Börsengang verschoben Evonik lässt sich Zeit
25.02.2008, 09:34 UhrDie Evonik Industries wird in diesem Jahr wohl nicht mehr an die Börse gehen. Angesichts der Finanzmarktkrise sei der im vergangenen Jahr nach zweijährigem politischen Ringen beschlossene Börsengang im Jahr 2008 vom Tisch, schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Der aus dem Steinkohlekonzern RAG abgespaltene Essener Chemie-, Energie- und Immobilienkonzern mit 43.000 Beschäftigten und einem Umsatz von etwa 15 Mrd. Euro würde gegenwärtig am Kapitalmarkt fast ein Drittel weniger einbringen als im vergangenen Jahr kalkuliert, zitiert die Zeitung Beraterkreise des Evonik-Eigentümers, der RAG-Stiftung.
Als im Frühsommer der heftige politische Streit um das Stiftungs-Börsenmodell beigelegt werden konnte, hatten Gutachter den Unternehmenswert von Evonik auf mindestens fünf Mrd. Euro veranschlagt. Aus den Verkaufserlösen sollen vom Jahr 2019 an die so genannten Ewigkeitslasten des Bergbaus zum Beispiel für die Wasserhaltung in den stillgelegten Zechen finanziert werden. "Wir bereiten uns unverändert auf einen Börsengang im ersten Halbjahr vor. Für die Festlegung des genauen Zeitpunktes berücksichtigen wir natürlich auch das Kapitalmarktumfeld", sagte Evonik-Sprecherin Barbara Müller der "FAZ".
Aber die für die Zukunft des Essener Unternehmens Verantwortlichen sind konkreter. "Evonik ist ein sehr wertvolles Unternehmen, viel zu wertvoll, um verscherbelt zu werden", hatte zwei Tage zuvor Wilhelm Bonse-Geuking, Stiftungschef und Vorsitzender des Evonik-Aufsichtsrates, in Bochum vor Betriebsräten erklärt. "Nichts treibt uns", sagte Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Der geplante Börsengang sollte nicht überhastet stattfinden. Die Aktien dürften nur zu einem guten Preis abgegeben werden.
Anfang Februar war Schmoldt, der im Stiftungskuratorium die Arbeitnehmerinteressen vertritt, vor Betriebsräten weiter gegangen. Er hatte im Augenblick einen Beteiligungsverkauf an Investoren als vorteilhafter bezeichnet. Denn wenn man jetzt Aktien im Publikum an der Börse platziere, entstehe ein Handlungsdruck, der für die langfristigen Perspektiven ungünstig sei. Er hoffe, es gelinge der Stiftung, den passenden Partner zu finden, der die Finanzkraft des Unternehmens stärkt und seinen Ausbau ermöglicht.
Die Stiftung befindet sich in einem Dilemma. Bundestag und Bundesrat haben im zweiten Halbjahr 2007 ein Gesamtkonzept beschlossen, das sich anstelle der lange umstrittenen Einzelverwertung der industriellen Geschäfte auf einen Börsengang stützt. Dabei ist allerdings für bis zu einem Drittel des Eigenkapitals der Verkauf an einen oder einzelne Investoren zulässig. Betriebswirtschaftlich ist der vom früheren RAG-Vorstandsvorsitzenden Werner Müller geführte Evonik-Konzern zwar auf gutem Kurs. Vor allem die Chemie-Sparte verbessert in florierender Weltkonjunktur ihre Erträge, aber auch das Stromgeschäft läuft gut. Nur der richtige Zeitpunkt am Kapitalmarkt wurde verpasst.
Zum Zeitverlust hat der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) einiges beigetragen, wie es in dem Bericht weiter heißt. In seinem Kampf gegen den parteilosen, aber der SPD nahestehenden früheren Bundeswirtschaftsminister Müller, den Architekten des Stiftungs- und Börsenkonzept für den heimischen Steinkohlenbergbau, setzte Rüttgers für sein Bundesland zwar niedrigere Subventionen für den Steinkohlenbergbau durch. Aber nun muss er auf die Maximierung der Verkaufserlöse für Evonik achten. Denn wenn die Ewigkeitslasten irgendwann nicht mehr von der Stiftung finanziert werden könnten, müsste in erster Linie Nordrhein-Westfalen einspringen. Laut "FAZ" kommen neuerdings auch aus Rüttgers' Umfeld Hinweise auf die Vorteile eines Investors anstelle eines Börsengangs.
Bei diesen unmissverständlichen Signalen aus den Gremien dürfte die offizielle Verschiebung des Börsengangs nur noch eine Frage von Tagen sein. Nach Informationen der "FAZ" will die Stiftung nun bis Ende April in konkreten Gesprächen mit potenziellen Investoren deren Preisvorstellungen ausloten. Dazu zählt die Prominenz der Eigenkapitalfinanziers und Beteiligungsfonds, angefangen bei KKR über Blackstone bis Bain Capital.
Quelle: ntv.de