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Essstörungen bei Älteren "Diese Zahlen rütteln auf"

Kelli Smith war aufgeregt, als sie das Behandlungszentrum für Essstörungen in Philadelphia betrat. Nach jahrelangem Zweifeln hatte sie sich endlich dazu durchgerungen, professionelle Hilfe gegen ihre Magersucht zu suchen. Aber beim Anblick der anderen Patientinnen kam erneut Skepsis bei der damals 31-jährigen Frau auf. "Ich blickte mich um und dachte: 'Die sind ja alle viel jünger als ich'", erzählt sie.

Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie gelten als Krankheiten junger Menschen. Aber in den vergangenen Jahren suchen zunehmend Frauen im Alter über 30, 40 und sogar 50 Jahren Hilfe. Manche Therapiezentren bieten inzwischen sogar eigene Programme für diese Altersgruppe an.

Problem besteht meist seit Jahren

Die meisten älteren Frauen, die eine Therapie beginnen, haben das Problem schon seit Jahren, wie Donald McAlpine berichtet. "Magersucht und Bulimie erreichen den Höhepunkt im Alter um 20 Jahre", sagt der Leiter des Zentrums für Essstörungen der Mayo Clinic in Rochester im US-Staat Minnesota. "Aber viele Patientinnen kämpfen mit den Symptomen bis ins mittlere Lebensalter."

Einige Zahlen verdeutlichen, wie stark die Nachfrage zugenommen hat: In St. Louis Park, einem Vorort von Minneapolis, suchten 2003 im Institut für Essstörungen insgesamt 43 Frauen ab dem Alter von 38 Jahren Hilfe, neun Prozent aller Patientinnen. In den ersten sechs Monaten 2007 behandelte das Institut fast 500 Frauen dieses Alters, 35 Prozent der Patientinnen. "Was auch immer die Ursache ist, diese Zahlen rütteln auf", sagt Carol Tappen, die Leiterin des Instituts.

Auch das Renfrew Zentrum in Philadelphia verzeichnet seit Jahren eine verstärkte Nachfrage: 2005 war jede fünfte Patientin über 30 Jahre alt. Die Mitarbeiterin Holly Grishkat unterscheidet vor allem drei Gruppen von Patientinnen. Viele leiden schon seit Jahren an einer Essstörung. Andere glaubten das Problem schon überwunden, aber dann tauchte es wegen einer starken Belastung einer Trennung oder dem Tod eines nahen Angehörigen wieder auf. Schließlich entwickeln manche Frauen eine Essstörung erst spät im Leben. Im Renfrew Center begannen die Probleme bei etwa 60 Prozent der älteren Patientinnen schon vor dem 19. Lebensjahr. Bei fast 20 Prozent trat die Störung erst nach dem Alter von 30 Jahren auf.

"Mein Körper ist verbraucht"

Zwar sorgen sich Menschen jedes Alters um ihr Aussehen. Aber bei vielen über 30-Jährigen kommen weitere Probleme hinzu: Alter, Arbeit, Scheidung, Kinder oder alternde Eltern. "Es geht nicht darum, Cheerleader oder Schönheitskönigin sein zu wollen", betont Tappen. "Es geht um sehr viel mehr. Die Frau wacht eines Morgens auf, die Kinder sind weg, und sie hat das Gefühl, dass niemand mehr sie braucht", erzählt Tappen. "Sie schaut in den Spiegel und sagt 'Mein Körper ist verbraucht'. Die Frau geht auf Diät."

Auch die alternde Generation der Baby Boomer trägt zu diesem Phänomen bei. Zu dieser Generation gehören nicht nur besonders viele Menschen, sondern diese sind auch modebewusster. "Die Baby Boomer haben immer darauf geachtet, wie sie aussehen", berichtet Tappen. "Viele Essstörungen waren noch vor Jahren undiagnostiziert, denn das war damals einfach in Mode."

Tappens Institut baut gerade ein neues Zentrum, das sich ab 2009 auf reifere Frauen spezialisieren soll. Auch Grishkat glaubt, dass altersspezifische Programme älteren Patientinnen besser helfen. Manche fühlen sich in Gegenwart jüngerer Frauen gehemmt. Andere wiederum nehmen eher eine Mutterrolle für die Jüngeren ein, obwohl sie sich auf sich selbst konzentrieren sollten.

"Eine Therapie macht auch im Alter Sinn"

"Eine Therapie macht auch im Alter Sinn", betont Grishkat. "Manche älteren Frauen erzielen sogar bessere Erfolge, denn sie sind oft motivierter." Für Smith gab damals der Wunsch nach einem Kind den Ausschlag. Zu Beginn der Therapie erfuhr sie, dass ihre Magersucht die Möglichkeit beeinträchtigen könne, Kinder zu bekommen. Nun ist sie 39 Jahre alt, die Therapie hat sie abgeschlossen. Zusammen mit ihrem Mann und ihrem zweijährigen Sohn lebt sie in New Jersey. "Ich habe zugenommen, weil ich ein Kind haben wollte", sagt sie. "Und für den Jungen werde ich gesund bleiben."

Quelle: ntv.de

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