Die Armut verstecken Rios Favelas werden eingemauert
15.06.2009, 07:56 UhrNoch in diesem Jahr sollen 13 von Rios Favelas eine drei Meter hohe Betonabsperrung erhalten. Die Mauern seien Teil eines "stadtplanerischen Projekts", so das Stadtbauamt. In Wahrheit aber dienen sie dazu, die Armut zu verstecken.
Schwitzend erklimmt Ademir die hundert Stufen durch das Armenviertel Santa Marta in den Hügeln von Rio de Janeiro. Auf seinen Schultern liegt ein 50 Kilo schwerer Sack Zement. Hunderte Male wird Ademir den beschwerlichen Weg laufen müssen, bis das Werk vollendet ist: eine 634 Meter lange Mauer um Häuser und Hütten. Noch in diesem Jahr sollen Santa Marta und zwölf weitere Favelas der brasilianischen Metropole eine drei Meter hohe Absperrung erhalten - unter anderem, um den Regenwald zu schützen. Nicht nur bei den Slumbewohnern stoßen die Pläne zum Teil auf heftige Ablehnung.

Viele Ausreden werden bemüht, um die Betonmauern um die Armenviertel zu rechtfertigen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Insgesamt 14,6 Kilometer Mauer will die Regierung von Rio um die 13 Slums errichten, die fast alle im touristischen Süden der Stadt liegen. Im kommenden Jahr sind weitere Mauern im Norden geplant. Umgerechnet 13 Millionen gibt die Stadt für die Mauer aus, das Geld stammt aus einem Fonds für Naturschutz.
Ghettoisierung
Dadurch entstünden Ghettos, die Bewohner der Favelas würden ausgegrenzt und diskriminiert, empören sich die Gegner. Sie warnen vor einer Neuauflage der Berliner Mauer. Der Gouverneur der Stadt, Sergio Cabral, widerspricht: "Es ist keine Mauer der Ausgrenzung, sondern der sozialen Integration, denn nun ist Schluss mit den rechtsfreien Räumen in diesen Gebieten." Der Chef des Stadtbauamts, Icaro Moreno, beruft sich auf den Umweltschutz - durch die Mauer, sagt er, werde die wilde Abholzung des Regenwaldes gebremst. Die Stahlseile, die bisher die Siedlungsgrenzen markierten, seien nie respektiert worden.
Laut Moreno befürworten 80 Prozent der Einwohner Rios die Mauer. Er bestreitet, dass sie in Wahrheit dazu dienen soll, die Armut zu verstecken. Die Mauer sei Teil eines "stadtplanerischen Projekt", das auch andere Vorteile bringen werde, sagt er. "Zum Beispiel entstehen auch Naturparks." Laut einer Umfrage der Zeitung "Folha de Sao Paulo" sind Rios Einwohner in der Mauerfrage gespalten, wobei eine knappe Mehrheit das Vorhaben befürwortet.
Organisiertes Verbrechen eindämmen
In Santa Maria leben 10.000 Menschen. Neben der Mauer verfolgt die Stadt ein weiteres Pilotprojekt, um den Slum sicherer zu machen. Seit November ist die Polizei ständig vor Ort, die meisten Drogendealer wurden vertrieben. Für einige Bewohner ist der neue Betonwall deshalb ein willkommenes Mittel zur Eindämmung des organisierten Verbrechens. "Ich finde diese Mauer gut, irgendjemand muss doch für Ordnung sorgen und unsere Favela zu einem richtigen Stadtviertel machen", sagt der 20-jährige Diego. Auch Renata, Alana und Chayenne sind froh über ihre neue Mauer; die drei Mädchen fühlen sich jetzt sicherer. "Die Mauer schützt uns vor den Schüssen, die uns solche Angst gemacht haben. Jetzt können die Kugeln nicht mehr durchkommen", freut sich die neunjährige Chayenne.
Als nächstes bekommt auch Rocinha, mit 100.000 Einwohnern eines der größten Armenviertel Rios und fest in der Hand der Drogenmafia, eine Mauer. Dazu werden etwa 50 Häuser jenseits des Mauerverlaufes abgerissen, die Bewohner sollen umgesiedelt und entschädigt werden. Neun Hektar Land sollen aufgeforstet werden, in Planung sind ein Natur- und ein Freizeitpark. Den Menschen in Rocinha gefällt das Vorhaben dennoch nicht. "Die Mauer ist für sie das Symbol ihrer der Ausgrenzung", sagt der Vorsitzende des Verbands der Favelabewohner, Xaolin.
Bewegungsfreiheit wird eingeschränkt
Ähnlich sieht es Franciso Nogueira. Der 34-Jährige arbeitet in einer Apotheke von Santa Marta und ist mit der neuen Absperrung von Santa Marta ganz und gar nicht einverstanden. "Ich lebe schon immer hier. Es stimmt einfach nicht, dass die Häuser immer weiter in den Wald vordringen. Diese Mauer wird unsere Bewegungsfreiheit einschränken", sagt er.
Quelle: ntv.de, Claire De Oliveira, AFP