Kommentare

Zwischenruf Keine "schonungslose Analyse"

Leistung muss sich wieder lohnen, betont Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung. Damit verkündet die Kanzlerin kein eigenes Motto, sondern greift das der FDP auf.

merkel2.jpg

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die Bundeskanzlerin hätte ein eigenes Motto für das Ziel ihrer Regierung formulieren können. Doch Angela Merkel hat den zentralen Kampfbegriff der FDP aufgegriffen: Leistung muss sich wieder lohnen. Der Druck der Liberalen auf die Union ist offensichtlich noch stärker als bislang bekannt. Übersetzt läuft der freidemokratische Sinnspruch darauf hinaus: Wer viel hat, soll künftig noch mehr behalten können.

Hatte es bei Gerhard Schröder und Frau Merkels erster Regierungserklärung in unterschiedlicher Form noch geheißen, der Abbau der Arbeitslosigkeit genieße Vorrang, so prophezeit die Kanzlerin jetzt einen Anstieg der Erwerbslosenzahl, der allein deshalb nicht so hoch ausfalle, weil die Zahlung von Kurzarbeitergeld verlängert werden soll. Eine richtige Maßnahme, die die Not Hunderttausender lindert, aber nicht langfristig beseitigt. Gut, dass die Kanzlerin den Forderungen der Wirtschaftsverbände nach einer Lockerung des Kündigungsschutzes nicht nachgegeben hat. Doch die angekündigte Erweiterung des Niedriglohnsektors bedeutet eben dies: Bei befristeter und Leiharbeit ist das Prinzip "hire and fire" jetzt schon gang und gäbe. Seit 1998 steigt der Anteil der Geringverdiener und liegt unterschiedlichen Angaben zufolge bei knapp sieben Millionen.

Kein Wort von Kinderarmut

20 Euro mehr soll es laut "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" künftig geben für die Kindererziehung. Die werden den Beziehern von Hartz-IV-Geld aber gleich wieder abgezogen. Der Kampf gegen die Kinderarmut, den Schandfleck unserer Gesellschaft, findet in der Regierungserklärung überhaupt keine Erwähnung. Betreuungsgeld soll nun also doch nicht nur als Geld, sondern auch in Form von Gutscheinen gezahlt werden. Die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes ist programmiert; auf Rechtsanwälte und Richter hierzulande kommt eine Prozessflut zu.

Offen bleibt der Umgang mit der Kopfpauschale, die verschämt als "Entkopplung der Kosten der sozialen Sicherheit von den Arbeitskosten" bezeichnet wird. In der Schweiz findet in Kürze eine Volksabstimmung zu diesem Thema statt, weil sich die Kosten für die Eidgenossenschaft als untragbar erwiesen haben. Es wäre besser, keinen Ritt über den Bodensee zu riskieren, sondern mal ans andere Ufer zu schauen.

Privatisierung als Lösung

Immer deutlicher wird, dass die - richtig benannten – Probleme im Sozial- und Gesundheitswesen durch eine weitere Privatisierung gelöst werden sollen. Was anderes bedeutet zum Beispiel "Kapitaldeckung bei der Pflege"? Auch die Altersbezüge sollen zu einem Gutteil unverändert privat getragen werden. Pensionsfonds aber sind ein beliebtes Spekulationsobjekt, was nicht zuletzt dazu geführt hat, dass viele Rentner im Zuge der Krise um ihr Geld betrogen wurden. Deren Auswirkungen will die neue Bundesregierung bekämpfen, verhindern dass so etwas wieder passiert. Konkrete Maßnahmen wie die einst verfemte Börsenumsatzsteuer werden vage formuliert oder von internationalen Lösungen abhängig gemacht.

Wenn die Regierung das Verhältnis der Bürger zum Staat verbessern will, muss sich der Staat erst einmal über sich selbst klar werden. Es ist lächerlich, die Erhöhung des Schonvermögens bei Hartz-IV-Empfängern von 0,2 (!) Prozent der Bedürftigen als Leistung herauszustellen.

Das ist nicht die "schonungslose Analyse", die die Kanzlerin eingangs ihrer Rede versprochen hatte. Das ist allenfalls ein Anfang. Aber immerhin.

Bleskin.jpg

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen