Reise

Via regia Zeitreise auf alten Handelswegen

Die via regia ist die älteste und längste Landverbindung zwischen Ost- und Westeuropa. Sie existiert seit mehr als 2000 Jahren, ist 4500 Kilometer lang und verbindet acht Länder. Heute wissen nur wenige Menschen mit dem Begriff "via regia" etwas anzufangen. Das soll sich ändern: In Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands, kann man sich auf eine Entdeckungsreise begeben, die so manche Überraschung bereithält.

Blick in das Erdgeschoss des Kaisertrutz in Görlitz.

Blick in das Erdgeschoss des Kaisertrutz in Görlitz.

(Foto: dpa)

Wie eine kleine Festung steht der Kaisertrutz mitten im Görlitzer Stadtzentrum. Den ungewöhnlichen Namen verdankt die 1490 errichtete Kanonenbastion einem Ereignis aus dem Dreißigjährigen Krieg. Als die Stadt an der Neiße 1641 von den Schweden besetzt war, trotzte sie während der mehrwöchigen Belagerung den kaiserlichen und sächsischen Truppen. Der Rundbau, einst der Stadtmauer vorgelagert, hat längst eine andere Funktion. Seit 1932 ist die alte Trutzburg Museum. Jetzt präsentiert sie sich frisch saniert, und sie erwartet ab Mai einen Besucheransturm. Dann ist der Kaisertrutz Dreh- und Angelpunkt für eine spannende Zeitreise. Das Stichwort heißt "via regia".

Im Mittelalter war die via regia eine wichtige Handelsstraße zwischen Ost- und Westeuropa. Als "Hohe Straße" wurde sie 1252 erstmals in einer Urkunde des Meißner Markgrafen Heinrich erwähnt. Sie verband Handelsräume zwischen Thüringen und Sachsen im Westen sowie Schlesien, Böhmen und Polen im Osten. Über das verzweigte Wegenetz in Europa bot sie Anschluss bis ins spanische Santiago de Compostela und Kiew in der Ukraine. Städte wie Frankfurt/Main, Erfurt, Leipzig, Grimma, Großenhain, Bautzen, Breslau oder Krakau, die am Weg lagen, profitierten von ihr. Als Handelsstraße war sie zwischen Frankfurt und Krakau bedeutend.

"800 Jahre Bewegung und Begegnung"

Heute wissen nur wenige Menschen mit dem Begriff "via regia" etwas anzufangen, hat Bettina Probst festgestellt. Sie arbeitet bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, die derzeit unter Hochdruck letzte Hand an der 3. Sächsischen Landesausstellung anlegen. "800 Jahre Bewegung und Begegnung" lautet deren Motto. Vor einem Monat - Anfang Februar - hatten die Projektleiterin und ihr Team den frisch sanierten Kaisertrutz übernommen, um die Ausstellung auf mehr als 1800 Quadratmetern einzurichten. In Görlitz - der östlichsten Stadt Deutschlands - kann sich der Besucher dann auf eine Entdeckungsreise begeben, die so manche Überraschung bereithält.

Die Neißestraße in n der Görlitzer Altstadt.

Die Neißestraße in n der Görlitzer Altstadt.

(Foto: dpa)

"Der Besucher geht raus und ist auf der via regia", sagt Bettina Probst. In der Altstadt von Görlitz jedenfalls geht der Weg entlang einer einzigartigen Architekturkulisse, die mit Denkmalen aus Gotik, Renaissance und Barock über die Jahrhunderte hinweg größtenteils erhalten geblieben ist. Auch Görlitz brachte die "Hohe Straße" Reichtum und Wohlstand, ebenso wie die 1329 gewährte Zollfreiheit oder das 1339 verliehene Recht, die wertvolle Färbepflanze Waid stapeln zu können.

Typische Hallenhäuser

Wer es sich leisten konnte, legte sich ein Haus unmittelbar an der via regia zu. Zur Blütezeit des Handels entstanden dann die für Görlitz typischen Hallenhäuser. Sie vereinten oft Wohnhaus, Kontor, Lager und Brauhof. In den prächtig ausgestatteten Häusern mit hoher Zentralhalle, Renaissancesaal und verwinkelten Treppenhäusern lebten Groß- und Fernhändler. "Sie haben große Posten bewegt und mit allem gehandelt, womit man Geschäfte machen konnte", erzählt Peter Mitsching, Leiter der Görlitzer Denkmalschutzbehörde.

Historischer Hauseingang in der Neißestraße, wo einst die via regia verlief.

Historischer Hauseingang in der Neißestraße, wo einst die via regia verlief.

(Foto: dpa)

Etwa 35 Hallenhäuser sind bis heute in Görlitz erhalten. Jedes dieser zwischen 1400 und 1580 entstandenen Gebäude ist ein Unikat, etwa die Hälfte dieser Denkmäler sind inzwischen mit Millionen-Aufwand saniert. Wer sich von der Pracht überzugen will, kann zum Beispiel einen Abstecher in den Schönhof unternehmen. Der beherbergt heute das Schlesische Museum. Zeugnis der Baukunst ist auch das Biblische Haus, dessen Fassade Szenen aus dem Alten und Neuen Testament schmücken.

Noch etwas Zukuftsmusik ist ein Blick ins Leben des Zittauer Damasthändlers Johann Christian Ameiß. Er gehörte zu denen, die einst nach Görlitz kam, um sich des Geschäfts wegen an der via regia niederzulassen. So ließ er sich 1726/27 ein Wohnhaus nahe des Untermarktes bauen. Auch bekannt als Barockhaus Neißstraße, wird es derzeit saniert und gehört zum Kunsthistorischen Museum von Görlitz. Die Ausstellung in dem Haus wird zum Start der Landesschau noch nicht zu sehen sein, wohl aber im Laufe des Jahres.

Alltagswelt von "Großbürgertum mit adliger Kultur"

Ohnehin erst für 2012 sollten Wohnräume des früheren Hausherrn möbliert werden, um Besuchern Einblick in die Alltagswelt von "Großbürgertum mit adliger Kultur" zu geben. Allerdings sind die Museumsleute beim Einrichten in starkem Maße auf ihre Phantasie angewiesen. "Nichts davon ist überliefert", bedauert Museumschef Jasper von Richthofen. "Wir versuchen, uns so gut wie möglich an diese repräsentative Wohnung heranzutasten." Das Barockhaus war von 1804 bis 1945 auch Sitz der 1779 gegründeten Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften. "Es war kein Zufall, dass sie hier gegründet wurde", sagt der Museumsleiter zur Lage an der via regia.

Auch über den Untermarkt in der Görlitzer Altstadt ...

Auch über den Untermarkt in der Görlitzer Altstadt ...

(Foto: dpa)

Der Kaisertrutz hatte bislang keine Heizung und war damit nur sechs Monate im Jahr für Besucher geöffnet. Nun ist das ringförmige Gebäude mit dem kleinen Turm in der Mitte aufs Feinste modernisiert, ohne dass es an Charme verlor. Rund 5,9 Millionen Euro kostete die 18-monatige Sanierung, etwa 20 Firmen arbeiteten zeitweise parallel. Die historische Bausubstanz blieb weitgehend unangetastet. Unzählige Leitungen und Kabel kamen in vorgesetzten Installationsschächten an der Außenmauer unter, die im Untergeschoss drei bis vier Meter dick ist. Die Holzbalkendecken aus dem 16. und 18. Jahrhundert wurden mit einer Stahlbetonkonstruktion vor der inneren Ringmauer abgestürzt. Ein Aufzug fand im kleinen Innenhof seinen Platz. Ein Glasdach darüber schützt diesen Raum künftig vor Regen und Schnee.

... verlief die via regia einst.

... verlief die via regia einst.

(Foto: dpa)

Etwa 450 Stücke wird die kulturhistorische Ausstellung vereinen. Rund 100 Leihgeber aus Deutschland, Polen, Tschechien und der Ukraine wurden gefunden. Aus der Rüstkammer der Kunstsammlungen in Dresden etwa stammt die Königskrone, die August der Starke für seine Krönung zum König von Polen 1697 extra anfertigen ließ. Er hatte das prunkvolle Stück im Gepäck, als er von Dresden über Görlitz und Breslau nach Krakau entlang der via regia reiste. Überhaupt soll die Ausstellung zeigen, wer sich auf der Straße bewegte: Herrscher, Händler, Pilger, Missionare, Botschafter, Abenteuerlustige, Flüchtlinge oder Menschen mit der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Umfangreiches Begleitprogramm

Die "via regia"-Schau hat zahlreiche Initiativen in der Region mobilisiert. Bislang enthält das Begleitprogramm etwa 200 Projekte und Veranstaltungen. "Diesen Grad an Vernetzung gab es bei keiner anderen Landesausstellung", schätzt Probst ein. Die Städtischen Museen Zittau etwa bereiten eine Ausstellung mit dem Titel "Für Krone, Salz und Kelch - Wege von Prag nach Zittau" vor. "Wir konzentrieren uns auf die Nord-Süd-Achse", sagt Museumsdirektor Marius Winzeler. "Dass Görlitz reich geworden ist, hat auch etwas mit dieser Verbindung zu tun." Immerhin lag die Neißestadt an der Kreuzung zweier Handelsstraßen, von denen eine bis zur Ostsee führte.

Ebenso über die Brüderstraße - hier hat man aus dem Cafe einen geschichtsträchtigen Ausblick.

Ebenso über die Brüderstraße - hier hat man aus dem Cafe einen geschichtsträchtigen Ausblick.

(Foto: dpa)

Eine via regia auf kleinem Raum finden Besucher in Königsbrück. In einem früheren Militärgebäude zeigt ein Verein Modelle von Gebäuden, die in Orten an der Handelsstraße stehen. Seit 2000 entstanden 31 Bauwerke im Maßstab 1:25, schildert Jürgen Loeschke, der Vorsitzende des Fördervereins Via Regia Architekturmodellbau. Langzeitarbeitslose bauen die detailgetreuen Modelle in einer Werkstatt gleich neben der Ausstellung. Auch den Kaisertrutz gibt es bereits in Miniaturform. An mehreren Orten hat die Nachbildung der alten Trutzburg bereits für die Landesausstellung geworben, zu der ab Mai ein Ansturm von 300.000 Besuchern in Görlitz erwartet wird.

Niederlage hatte etwas Gutes

Die Idee für die Schau über die alte Handelsstraße stammt noch aus der Görlitzer Bewerbung für die Kulturhauptstadt Europas 2010. Die deutsch-polnische Grenzstadt erregte damit bundesweit zwar viel Aufsehen, unterlag jedoch letztlich Essen und dem Ruhrgebiet. Daraufhin entschied die sächsische Staatsregierung, ihre nächste Landesausstellung ganz im Osten des Freistaates auszurichten. Die erste im Kloster St. Marienstern in Panschwitz-Kuckau zog 1998 etwa 360.000 Besucher an. 226.000 Gäste kamen 2004 zur Schau auf Schloss Hartenfels in Torgau.

"Ohne die Niederlage bei der Kulturhauptstadt hätten wir diese Chance nicht bekommen", ist der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick (parteilos) überzeugt. Zugleich wurde damit der lang gehegte Wunsch wahr, kommunale Museumsgebäude für die Zukunft zu sanieren. Schließlich gibt es in Görlitz rund 4000 Denkmale, darunter gotische, Renaissance- und Barockbauten in der Altstadt oder im Gründerzeitviertel. Aus eigener Kraft wäre die Stadt nicht in der Lage gewesen, etwa den Kaisertrutz wieder herzurichten, so das Stadtoberhaupt. Wie das gelungen ist, davon können sich die Besucher überzeugen.

Quelle: ntv.de, dpa

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