Panorama

Kampf um die Wahrheit Hilfsprojekte führen Menschen zusammen

Nach dem Super-GAU von Tschernobyl knüpften Initiativen im Kampf um die Wahrheit und um Hilfe für die Strahlenopfer weltweit Verbindungen. Auch mit Deutschland bestehen enge Kontakte. So entstanden nicht nur viele Freundschaften. Einige fanden die große Liebe.

Kinder aus der Region Gomel bei Tschernobyl verbringen die Ferien in Deutschland.

Kinder aus der Region Gomel bei Tschernobyl verbringen die Ferien in Deutschland.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Seit drei Jahren lebt Irina Gruschewaja in Berlin. Deutschland ist ihr Zuhause geworden, weil in ihrer Heimat Weißrussland ihr Einsatz für die Opfer der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl massiv behindert wird. Seit sie 1989 die Stiftung Den Kindern von Tschernobyl e.V. mitgründete, hat Gruschewaja besonders zu Hilfsinitiativen in Deutschland enge Kontakte geknüpft. Die Deutschen nähmen nicht nur Kinder aus verstrahlten Gebieten auf, sondern hätten auch ein starkes Bewusstsein für die Gefahren der Atomkraft, sagt sie. Gruschewaja ist kein Einzelfall: Seit der Reaktorkatastrophe vor 25 Jahren haben sich viele persönliche Beziehungen zwischen Deutschen und Weißrussen entwickelt. Auch einige Liebesgeschichten nahmen so ihren Anfang.

"In meiner Wohnung auf meinem Sofa ist die Idee für Kinder von Tschernobyl entstanden", sagt Gruschewaja über die Gründung ihrer Stiftung Ende 1989 in Minsk. Damals kam im Zuge der Umwälzungsprozesse im Ostblock nach und nach ans Licht, dass sich die Folgen des Super-GAU vom 26. April 1986 keineswegs auf die Ukraine beschränkten. Im Kampf um die Wahrheit und um Hilfe für die Strahlenopfer knüpfte die Stiftung bis heute Beziehungen zu rund 500 Initiativen in 21 Ländern.

"Sehr tiefe Freundschaften sind entstanden"

Als Germanistik-Dozentin bemühte sich Gruschewaja von Anfang an für ihre Stiftung um Unterstützung aus Deutschland. Sie ließ sich von Ost- nach West-Berlin schleusen und berichtete dort bei einer Pressekonferenz, wie stark viele Weißrussen entgegen der offiziellen Propaganda unter der radioaktiven Verstrahlung litten. Seitdem wurde Gruschewaja von deutschen Hilfsinitiativen unterstützt. "Sehr tiefe Freundschaften sind daraus entstanden, und die halten sich über Jahre hinweg", sagt die 62-Jährige. Als die Arbeit ihrer Stiftung von den weißrussischen Behörden zunehmend kriminalisiert wurde, ging Gruschewaja nach Deutschland ins Exil und setzte ihre Arbeit hierzulande fort.

Nach Deutschland verschlagen hat es auch die 29-jährige Weißrussin Jekaterina Wesseler, die sich seit Jahren als Betreuerin und Übersetzerin in der Tschernobyl-Stiftung engagiert. Bei ihr geht die Beziehung zu Deutschland sogar noch tiefer als bei Gruschewaja - denn die junge Weißrussin hat bei einem Projekt von Gruschewajas Stiftung ihren Mann, einen Deutschen, kennen gelernt.

Liebe auf den ersten Blick

Wesseler betreute 2004 eine Gruppe Zivildienstleistender, die zu einem zehntägigen Besuch nach Weißrussland gekommen waren. Mit dabei war ihr heutiger Ehemann Steven Wesseler. Es war Liebe auf den ersten Blick. "Nach fünf Tagen haben wir uns gefunden", sagt sie. Steven Wesseler meldete sich kurzerhand für ein freiwilliges soziales Jahr in der Nähe von Minsk - und ein halbes Jahr nach dem ersten Kennenlernen heiratete das Paar.

2005 kamen Jekaterina Wesseler mit ihrem Mann nach Deutschland und schloss in Osnabrück ihr Lehramtsstudium mit den Fächern Deutsch und Englisch ab. Mittlerweile ist sie Referendarin an einer Hauptschule in Dissen. Vor drei Jahren kam ihre Tochter Anna auf die Welt. Wesseler findet es nicht ungewöhnlich, dass sie über die Stiftungsarbeit einen deutschen Mann fand. Sie selbst kennt bestimmt fünf solcher deutsch-weißrussischer Paare. "Die Praxis zeigt, dass sie gut zusammenpassen", sagt sie.

Auch Gruschewaja kennt einige deutsch-weißrussische Paare. Die Weißrussen kämen den Deutschen "nicht durch die Liebesbörsen, nicht durch den Wunsch, unbedingt das Land zu verlassen", näher, sondern durch die intensive Zusammenarbeit bei den Projekten für die Strahlenopfer.

"Engagement, Energie, Herz"

Gruschewaja legt Wert darauf, dass "nicht namenlos und anonym geholfen wird, sondern die Leute sich von Angesicht zu Angesicht kennenlernen". Profitieren könnten dabei auch die Deutschen, die einem Tschernobyl-Kind einen Erholungsurlaub oder eine medizinische Behandlung in Deutschland ermöglichen oder bei der Organisation von Jugendaustauschprogrammen helfen, sagt Gruschewaja. "Die Weißrussen haben auch was zu geben: ihr Engagement, ihre Energie, ihre Herzen."

Quelle: ntv.de, Yvonne Brandenberg, AFP

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