Politik

Experte attackiert Impfpläne Grippe-Angst ist "Inszenierung"

Die geplante Massenimpfung gegen die Schweinegrippe sorgt für immer größeren Streit: Nach Meinung eines Lungenfacharztes ist die Angst vor der Krankheit vor allem ein Geschäft für Pharmabranche und Krankenkassen; diese dringen auf ein Spitzengespräch mit Gesundheitsministerin Schmidt und einer Kostenbeteiligung durch den Bund. Eine Einigung gibt es unterdessen über die Anwendung der exakten aber teuren Schweinegrippen-Tests.

Dr. Wolfgang Wodarg ist Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages.

Dr. Wolfgang Wodarg ist Mitglied im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages.

(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Lungenfacharzt Wolfgang Wodarg hält die Angst vor einer Pandemie "für eine Inszenierung". "Das ist ein Riesengeschäft für die Pharmaindustrie", sagte Wodarg der Hannoveraner "Neuen Presse". Die sogenannte Schweinegrippe unterscheide sich nicht von den üblichen Grippewellen. Im Gegenteil: "Wenn sie die Zahl der Fälle sehen, ist das lächerlich verglichen mit anderen Grippezügen." Die Pharmaindustrie habe ihre Interessen erfolgreich in der Politik durchgesetzt, meinte der SPD-Politiker aus Flensburg. Auch die Krankenkassen versuchten nun, von der Pandemie-Angst zu profitieren.

Barmer will Verunsicherung vermeiden

Mit ihren Millionenforderungen wegen der Massenimpfung beißen die Krankenkassen jedoch auf Granit. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) warf ihnen Verunsicherung vor. Sie äußerte sich auch skeptisch zur Forderung nach einem eigens anberaumten Spitzengespräch. "Es hat längst mehrere Gespräche mit den Kassen gegeben", sagte eine Sprecherin Schmidts. Die Ministerin sei zwar gesprächsbereit, "sie erwartet aber, dass die Verunsicherung der Versicherten aufhört."

Die Barmer Ersatzkasse hatte zuvor auf eine schnelle Klärung gedrungen. "Um sachlich über die Finanzierungsfrage zu reden, fordere ich Bund und Länder zu einem Spitzengespräch mit den Krankenkassen auf", sagte der Barmer-Vorsitzende Johannes Vöcking. "Angesichts der Ernsthaftigkeit der Lage liegt es an der Politik und den Krankenkassen, eine Eskalation der Auseinandersetzung und eine unnötige Verunsicherung der Bürger zu vermeiden."

GKV: Staat muss seine Verantwortung wahrnehmen

Gesprochen werden müsse aber über die Finanzierung der Zusatzbelastung. Es könne nicht sein, dass der Staat sich im Fall der Pandemie einfach aus der Verantwortung zu verabschieden versuche. Die Kassen fordern, dass ein Teil der Millionenkosten der Massenimpfung über Steuermittel oder höhere Beiträge finanziert wird. Andernfalls müssten einzelne Kassen Zusatzbeiträge verlangen.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) blieb bei seiner Forderung nach Steuermitteln oder höheren Beiträgen, um die Kosten von 600 Millionen bis 1 Milliarde Euro aufzufangen. "Schön wäre es, wenn die Politik ihre gesetzlich vorgeschriebene organisatorische wie finanzielle Verantwortung wahrnimmt und wir nicht mehr über die Kostenverteilung diskutieren müssten, sondern im Sinne der Versicherten über die Umsetzung der Massenimpfung reden könnten", sagte Sprecherin Ann Marini. Eine Entscheidung wird am Mittwoch mit dem Beschluss der entsprechenden Verordnung im Bundeskabinett erwartet.

"Hoffnung der Kassen unrealistisch"

Wer soll das bezahlen? Die Bundesregierung rechnet mit Kosten von rund 600 Mio Euro für die ab Herbst geplante Schutzimpfung.

Wer soll das bezahlen? Die Bundesregierung rechnet mit Kosten von rund 600 Mio Euro für die ab Herbst geplante Schutzimpfung.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Politiker und Wirtschaftsverbände hatten davor gewarnt, die Impfungen gegen die Schweinegrippe über höhere Krankenkassen-Beiträge zu finanzieren. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nannte einen höheren Beitrag zur Finanzierung der Massenimpfung undenkbar. "Diese Hoffnung der Kassen sei ist unrealistisch", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Die Kosten von rund 500 Millionen Euro, die auf die Kassen zukämen, lägen bei weniger als einem halben Prozentpunkt ihrer bisherigen Ausgaben, argumentierte Lauterbach.

Die Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Helga Kühn-Mengel, wandte sich ebenfalls gegen die Überlegungen der Kassen. "Impfen ist seit der letzten Gesundheitsreform Pflichtleistung der Kassen und zwar ohne Praxisgebühr und Erhöhung der Beiträge", sagte sie der "Berliner Zeitung". Einige Kassen rückten vom Gedanken an eine Beitragserhöhung bereits ab. Eine Sprecherin der KKH-Allianz sagte der "Bild"-Zeitung, eine Beitragsanhebung für KKH-Versicherte sei zum jetzigen Zeitpunkt auch für den Fall ausgeschlossen, dass die Kassen die Impfkosten komplett aus eigener Tasche bezahlen müssten. Auch ein Sprecher der Gmünder Ersatzkasse schloss höhere Beiträge bis Jahresende aus.

Kommunen befürchten Chaos

Die Frage nach der Zuständigkeit und Kostenübernahme der Impfung beschäftigt auch die Kommunen. Sie forderten eine rasche Klärung der Sachlage, da sonst ihrer Meinung nach Chaos droht. Der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, verlangte: "Es muss schnellstmöglich geklärt werden, welcher Personenkreis eine freiwillige Schutzimpfung erhalten kann, inwieweit der öffentliche Gesundheitsdienst in die Impfaktion eingebunden werden soll und wie die Kostenerstattung geregelt wird."

Verständigt haben sich unterdessen Ärzte und Krankenkassen auf die Übernahme von Kosten für die Tests auf Schweinegrippe, die sogenannten PCR-Tests. Diese sollen künftig für Risikopatienten im konkreten Verdachtsfall von den Kassen gezahlt werden, teilten Vertreter beider Seiten mit. Hierzu zählten Menschen mit einer Immunschwäche, Schwangere sowie Kinder und Säuglinge, erläuterte die Sprecherin des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenversicherung, Marini.

Zählt ein Patient nicht zu einer Risikogruppe, dann kann er zwar auch einen PCR-Test veranlassen; den muss er dann aber selbst bezahlen. Andernfalls gebe es auch in diesem Fall einen Schnelltest, für den der Betroffene die Kosten zunächst selbst erstatten müsse, später aber von den Kassen zurückerstattet bekomme.

Quelle: ntv.de, rts/dpa/AFP

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