternehmen greift."
Nach Einschätzung der Ernst & Young-Experten ist die deutsche Biotechnologiebranche auf einem stabilen Wachstumskurs. Die Unternehmen hätten deutliche Fortschritte in der Entwicklung von Produkten gemacht und überzeugten inzwischen mit solideren Geschäftsmodellen. Zwar sei die Zahl der in der Entwicklung befindlichen Wirkstoffe auf 316 von 322 gesunken. In der klinischen Prüfung seien derzeit mit 129 aber fünf Projekte mehr als im Vorjahr. In der Phase der Zulassung seien sogar sechs Wirkstoffe, nachdem es im Vorjahr zwei waren.
Während die Zahl der Kooperationen und Lizenzvereinbarungen zwischen deutschen Biotechunternehmen und Pharmakonzernen 2007 leicht zurückging, nahm ihr Wert dennoch deutlich zu. So wurden 2007 Verträge im Rekordwert von 675 (Vorjahr 159) Mio. Euro abgeschlossen - den Löwenanteil davon machte die Kooperation von Morphosys und Novartis aus. "Die erfolgreichen Abschlüsse deutscher Biotechunternehmen untermauern den Fortschritt der Unternehmen in der Produktentwicklung und sind wichtige Treiber des gegenwärtig guten Kurses Branche", heißt es bei Ernst & Young. Dieser sei trotz jüngster Rückschläge bei GPC und Paion intakt.
2007 steigerten die deutschen Biotechunternehmen den Umsatz um sechs Prozent auf rund eine Mrd. Euro. In Forschung und Entwicklung wurden mit 980 Mio. Euro 16 Prozent mehr investiert, der erste kräftige Zuwachs seit Jahren. Die Zahl der Beschäftigten zog um vier Prozent auf 10.162 an. Während 2004 nur 29 Prozent der Firmen Gewinne machte, sind es nun schon 40 Prozent. Gleichwohl summierten sich die Verluste der Branche in Deutschland auf 665 Millionen Euro, das waren sieben Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Weltweit stieg der Umsatz aller börsennotierten Unternehmen der Biotechbranche um acht Prozent und knackte erstmals die Marke von 80 Mrd. US-Dollar. Ihre Nettoverluste sanken in der Summe zugleich von 7,4 Mrd. auf 2,7 Mrd. US-Dollar. In den USA sei die Branche mit Verlusten von 300 Mio.US-Dollar der Gewinnschwelle näher als je zuvor gewesen.
Quelle: ntv.de