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Auch die Stimme altert Schlagerstars singen einfache Songs

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Karel Gott wird auch "Goldene Stimme von Prag" genannt.

(Foto: picture alliance / Wolfram Kastl)

Viele Sänger und Bands geben Jahre nach einem Superhit ein Revival. Dann sind sie meistens sichtbar in die Jahre gekommen. Dennoch hören sich die Songs so an wie damals. Ist das eine Täuschung oder können Profis auch im Rentenalter genauso ihre Lieder singen wie in jungen Jahren? Die Gesangspädagogin Uta Feuerstein beantwortet diese und andere Fragen im Gespräch mit n-tv.de.

n-tv.de: Schlagerstars singen seit Jahrzehnten die gleichen Hits, die sich immer wieder gleich anhören. Ihre Stimmen scheinen nicht zu altern. Können Sie erklären, wie die das machen?

Uta Feuerstein: Jetzt muss ich erst einmal schmunzeln. Ich arbeite viel mit Sängern zusammen, sowohl im Gesangsunterricht als auch im Rahmen von logopädischen Behandlungen mit den Stimmstörungen von Sängern. Und meine Erfahrung ist: Hits, die sich so anhören, als seien sie immer gleich, sind es in der Regel auch. Es gibt viel Schummeleien im Showbusiness. Auch bei neuen CDs werden gerne mal ältere Tonspuren eingespielt, wenn die Stimme gerade einmal nicht ihre gewohnte Leistung erbringt. Bei Liveauftritten wird dann ebenfalls gerne mal ein Playback verwendet. Vielleicht nicht durchgängig, damit es realistischer ist. Außerdem gibt es Möglichkeiten, die Stimmen durch technische Tricks so anzupassen, dass ein Ton, der schief gesungen wurde, gerade herauskommt. Dass das möglich ist, ist beeindruckend.

Auch die Klangfarbe ist oft manipuliert, es wird schon mal eine künstliche Brillanz hineingespielt, um der Stimme mehr Glanz zu verleihen, wenn sie eigentlich stumpf und verhaucht klingt. Bevor ich das wusste, habe ich mich auch oft bei Aufnahmen gefragt: wie machen die das? Weil die Stimmen im Klangergebnis nicht mit meinen Erfahrungen als Gesangspädagogin zusammenpassten – also das Stimmergebnis nicht dazu gepasst hat, wie sie gesungen haben. Bevor wir also über unermüdliche Stimmen sprechen, müssten wir erst einmal sicher sein, dass wir von reellen Stimmen sprechen.

Das klingt deprimierend. Gibt es denn reelle Stimmen?

Natürlich gibt es die! Ich wollte damit nur andeuten, dass nicht immer alles so ist, wie der Schein uns vorgaukelt. Um ein Leben lang zu singen, ohne dass die Stimme ermüdet oder sogar erkrankt, sollten Sänger einiges beachten:  Es ist wichtig, dass man nur in dem Tonhöhenumfang singt, den man auch problemlos erreicht. Schlagerstars beispielsweise singen in einer Höhe, die viele Nichtsänger problemlos mitsingen können. Die Gefahr der Überanstrengung ist also gering. Sänger, die viele Jahre ihres Lebens singen, haben in der Regel eigene Lieder komponiert, die ihnen selbst liegen. Außerdem sollte man eine richtige Stimmtechnik anwenden. Man sollte auf keinen Fall mit Atemdruck (Anspannen des Bauches oder des Beckenbodens) beim Singen arbeiten.  

Auch hier haben die Schlagerstars Vorteile. Da im Schlagerbereich eher positive Emotionen vermittelt werden, wird hier seltener mit Atemdruck gearbeitet. Wenn man Wut ausdrücken möchte, singt man schon ohne eine entsprechende Stimmtechnik mit Atemdruck, da dies das übliche Muster ist, wie wir mit unserer Stimme Wut ausdrücken. Wenn sie sich hingegen im Popbereich und im Bereich der Rockmusik umschauen, werden sie viel häufiger kaputte Stimmen hören, da der Überdruck häufig zu sogenannten Sängerknötchen oder Taschenfaltenstimmen oder sogar Einblutungen der Stimmlippen führen.

Ist die Karriere dann am Ende?

Häufig nicht. Viele Sänger haben im Laufe ihrer Karriere die eine oder andere Stimmbandoperation aufgrund von Sängerknötchen oder aufgrund von Einblutungen. Da gibt es eine Reihe bekannter Künstler wie Adele, John Mayer, Bill Kaulitz, Elton John, Eros Ramazotti oder den Klassiksänger Rollando Villazón … die Liste ist sehr lang. Leider hört man selten, dass sie sich nach dem Eingriff  professionelle Stimmtherapie suchen. Aber vielleicht gelangt das auch nicht immer an die Öffentlichkeit.  Häufig wird bis zur nächsten OP weitergesungen. Das ist natürlich ein Spiel mit dem Feuer, denn jede Operation birgt Risiken.

Was raten Sie?

Sänger, die ein Vibrato zulassen, haben es leichter als Menschen, die versuchen, die Stimme gerade zu halten, da dies der natürlichen Stimmfunktion widerspricht. Die Stimmlippen vibrieren im Vibratorhythmus zirka fünf bis sechs Mal pro Sekunde zusätzlich zum Grundton und den Obertönen der Stimme. Das Vibrato ist auch ein Indiz dafür, dass man keinen übermäßigen Atemdruck anwendet.
Auch hier haben es Schlagersänger und natürlich Klassiksänger leichter. Hier ist das Vibrato erlaubt – obwohl man auch dann noch das eine oder andere falsch machen kann. Im Bereich der Popmusik oder der Rockmusik finden sich viele Vorbehalte gegen das Zulassen des Vibratos. Daher spannen viele ihre Stimmlippen an und überanstrengen damit ihre Stimme.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Nehmen wir zum Beispiel Abba. Wenn man genau hinhört, hatten die Sängerinnen immer ein leichtes Vibrato. Sie haben sehr lange gemeinsam gesungen, ohne stimmlich zu ermüden. Wenn heute Abba nachgesungen wird, wird vielfach das Vibrato unterdrückt, um die Stimmen dem heutigen Klangideal im Popbereich anzupassen. Heute wird viel mit der sogenannten Belting-Technik gearbeitet, welche kein Vibrato zulässt und die Stimme auch in der Kopfstimme ähnlich voll klingen lässt wie in der Bruststimme. Ich persönlich höre das Abba-Original daher immer deutlich lieber. Es gibt aber auch Sänger ohne Vibrato, die keine Stimmprobleme bekommen. Mit einer verhauchten Stimme hört man ebenfalls kein Vibrato und kann man seine Stimme weniger kaputtmachen als mit einer überanstrengten Stimme. Allerdings kann man mit einer verhauchten Stimme nicht viel anfangen. In der Höhe ist man mit Hauch verloren. Auch schult man seine Stimmlippenmuskulatur damit nicht besonders.

Wird denn die Stimme auch altersbedingt schlechter?

Ja, es gibt allgemein altersbedingte Verschlechterungen der Stimme. Hormonell bedingt verknöchert der Kehlkopf, die Schleimhäute sind weniger befeuchtet, die Stimmlippenmasse nimmt bei Frauen zu, was die Stimme tiefer werden lässt. Bei Männern hingegen nimmt die Stimmlippenmasse ab, was  dazu führt, dass sie im Extremfall fistelig werden. Auch wird das Bindegewebe schwächer. Das führt oft bei alten Frauen in Chören zu dem unbeliebten Vibrato mit einer extremen Amplitude. Ein schwaches Bindegewebe der Stimmbänder wirkt sich stimmlich weniger dramatisch aus, wenn der darunterliegende Stimmlippenmuskel, der sogenannte Vocalismuskel, gut in Form ist. Ich selbst habe viele Sänger und Sprecher in der Stimmtherapie behandelt, die angeblich nur aufgrund einer Altersstimme Probleme hatten und nicht mehr singen konnten oder schon im Sprechen so leise und heiser waren, dass sie sich kaum noch verständlich machen konnten. Die Alterserscheinungen der Stimme lassen sich durch eine gute Stimmtechnik und das Training der richtigen Muskulatur auch bei Nichtsängern gut kompensieren. Dass man auch im hohen Alter noch hervorragend singen kann, hört man bei Jose Carreras, der mit 71 Jahren noch manchen Tenor in den Schatten stellt. Stimmprobleme sind nicht allein mit dem Alter zu begründen, sondern oftmals das Ergebnis einer jahrelangen Fehlbeanspruchung der Stimme.

Uta Feuerstein ist Gesangspädagogin im Stimmig-sein-Institut für Gesang, Sprechstimme & Psyche und Inhaberin einer logopädischen Stimmtherapiepraxis in Köln. Mit ihr sprach Jana Zeh.

Quelle: ntv.de

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