Historische Zinsschritte EZB zieht mit
05.03.2009, 13:45 UhrDie Europäische Zentralbank (EZB) hat ihren Leitzins im Kampf gegen die Wirtschaftskrise auf den tiefsten Stand seit Einführung des Euro vor zehn Jahren gesenkt. Die Währungshüter nahmen den Schlüsselzins für die Refinanzierung der Banken auf 1,5 von zwei Prozent zurück.
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet ließ sich bei der traditionellen Pressekonferenz nach dem Beschluss zwar ein Hintertürchen für weitere Zinssenkungen offen, erklärte aber auch, dass eine Nullzinspolitik wie in den USA oder Japan aus Sicht des EZB-Rats mehr Nachteile als Vorteile brächte. "Wir haben uns nicht darauf festgelegt, dass dies der niedrigste Punkt ist", sagte Trichet auf die Frage nach einer Untergrenze des Leitzinses. "Ich bestätige aber, dass wir einige Nachteile bei einer Nullzinspolitik sehen."
Kurswechsel möglich
Einen Kurswechsel zu einer Geldpolitik der quantitativen Lockerung, bei der die EZB nach dem Vorbild anderer Zentralbanken die Geldmenge aufblähen würde, um die Wirtschaft zu stützen, schloss Trichet nicht völlig aus. Diverse Optionen würden geprüft, sagte der Zentralbankchef ohne Details zu nennen. Er kündigte aber an, dass angesichts der anhaltenden Finanz- und Bankenkrise die im vergangenen Jahr begonnene unbegrenzte Liquiditätsversorgung der Banken so lange wie nötig fortgesetzt werde.
Trichet begründete den Zinsbeschluss des EZB-Rats mit der sich vertiefenden Rezession in den Ländern der Währungsunion und der weiter nachlassenden Kreditvergabe durch die Banken in den vergangenen Monaten. Zwar werde sich die Konjunktur im kommenden Jahr graduell erholen. Die EZB-Volkswirte hätten jedoch ihre Prognosen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in diesem Jahr deutlich gekappt. Sie rechnen nun damit, dass die Konjunktur 2009 um bis zu 3,2 Prozent schrumpfen wird. Die noch im Sommer rekordhohe Inflation ist indes kein Thema mehr.
Kritik von Gewerkschaften
Die Wirtschaft begrüßte die Zinsentscheidung. "Sie nutzt den Spielraum, den ihr der sinkende Preisdruck eröffnet", sagte der Chefvolkswirt des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Der Deutsche Gewerkschaftsbund DGB ging die EZB dagegen scharf an. "Sie reagiert zu spät und zu zögerlich auf die historische Wirtschaftskrise", sagte der DGB-Chefvolkswirt Dierk Hirschel. "Sie hätte sich ein Beispiel an den angelsächsischen Banken nehmen und die Zinsen schnell und drastisch senken sollen." In den USA liegt der Leitzins nahe null Prozent, in Großbritannien bei 0,5 Prozent.
Analysten zeigten sich mehrheitlich davon überzeugt, dass die EZB trotz des mittlerweile erreichten niedrigen Zinsniveaus in den kommenden Monaten erneut an der Zinsschraube wird drehen müssen. "Das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange", sagte Norbert Braems von der Privatbank Sal. Oppenheim. "Die EZB wird voraussichtlich schon im April auf ein Prozent nach unten gehen. Dann dürfte aber das Ende erreicht sein - es sei denn, es kommt zu einer neuen Eskalationsstufe in der Konjunktur und bei der Inflation."
London macht es vor
Zuvor hatte bereits die Bank von England den Leitzins gesenkt. Die britische Notenbank senkte den Zins ebenfalls wie erwartet von einem Prozent auf 0,5. Das teilte die Bank von England in London mit. Die Krise hat Großbritannien besonders stark im Griff. So niedrig stand der Zins, zu dem sich die Geschäftsbanken bei der Zentralbank Geld besorgen können, noch nie.
Im Kampf gegen Finanzkrise und Rezession will Notenbankgouverneur Mervyn King in Zukunft auch unkonventionelle Maßnahmen ergreifen. Unter anderem sollen Wertpapiere im Volumen von bis zu 75 Mrd. Pfund von den Banken angekauft werden, zum größten Teil Staatsanleihen. Dadurch soll zusätzliches Geld in die Wirtschaft gepumpt und der Kreditfluss von den Banken zu Unternehmen und Haushalten wieder in Gang gebracht werden.
Quelle: ntv.de