20 Jahre Eurotunnel Als England aufhörte, eine Insel zu sein
30.11.2010, 16:38 UhrJahrhundertelang war es Traum, eine Fantasie für größenwahnsinnige Technikfreaks. Doch vor 20 Jahren wurde endlich wahr, was viele auch gefürchtet haben: Unter dem Ärmelkanal wurde ein Tunnel gegraben.

Der Durchbruch ist geschafft: Am 1. Dezember 1990 trifft der französische Tunnelbauer Phillippe Cozette (rechts) mitten unterm Ärmelkanal auf seinen britischen Kollegen Graham Fagg.
(Foto: dpa)
Am 1. Dezember 1990 schrieb Philippe Cozette Geschichte. Das Los hatte den Franzosen dazu bestimmt, vor Dutzenden internationalen Kamerateams mit ratterndem Dampfhammer ein Stück Gestein zu durchbohren. In wenigen Minuten schaffte er, was französische Medien euphorisch mit den Worten beschrieben: "England hat aufgehört, eine Insel zu sein!". Durch das entstandene Loch tauschte Cozette tief unterm Ärmelkanal mit einem lächelnden englischen Kollegen seine französische Flagge gegen eine britische.
Cozette hatte den Durchstich des Eurotunnels zwischen England und Frankreich vollzogen. Zwar war es nur eine der insgesamt drei Röhren - der sogenannte Diensttunnel fürs Wartungs- und Rettungspersonal -, doch der Schritt galt als historisch. Denn jahrhundertelang waren ähnliche Projekte immer wieder gescheitert - oft am Geld, oft aber auch an der Angst britischer Militärs vor einer möglichen Invasion vom europäischen Festland aus. Kein Wunder, dass sogar der heutige Eurotunnel-Vertrag nach französischen Angaben für den Fall eines Konfliktes zwischen beiden Ländern eine Geheimklausel für die Schließung der Verbindung vorsieht.
Erste Tunnelpläne schon zu Zeiten Napoleons
Denn psychologisch bedeutete eine Landverbindung für die Briten die Aufgabe ihres Konzeptes einer "splendid isolation" - also einer von der Insellage garantierten Isolierung von den Irrungen und Wirrungen des europäischen Kontinents. Schon zu Napoleons Zeiten gab es erste Pläne für einen Tunnel, doch militärische Konflikte machten sie immer wieder zunichte. Erst in den 1950er Jahren gab es neue Vorstöße, die von Ex-Premierminister Winston Churchill ausgingen.
Für die Franzosen stand die technologische Herausforderung im Vordergrund. Ähnlich wie bei anderen technischen Meisterwerken - vom Suez-Kanal bis zum Überschall-Jet Concorde - war das Projekt kommerziell zunächst ein Fiasko. Vor allem für die vielen Kleinanleger, die aus dem Stöhnen kaum noch herauskamen: ihre Eurotunnel-Aktie war zeitweise weniger als eine Tasse Espresso wert.
Begonnen hatten die Arbeiten Ende 1987 auf der britischen Seite am Shakespeare Cliff. Riesige Maschinen bohrten sich durch das Erdreich. Jahrelange Bauarbeiten und Millionenkosten später weihten Queen Elizabeth II. und der damalige französische Präsident François Mitterrand die Röhre im Frühjahr 1994 ein. Im November lief der fahrplanmäßige Zugverkehr an - allerdings schon gleich mit einigen Wochen Verspätung.
Verspätungen und dramatische Zwischenfälle
Heute befördern die Hochgeschwindigkeitszüge jährlich rund sieben Millionen Menschen unter dem Ärmelkanal hindurch. Der Austausch läuft indes nicht immer erfreulich ab. Neben Ärger über Verspätungen gab es auch dramatische Zwischenfälle. Schon zweimal brannte es, zuletzt im Herbst 2008, als ein Lastwagen in Flammen aufging. Millionenschaden entstand 1996 bei einem Feuer an einem Zug. Außer dem Eurostar für Passagiere nutzen auch Güter- und Autozüge den Tunnel.

Siemens steigt ins Eurostar-Geschäft ein.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Hinzu kommen Ärger über Verspätungen oder Zugausfälle, zuletzt im vergangenen Winter. Kurz vor Weihnachten 2009 mussten rund 2000 Passagiere stundenlang in einem feststeckenden Zug ausharren. In den Wochen darauf war der normale Fahrplan immer wieder gestört.
Doch die Röhre bleibt gefragt. Von 2013 an will die Deutsche Bahn ihre ICE-Züge hindurch schicken. Die Testfahrten dafür vor wenigen Wochen verliefen schon mal erfolgreich. Und noch einen Erfolg brachte der Tunnel jüngst für deutsche Beteiligte. Der Siemens-Konzern setzte sich gehen den französischen Konkurrenten Alstom durch und darf zehn Eurostar-Züge bauen. Das Vertragsvolumen liegt bei 600 Millionen Euro. Alstom will sich noch nicht geschlagen geben.
Briten haben "Landverbindung" liebgewonnen
Die reisefreudiger gewordenen Briten haben ihre "Landverbindung" mittlerweile liebgewonnen - zumindest, wenn es gerade passt. Als im Frühjahr tagelang der Flugverkehr wegen Vulkanasche in der Luft brach lag, gab es Extra-Eurostarzüge und viele dankbare Inselbewohner.
Quelle: ntv.de, Ralf Krüger und Britta Gürke, dpa