Blamables WM-Aus von Les Bleus Evra kündigt "Wahrheit" an
22.06.2010, 21:34 UhrGanz Frankreich ist gelähmt: Statt Fußballkunst bot die Equipe Tricolore Streit, Intrigen und Revolte - das blamable Vorrunden-Aus war nur die logische Folge. Patrice Evra, Kapitän von Frankreichs Nationalmannschaft, kündigt nun eine Erklärung an: "Die Franzosen sollen die Wahrheit wissen."

Blicke sagen mehr als Worte.
(Foto: AP)
Selbst in den letzten Minuten als Trainer der französischen Nationalmannschaft verbog sich Raymond Domenech bis zur totalen Selbstverleugnung. "Ich habe diese Equipe geliebt", behauptete der 58 Jahre alte Coach allen Ernstes über die Mannschaft, die ihn und die stolze Grande Nation in den vergangenen Tagen der Lächerlichkeit preisgegeben hatte. Statt Fußball bot die Equipe Tricolore Streit, Intrigen und eine Revolte. "Ich hoffe", sagte der scheidende Domenech über seinen Nachfolger Laurent Blanc, "er wird in Zukunft ein Team haben. Hier hatten wir keins."
Sportlich endete die WM in Südafrika für den Vizeweltmeister von 2006 nach einem 1:2 (0:2) gegen die Gastgeber mit dem Scheitern in der Vorrunde im Desaster, doch auch für das Verhalten der Spieler außerhalb des Platzes schämt sich mittlerweile ganz Frankreich. "Im Moment bin ich nicht fähig, eine Bilanz zu ziehen", sagte Domenech, verlor ansonsten aber kein böses Wort über die Spieler, die ihm längst nicht mehr gefolgt waren. Frankreich dagegen ist entsetzt über das, was sich in Südafrika abgespielt hat.
Spieler verzichten auf WM-Prämien
Einmal flogen die Franzosen noch zurück in ihr von Beginn an umstrittenes Luxushotel in Knysna, das sich in den 17 Tagen seit der Ankunft zunehmend in einen Käfig voller Narren verwandelt hatte. Am Mittwoch erst reist die blamierte und zerstrittene Mannschaft nach Paris. Dort soll es Konsequenzen geben: Die Sportministerin hat eine Untersuchung der Vorfälle angekündigt, nachdem sie dem Trainer und den Spielern am Montag persönlich die Leviten gelesen hatte.

Evra wollte sich schon am Montag zu den Vorgängen im französischen Quartier äußern. "Aber diese Entschuldigung hat mir unser Trainer verboten."
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Auf die WM-Prämien in Höhe von insgesamt fünf Millionen Euro werden die Profis verzichten, kündigte Mannschaftskapitän Patrice Evra an. Außerdem werde es in den nächsten Tagen eine Erklärung zu den Vorgängen im französischen Quartier geben, sagte der Verteidiger: "Die Franzosen sollen die Wahrheit wissen."
Bachelot kündigt Konsequenzen an
Die zerstrittene Mannschaft sei gegen Südafrika noch einmal "solidarisch ins Spiel gegangen", behauptete Domenech, dem bereits vor der WM gesagt worden war, dass er nach der WM von Laurent Blanc ersetzt wird. Diese Aussage galt freilich höchstens für die Spieler, die auf dem Platz standen - zumindest einer hatte sich einem Einsatz verweigert: Eric Abidal wies Domenech darauf hin, dass er nicht zu spielen gedenke. Er fühle sich ausgebrannt, ließ er wissen. Wer's glaubt.

Zum Ende seiner Amtszeit zeigte sich Raymond Domenech als schlechter Verlierer. Der umstrittene Coach verweigerte seinem Trainerkollegen Carlos Alberto Parreira nach dem 1:2 gegen den Gastgeber den Handschlag.
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Auch die Einmischung von höchster Stelle zeigte am Ende keine Wirkung mehr. Im Auftrag von Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte Sportministerin Roselyne Bachelot die rebellierenden Spieler, die nach dem Rauswurf von Enfant terrible Nicolas Anelka das Training boykottiert hatten, vor Ort ins Gebet genommen: "Ich habe ihnen gesagt, dass sie für unsere Kinder nicht mehr Helden sein können. Sie haben die Träume ihrer Landsleute, ihrer Freunde und ihrer Fans zerstört."
Bachelot kündigte Konsequenzen an. Es werde nach der WM eine externe Untersuchung der Vorfälle geben, bei der "auch die Spieler angehört werden". Zudem werde sie die "Charta des Berufsethos'", die der französische Fußball-Verband FFF nach dem EM-Debakel von 2008 installiert, danach aber "mit den Füßen zerstampft" habe, wieder mit Leben füllen. "Jeder Spieler muss diese Charta unterschreiben, wer das nicht macht, wird nicht in die Nationalmannschaft berufen", sagte die Ministerin.
Franzosen wenden sich ab
Viele Franzosen wandten sich nach dem "moralischen Desaster" (Bachelot) schon von ihren einstigen Helden ab. Im Pariser Vorort Vinciennes wurde ebenso wie im Städtchen Anzin-Saint-Aubin im Norden des Landes auf die Live-Übertragung des letzten Gruppenspiels auf Großbildschirmen abgesagt. Die Spieler seien "kein Vorbild mehr für die Franzosen, vor allem nicht für die Kinder, die ihren Sport und ihr Land lieben", sagte Vinciennes' Bürgermeister Laurent Lafon. Sein Amtskollege David Hecq aus Anzin-Saint-Aubin bezeichnete die französischen Nationalspieler sogar als "Gesindel".
Das Modell der multikulturellen Mannschaft als Spiegelbild der französischen Gesellschaft, das beim WM-Triumph 1998 noch bejubelt worden war, scheint gescheitert. Der Philosoph Alain Finkielkraut, für seine Ablehnung des Multikulturalismus bekannt, fasste provokant zusammen: "Die französische Mannschaft ist keine Mannschaft, sondern eine Bande von Verbrechern, die nur ein Gesetz kennt: das der Mafia."
Quelle: ntv.de, Thomas Lipinski, sid