Ministerin ignoriert Windmesse "Unsere Schirmherrin Frau Reiche hat anscheinend andere Pläne"
18.09.2025, 16:02 Uhr Artikel anhören
Die Husum Wind findet vom 16. bis 19. September an der Nordseeküste statt.
(Foto: picture alliance/dpa)
Die Husum Wind ist der jährliche Höhepunkt der Windenergiebranche. An der Nordseeküste stellen mehr als 600 Aussteller die neuesten Trends der Windkraft vor. Fürs Land, für die See und für alles drumherum: Speicher, Wasserstoff, Recycling und Finanzierung. Schirmherrin der Messe ist die Bundeswirtschaftsministerin, doch anders als ihre politischen Vorgänger verzichtet Katherina Reiche diese Woche auf einen Besuch: "Die Anfragen unserer Branche scheinen nicht anzukommen", sagt Heiko Wuttke im "Klima-Labor" von ntv. "Anscheinend hat Frau Reiche andere Pläne." Wuttke ist Chef der PNE AG. Er fürchtet, dass die Politik erneut einen Einbruch des Windgeschäfts verursacht: "Die Erneuerbaren sind der Eckpfeiler unserer Stromversorgung, das ist Konsens. Das muss auch in der Regierung und insbesondere im Wirtschaftsministerium ankommen."
ntv.de: Die PNE AG hat in der 30-jährigen Firmengeschichte bereits 297 Windparks gebaut. Haben Sie einen Lieblingswindpark?
Heiko Wuttke: So würde ich das nicht sagen, uns liegen alle Projekte am Herzen. Schön sind immer Windparkfeste. Die feiert man eher im Kleinen als im Großen.

Heiko Wuttke ist Vorstandsvorsitzender der PNE AG. Das Unternehmen hat seit 1995 beinahe 300 Windparks in Europa, den USA und auch Afrika realisiert.
(Foto: PNE, Christian O. Bruch, LAIF)
Windparkfeste?
Ja, die feiert man zusammen mit den Gemeinden direkt vor Ort im Windpark, wenn er errichtet wurde und in Betrieb genommen werden kann. Die Menschen können die Windkraftanlagen besichtigen und sich anschauen, was entstanden ist.
War auch mal ein Wirtschaftsminister oder eine Wirtschaftsministerin zu Gast?
Aus der Landespolitik ja, aus der Bundespolitik nicht.
Wie stehen die Chancen, dass Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche ein Windparkfest von Ihnen besucht?
Eher nicht so gut im Moment. Die Anfragen aus der Branche scheinen nicht anzukommen. Diese Woche findet die Husum Wind statt. Das ist die größte Messe für Windenergie, PV und Batterien Deutschlands. In der Regel schaut auch die politische Prominenz aus Berlin vorbei. Wir hätten uns sehr über einen Besuch der Wirtschaftsministerin gefreut, denn ihr Ministerium hat sogar die Schirmherrschaft über die Messe. Aber Frau Reiche hat anscheinend andere Pläne.
Sie verbringt ihre Zeit lieber mit Gasunternehmen?
Man kann nachlesen, welche Veranstaltungen Katherina Reiche bisher besucht hat. Die kommen eher aus dem Bereich der konventionellen Energien.
Gleicht sie nur die Habeck-Jahre aus? Der hat einen starken Fokus auf erneuerbare Energien gelegt, jetzt sind die anderen dran?
Ich weiß nicht, ob ein Ausgleich notwendig ist. Robert Habeck hat sich stark mit Erneuerbaren beschäftigt, aber der Fokus lag auf regulatorischen Themen wie Genehmigungsverfahren, um Wind- und PV-Projekte zu beschleunigen. Das war auch notwendig, denn vor ihm ging es jahrelang schleppend voran. Und wir wollen ja ein Ziel erreichen: Deutschland soll klimaneutral werden und Energie bezahlbar sein. Das geht nicht ohne Erneuerbare und auch nicht ohne einen schnellen Ausbau. Darauf sollte der Fokus liegen, egal bei welchem Minister oder welcher Ministerin.
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Worüber möchten Sie denn mit Frau Reiche reden, wenn der Ausbau der Erneuerbaren bereits von der Ampel in Schwung gebracht wurde?
Ich wünsche mir nur, dass man dem folgt, was Bundesnetzagentur, Wissenschaft und Industrie bereits wissen: Wir müssen unsere Hausaufgaben erledigen, also die Flexibilisierung der Nachfrage und die Speicherkapazitäten deutlich ausbauen. Ja, dazu gehören auch steuerbare Kapazitäten, aber auch ein klares Bekenntnis zu Erneuerbaren und der konsequente Ausbau davon.
Das sind die berühmten Gaskraftwerke. Davon werden inzwischen erstaunlich viele gefordert.
Steuerbare Kapazitäten müssen keine Gaskraftwerke sein. Batteriespeicher, Biomassekraftwerke oder Kraft-Wärme-Kopplung gehören auch dazu.
Bei Katherina Reiche eher nicht.
Das scheint so zu sein. Der Bundeskanzler sieht es anscheinend ähnlich. Schaut man sich verschiedene Studien an und auch, was die Bundesnetzagentur im neusten Versorgungsbericht schreibt, stellt man fest: Wir brauchen alles. Wir können es uns nicht leisten, irgendetwas weniger zu machen. Die Bundesnetzagentur betrachtet ja zwei Szenarien. Dort steigt der Bedarf nach weiteren Gaskraftwerken nur dann, wenn wir den Ausbau der Erneuerbaren verzögern. Das darf nicht das Argument sein.
Auf diesem Pfad befinden wir uns doch aber schon. Nicht nur Katherina Reiche, auch Kanzler Friedrich Merz sagt: "Meine Vermutung ist, dass wir im Ausbau etwas weniger machen können."
Das ist schade, weil es im Widerspruch zu allen Studien steht. Aber noch gibt es keine konkreten Pläne, im Gegenteil: Der Kanzler sagt gleichzeitig, dass Deutschland wie geplant bis 2045 klimaneutral sein soll. Dafür braucht es einen konsequenten Ausbau. Aktuell ist die Lage wie folgt: Deutschlandweit wurden im ersten Halbjahr neue Anlagen mit einer Leistung von fast 8000 Megawatt genehmigt. Die können sich um einen EEG-Tarif bewerben. Bei so vielen Projekten muss man einen guten, sprich niedrigen Strompreis anbieten. Wer den Zuschlag erhält, muss innerhalb von drei Jahren bauen. Dieser Ausbau wird also ohnehin erfolgen.
Wäre der Ausbau auch ohne Einspeisevergütung interessant? Die wird speziell für private Solaranlagen inzwischen infragegestellt. Manche fragen auch bei der Windenergie: Warum vergüten wir die eigentlich noch? Damit wollten wir die Branche nur in Schwung bringen.
Deutschland ist vonseiten der EU ohnehin angehalten, das Erneuerbare-Energien-Gesetz und damit die Einspeisevergütung ab 2027 neuzugestalten. Das ist in vielen anderen Ländern bereits passiert. Dort wird häufig mit Differenzverträgen gearbeitet. Auch das sind zugesicherte Preise für einen gewissen Zeitraum, denn egal, ob man Windpark oder Gaskraftwerk plant: Das Projekt muss wirtschaftlich sein, dafür benötigt man sichere Rahmenbedingungen. Sonst passiert nichts. Ich bin gespannt, was Frau Reiche vorschlägt. Wie es dann heißt, ist egal.
Kann man nicht einen gesicherten Preis für alle festlegen? Dann setzt sich automatisch die günstigste Option durch.
Das fände ich gar nicht schlecht, aber dann wird kein neues Gaskraftwerk gebaut. Die können bei unseren Strompreisen nicht mithalten - es sei denn, man greift in den Steuersäckel und subventioniert das reichhaltig.
Ihr Strom ist günstig, der Transport zu den Verbrauchern aber nicht. An den Kosten für den Netzausbau beteiligen Sie sich nicht.
Das stimmt. Aber warum bauen wir denn teure Netze und transportieren den Strom über lange Strecken, anstatt die Energieversorgung regional zu regeln? Die südlichen Bundesländer haben den Ausbau der Erneuerbaren leider verschlafen.
Man kann die süddeutsche Industrie aber auch nicht in den Norden verlegen.
Das muss man auch nicht. Man sollte aber den Windkraftausbau im Süden forcieren und an den richtigen Stellen massiv Speicherkapazitäten ausbauen. Aktuell liegen Anschlussanfragen von 500 Gigawatt vor. Das wird nicht alles gebaut, aber diese Speicher könnten große Mengen überschüssigen Strom aufnehmen und zur richtigen Zeit wieder abgeben. Wir besitzen einige Umspannwerke und schauen bereits, ob wir unsere Wind- oder Solarparks mit Speichern ergänzen. Dann liefern wir Strom tatsächlich nur, wenn es nötig ist. Warum sollen wir dann an den Netzkosten beteiligt werden?
Weil nicht alle so denken wie Sie, sondern Windparks dort bauen, wo sie eigentlich nicht gebraucht werden, und somit unnötige Kosten verursachen?
Dann werden die Kosten einfach denjenigen zugeschoben, die neue Stromquellen schaffen. Wer alte Kapazitäten hat, muss nichts machen, sondern ist fein raus. Das klingt nicht besonders fair.
Das hätte RWE-Chef Markus Krebber wahrscheinlich gerne, ja.
Die höchsten Netzentgelte zahlt der Norden, weil dort besonders viel Windstrom erzeugt und nach Süden transportiert wird. Will man diese Kosten gerecht verteilen, sollte man lieber über Strompreiszonen nachdenken. Aber das lehnt Bayerns Ministerpräsident Markus Söder genauso ab wie Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, obwohl der das eigentlich besser wissen sollte.
Es gibt keinen Kompromiss, bei dem sich alle an den Kosten für Netzanschluss und Netzausbau beteiligen?
Man kann die Kosten senken und fairer verteilen, wenn man Kunden für den "richtigen" Verbrauch belohnt. Dafür braucht man Smartmeter, die anzeigen: Aktuell gibt es Strom im Sonderangebot. Darüber sprechen wir seit Jahrzehnten, aber kommen nicht voran. Die Bundeswirtschaftsministerin sagt stattdessen: Dann wird der Business Case halt schlechter. Da passiert nur eins: Man kann einen Windpark betriebswirtschaftlich nicht mehr vernünftig betreiben.
Bei der Energiewende wird oft argumentiert, dass die hohen Kosten Arbeitsplätze in der klassischen Industrie gefährden. Katherina Reiche und Friedrich Merz sagen, wir "können bei den Erneuerbaren etwas weniger machen". Ist den beiden bewusst, dass sie damit Jobs in der Windindustrie oder im Elektrohandwerk gefährden?
Ich habe die beiden bisher nicht gesprochen, habe aber nicht den Eindruck, dass dieses Thema im Vordergrund steht. Deutschlandweit arbeiten 400.000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien. Dazu kommen kleinere und Kleinstbetriebe. Wir haben vor einigen Jahren unter einem Umwelt- und Wirtschaftsminister gesehen, was passiert, wenn man die falschen Signale setzt. Damals kursierte dieses Unwort "Strompreisbremse". Das hat 100.000 Arbeitsplätze gekostet.
Sie meinen Peter Altmaier?
Ja. Über diese Dimensionen möchte ich gar nicht nachdenken - auch, weil das schlichtweg unnötig ist. Aber ich bin optimistisch. In der Energiewirtschaft wirken viele kluge Köpfe darauf hin, dass nicht gebremst wird. Wir sind Mitglied im Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Dort ist die gesamte Branche vertreten. Auf der Homepage des BDEW steht: Die erneuerbaren Energien sind der Eckpfeiler unserer Stromversorgung. Das ist Konsens. Das muss auch in der Regierung und insbesondere im Bundeswirtschafts- und Energieministerium ankommen. Es braucht Veränderung, auch wenn sie manchmal weh tut. Wenn man sich anschaut, was in anderen Ländern passiert, muss die Bundesregierung sogar aufpassen, dass wir nicht abgehängt werden.
Weil auf die Altmaier-Delle der Reiche-Knick folgt?
Ich hoffe nicht, dass dieser Begriff salonfähig wird. Katherina Reiche möchte das bestimmt auch nicht. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das passiert. Wir sind auf einem wahnsinnig guten Weg. Ich mache das seit 30 Jahren, damals hat man unsere Ein-Megawatt-Anlage belächelt und gesagt: Das ist Maß aller Dinge. Mehr geht nicht. Ihr schafft maximal fünf Prozent Erneuerbare im Strommix. Inzwischen stehen wir bei 60 Prozent. Es passiert wahnsinnig viel. Und verglichen mit der fossilen Industrie sind wir immer noch eine junge Branche.
Mit Heiko Wuttke sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
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Quelle: ntv.de