Zehn Jahre Ruhe Gasstreit beendet
19.01.2009, 16:50 UhrDie staatlichen Energieversorger Russlands und der Ukraine, Gazprom und Naftogas, haben in Moskau nach einem langen Gasstreit einen neuen Vertrag unterzeichnet. Die Zeremonie wurde im Staatsfernsehen live übertragen. Das Dokument legt Gaspreise und Transitgebühren fest. Damit ist nach fast zwei Wochen Totalblockade der Weg frei für eine Wiederaufnahme russischer Gaslieferungen durch die Ukraine in Richtung Westen.
"Ich hoffe, dass wir heute den Schlusspunkt gesetzt haben", sagte Regierungschef Wladimir Putin im Beisein seiner ukrainischen Amtskollegin Julia Timoschenko. Timoschenko kündigte eine baldige Wiederaufnahme der Gaslieferungen nach Westen an. Bei den Kunden in der EU soll das Gas bis Mitte der Woche eintreffen.
Zehn Jahre Zuverlässigkeit
Die EU-Kommission in Brüssel verlangte in einer ersten Reaktion einen genauen Zeitplan für die Wiederaufnahme der Lieferungen. Die Beobachter würden überprüfen, ob das Gas tatsächlich wieder strömt. In den von dem Gasstreit besonders betroffenen Ländern in Südosteuropa geht man derweil auf Nummer sicher. So hat Bulgarien trotz der Einigung zwischen Moskau und Kiew die heimischen Verbraucher von Erdgas zu weiteren Sparmaßnahmen aufgerufen. Der Krisenstab in Sofia rief die auf Gas angewiesenen Betriebe am Montag auf, noch stärker auf Öl oder andere Energieträger umzustellen. Derzeit kann Bulgarien aus den nationalen Reserven nur etwa 45 Prozent seiner üblichen Gasversorgung abdecken und sucht seit Tagen händeringend nach Alternativen.
Der frühere Kremlchef Putin äußerte in einer vom Staatsfernsehen live übertragenen Erklärung sein Mitgefühl für die Kunden in Europa, die seit Jahresbeginn zu "Geiseln" im Energiestreit gemacht worden seien. "Russland trägt daran aber keine Schuld", betonte Putin. "In den kommenden Jahren gibt es keinen Streit mehr über Gaspreise und Lieferungen", versprach Timoschenko. Ihr Land werde das Gas aus Russland unverzüglich weiterleiten. "In den kommenden zehn Jahren wird die Gasversorgung Europas und der Ukraine von Ruhe und Zuverlässigkeit geprägt sein", so die Ukrainerin.
Künftig wird man Putin zufolge zwischen Gazprom und Naftogas auf Zwischenhändler verzichten. Gemeint war der umstrittene Gashändler Rosukrenergo, der mit unklarer Eigentümerstruktur ein Vermögen im Gasgeschäft verdient haben soll. Auch das jüngst von Moskau geforderte internationale Konsortium für die Bezahlung des sogenannten technischen Gases zum Pipeline-Betrieb sowie die angeforderten EU-Gaskontrolleure seien nicht mehr nötig. "Wir haben eine optimale Lösung für Russland und die Ukraine gefunden", sagte Putin.
Wilde Preisdiskussionen
Die Ukraine muss ab 2010 Gaspreise auf EU-Niveau zahlen und bekommt für das laufende Jahr noch einen Rabatt von 20 Prozent. Im Gegenzug sollen 2009 die Transitgebühren nicht erhöht werden. Darauf hatten sich Putin und Timoschenko bereits nach zähen Verhandlungen am Wochenende in Moskau geeinigt. Konkrete Bezugspreise für das Gas wurden zunächst nicht genannt, gleich nach Vertragsabschluss am Montag gingen die Preisvorstellungen aber wild durcheinander: Ein Juschtschenko-Berater sagte, die Ukraine sei zur Zahlung von "maximal 199 Dollar" je 1000 Kubikmeter Gas bereit. Nach Angaben aus Kiew erwarte Gazprom aber die Zahlung von 360 Dollar. Timoschenko sagte, der Preis dürfte zwischen "230 und 250 Dollar" liegen. Zuletzt hatte die Ukraine knapp 180 Dollar (136 Euro) je 1000 Kubikmeter Gas bezahlt.
Die am 7. Januar verhängte Totalblockade von Europas wichtigster Gas-Transitstrecke hatte in mehreren EU-Staaten einen Energie- Notstand ausgelöst. Die EU-Führung kritisierte wiederholt, dass durch den Gasstreit das Vertrauen in die Zuverlässigkeit Russlands und der Ukraine nachhaltig gestört sei. Russland hatte am 1. Januar zunächst die Lieferungen für den ukrainischen Eigenverbrauch gestoppt. Unter dem Vorwurf, Kiew stehle für die EU bestimmtes Gas, wurden eine Woche später auch die Transitlieferungen gestoppt. Die Ukraine bestreitet bis heute jeglichen Gasdiebstahl.
Am Montag hatte es im Tagesverlauf zunächst noch so ausgesehen, als wollte Timoschenkos innenpolitischer Rivale, der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko, die Einigung noch boykottieren. Über einen Sprecher stellte Juschtschenko in Kiew die Forderung nach höheren Transitgebühren. Eine Stellungnahme des Präsidenten lag am Abend zunächst nicht vor. Bereits vor einer Woche war von Russland und der Ukraine eine Einigung verkündet worden, nachdem alle Seiten einer internationalen Gas-Kontrollmission zugestimmt hatten. Die Weiterleitung erster russischer Teillieferungen scheiterte aber nach ukrainischen Angaben an technischen Problemen.
Seit Jahresbeginn streiten beide Länder über Preise und Transitgebühren. Die neuen Preise bedeuten eine schwere Belastung für die ukrainische Industrie. Von der Totalblockade der Ukraine-Pipeline sind mehrere südosteuropäische EU-Länder schwer getroffen. Vielerorts brach bei starkem Frost der Energie-Notstand aus.
Quelle: ntv.de