Ein "demokratisches Produkt"? Kartoffeln unter Kartellverdacht
13.05.2013, 11:37 Uhr
Einfach nur dem Preisdruck widerstanden? Knolle für Knolle sollen die Händler ein bisschen mehr verlangt haben.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Affäre um angebliche Preisabsprachen im Kartoffelgeschäft erhitzt in Deutschland die Gemüter: Hat ein Kartoffel-Kartell tatsächlich die Lieblingsknolle der Deutschen zu überhöhten Preisen verkauft? Jahrelang sollen Verarbeitungsbetriebe dicke Gewinne eingefahren haben - zulasten der Verbraucher.

Die Kehrseite der "Preisknüller": Der naivste Verbraucher bekommt die teuersten Kartoffeln.
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Der Grünen-Agrarexperte Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf sieht in dem mutmaßlichen Kartoffelkartell einen Widerstand gegen den Preisdruck von Supermarktketten. Solche Ketten hätten die Kartoffel als "Werbe- und Preisknüller" entdeckt und setzten die Sortier- und Packbetriebe unter Druck, sagte der frühere langjährige Europaabgeordnete dem Sender "WDR 5". Diese Betriebe hätten offenbar nur versucht, dem Druck durch Absprachen zu widerstehen. Das sei aber nicht rechtens, betonte Graefe zu Baringdorf.
Verunsicherten Verbrauchern empfahl er Erzeugergemeinschaften als Interessenvertretungen. Die Kartoffel sei eigentlich immer "ein demokratisches Produkt" gewesen, bei dem es keine staatlichen Interventionen gegeben habe. Noch heute werde viel direkt vermarktet.
Weil Kartoffeln jedoch kaum noch privat gelagert werden könnten, hätten Supermarktketten den Verkauf übernommen. Wegen der Mengen hätten sich dann Pack- und Sortierbetriebe dazwischengeschoben, die nun unter dem Preisdruck ihrer Abnehmer stünden.
Stich ins Wespennest
Dass dort nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein soll, war am Wochenende durch Berichte über ein sogenanntes Kartoffelkartell bekannt geworden: Das Bundeskartellamt sei dem Verdacht in der vergangenen Woche durch eine groß angelegte Durchsuchungsaktion bei mehreren Branchenschwergewichten nachgegangen, hieß es übereinstimmend.
Das Bundeskartellamt hat die Ermittlungen wegen illegaler Preisabsprachen bestätigt. Neun Unternehmen aus dem Bereich Erzeugung und Vertrieb seien in der vergangenen Woche durchsucht worden. Außerdem seien gegen fünf weitere Unternehmen schriftlich Bußgeldverfahren eingeleitet und die Wohnung eines Verdächtigen überprüft worden, teilte das Amt in Bonn mit. Es handele sich aber um einen Anfangsverdacht und für die betroffenen Unternehmen gelte die Unschuldsvermutung.
Millionen Euro zu viel bezahlt
Dem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge stammen fünf der verdächtigen Firmen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern.
Der Schaden durch illegale Preisabsprachen bei Kartoffeln soll für die Verbraucher im dreistelligen Millionenbereich liegen. Die "Süddeutsche Zeitung" nannte unter Berufung auf einen nicht genannten Branchen-Insider eine Summe von mehr als 100 Mio. Euro. Laut "Bild"-Zeitung summierten sich die illegal angehäuften Gewinne über zehn Jahre hinweg sogar auf rund 1 Mrd. Euro.
Eines der neun betroffenen Unternehmen reagierte zu Wochenbeginn auf die Vorwürfe und kündigte für die kommenden Tage eine Stellungnahme an. Vorher werde man sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Mehrere andere Unternehmen wollten auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben oder waren nicht erreichbar.
"Atomisierte Schäden"
Der Kartellrechtsexperte Maxim Kleine sagte der "Welt am Sonntag", je weniger Anbieter es gebe, desto anfälliger sei eine Branche für illegale Preisabsprachen. Wenn Waren zudem austauschbar und homogen seien, seien dies generell gute Bedingungen für ein Kartell.
Klagen der Handelsketten gegen die Kartoffelverarbeiter seien durchaus wahrscheinlich, wenn sich der Kartellverdacht bestätige. Für die Verbraucher in Deutschland sei es angesichts der "atomisierten Schäden" und mangels des Instruments der Sammelklage dagegen kaum möglich, ihren Schaden geltend zu machen.
Ein Verband kleiner und mittlerer Bauern begrüßte die Ermittlungen. Nicht nur die Verbraucher, sondern auch viele Landwirte seien durch Absprachen großer Kartoffelhandels-Unternehmen möglicherweise massiv geschädigt und betrogen worden, erklärte der niedersächsische Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Ottmar Ilchmann.
Im Kartoffelland Nummer eins
Niedersachsen Landwirtschaftsminister Christian Meyer sprach von einem Skandal, sollte sich der Verdacht illegaler Absprachen bestätigen. "Nicht nur die Verbraucher wären durch überhöhte Preise erheblich geschädigt worden", sagte der Grünen-Politiker in einer ersten Reaktion auf den Kartellverdacht. "Auch einige Kartoffelbauern haben ihre Pflanzkartoffeln möglicherweise zu erhöhten Preisen bekommen und wären die Geschädigten", bestätigte Meyer. Es könne nicht sein, dass wenige große Spieler die Konditionen diktieren und die Landwirte und Verbraucher die Zeche zahlten.
Niedersachsen ist in Deutschland Kartoffelland Nummer Eins vor Bayern und Nordrhein-Westfalen. Die Anbaufläche beträgt gut 100.000 Hektar, fast die Hälfte der deutschen Kartoffeln kommt aus Niedersachsen. Laut "SZ" sollen 80 bis 90 Prozent der großen und größeren Verarbeitungsbetriebe in der Kartoffel- und Zwiebel-Branche regelmäßig die Preise abgesprochen haben, zu denen die Supermarkt-Ketten beliefert wurden.
Zu viel für Knolle und Zwiebel
Die Gewinnmarge soll so rasant in die Höhe gestiegen sein und sich mitunter verzehnfacht haben, vor allem auf Kosten der Verbraucher. Diese hätten in den Supermärkten weit mehr gezahlt haben als notwendig.
Das Kartell habe ganz einfach funktioniert, sagte ein Branchenkenner der "SZ". Es soll einen Anführer gegeben haben, der beispielsweise vor den Bestellungen der großen Discounter-Ketten die Kollegen angerufen und den Wochen-Preis ausgemacht habe. Die Angebote sollen sich dann nur um einen oder ein paar Cent unterschieden haben.
Der Geschäftsführer einer der durchsuchten Firmen wies die Vorwürfe zurück. "Wir haben kein schlechtes Gewissen, wir sind da relativ gelassen", sagte er der "SZ". Dass ein solches Kartell existiert habe, könne er sich nicht vorstellen.
Quelle: ntv.de, mmo/AFP/dpa