WM-Aus wird zur Staatsaffäre Sarkozy hat Gesprächsbedarf
23.06.2010, 15:48 UhrDer desolate Auftritt der französischen Nationalmannschaft lässt im Präsidentenpalast die Alarmglocken läuten. Staatsoberhaupt Nicolas Sarkozy bestellt ein Sondertreffen mit hohen Regierungsvertretern ein, und trifft sich zu einem Gespräch mit Stürmerstar Thierry Henry. Die Spieler der "Équipe Tricolore" weisen die Schuld am peinlichen Abschneiden weiter von sich.

Jetzt muss er sich auch noch mit Fußball beschäftigen: Nicolas Sarkozy.
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Frankreichs Fußball liegt in Trümmern, der Staatspräsident ist besorgt - doch das Hauen und Stechen geht weiter. Nach dem blamablen WM-Aus mit Streit, Intrigen und einer Revolte kündigte der abgesetzte Kapitän Patrice Evra "die Wahrheit" an. Auch sein Mannschaftskollege Florent Malouda unterstellte den Verbandsoberen Lügen und forderte "viele Veränderungen". Neben dem scheidenden Trainer Raymond Domenech, der den Weltmeister von 1998 und Europameister von 2000 auf den Tiefpunkt führte, gerät auch Verbandsboss Jean-Pierre Escalettes zunehmend unter Beschuss.
"Die französische Mannschaft ist ein Trümmerfeld, physisch, technisch und moralisch", urteilte Sportministerin Roselyne Bachelot nach dem peinlichen 1:2 (0:2) zum Vorrundenabschluss gegen WM-Gastgeber Südafrika und kündigte an: "Alle Akteure dieses Desasters, die Spieler, die Verantwortlichen des Verbandes, müssen ihre Rechnung bekommen." Staatspräsident Nicolas Sarkozy berief aus gegebenem Anlass bereits eine Kabinettssitzung ein, am Donnerstag will er Angreifer Thierry Henry treffen.
Die Schuld der Anderen
Die Zeit der Abrechnung kündigte Evra, der nach dem Rauswurf von Nicolas Anelka den Trainingsboykott der verbliebenen Spieler maßgeblich initiiert hatte, bereits an. "Alle Franzosen haben ein Recht auf Erklärungen für dieses Debakel", sagte der Verteidiger von Manchester United und versprach: "Ich werde sie ihnen geben. Ich werde ihnen sagen, was wirklich passiert ist. Ich werde die Wahrheit sagen. Ich habe nichts zu verbergen."

Florent Malouda erzielte das einzige französische WM-Tor, aber auch er enttäuschte oft.
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Malouda, Teamkollege von Anelka beim FC Chelsea, schiebt die Schuld für "das Ende einer Welt", wie die Sportzeitung L'Equipe titelte, schon jetzt anderen zu. "Es ist alles völlig außer Kontrolle geraten", sagte der 30-Jährige, den Domenech nach der Rebellion ebenfalls aus der Startelf verbannt hatte, in einem Interview mit der Tageszeitung Le Parisien und forderte: "Es muss viele Veränderungen geben."
Die Reaktion der Spieler auf Anelkas Rauswurf sei "vielleicht schlecht" gewesen, "aber wir hatten den Eindruck, dass er für alles verantwortlich gemacht wurde", sagte Malouda weiter und behauptete: "Die Worte, die ihm zugeschrieben wurden, sind falsch." Anelka soll Domenech mit einer sexuellen Beleidigung der übelsten Sorte angegangen haben. Trainer und Verband haben diese Darstellung nie bestritten.
Domenechs Affront zum Abschluss
Für die meisten Franzosen ist neben der "Bande von traurigen Trotteln" (La Presse de la Manche) der ungeliebte Domenech der Hauptverantwortliche dafür, dass die Equipe Tricolore zehn Jahre nachdem sie als Welt- und Europameister auf dem Gipfel stand, zerstritten, gedemütigt und zerstört am Boden liegt. Der 58-Jährige, der schon bei der EM 2008 in der Vorrunde scheiterte, sprach vom "Ende eines außergewöhnlichen Abenteuers mit Höhen und Tiefen" und behauptete zum Abschluss seiner sechsjährigen Amtszeit allen Ernstes: "Ich habe einige gute Sachen für die Zukunft gesehen.
Dass er seinem Gegenüber Carlos Alberto Parreira den Handschlag verweigerte, passte ins Bild. Stur und uneinsichtig trat der umstrittene Coach ab und fühlte sich wie immer im Recht. Parreira habe nach dem Handspiel von Thierry Henry im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Irland erklärt, Frankreich gehöre nicht zur WM und damit sein Team beleidigt, ließ Domenech über seinen Assistenten ausrichten. Domenech selbst verweigerte jeden Kommentar.
Dass Domenech, der nun von Laurent Blanc abgelöst wird, überhaupt so lange Nationaltrainer war, wird Verbandsboss Escalette angelastet. Dem 75-Jährigen, der seinen Schützling gerne weiter im Verband beschäftigen will, stehen unangenehme Wochen bevor. Sportministerin Bachelot betonte explizit, dass die Regierung in einer solchen Krise eingreifen müsse. Der Verband sei mitverantwortlich für das Desaster.
Die L'Equipe unterstützte die Ministerin: "Die Regierung muss ihren Weg zu Ende gehen, damit der französische Fußball-Verband nicht mehr in den Händen von Hampelmännern ist." Auch von der Zeitung La Charente Libre bekam Escalettes sein Fett weg: "Der Trainer ist der Hauptverantwortliche für dieses Fiasko. Doch Escalettes und Konsorten haben ihre Selbstgefälligkeit und Feigheit hinzugefügt."
Sarkozy macht WM-Aus zur Chefsache
Staatspräsident Nicolas Sarkozy bestellte Regierungschef François Fillon, Sportministerin Roselyne Bachelot sowie Sport-Staatssekretärin Rama Yade zu einem Arbeitstreffen in den Elyséepalast ein, wie ein Regierungssprecher in Paris mitteilte.
Sarkozy will darüber hinaus am Donnerstag Stürmer Thierry Henry auf Wunsch des Nationalspielers empfangen, wie der Sprecher sagte. Übereilte Schlüsse sollen allerdings nicht gezogen werden. Sarkozy kündigte bei einer Kabinettssitzung an, dass alle Entscheidungen "in Ruhe" getroffen werden sollten, wie der Sprecher hervorhob.
Quelle: ntv.de, sid/AFP