Rathgeber Fine Hotels Persönlichkeit statt Powerpoint
17.09.2025, 10:40 Uhr
Gute Gastgeber sind dort zu finden, wo "Haltung nicht auf einer Powerpoint-Folie basiert".
In seiner neuen Kolumne "Rathgeber Fine Hotels" stellt unser Autor Ihnen Hotels für Geschäftsreisende vor. Durchaus auch kritisch, denn viele dieser Business-Hotels gehören zu großen Ketten – und die kommen bei Carsten K. Rath oft nicht gut weg: zu viel Prozess - zu wenig Persönlichkeit. In der Auftaktkolumne erklärt er Ihnen, warum das so ist.
Ich bin 350 Tage im Jahr unterwegs, meist geschäftlich. Das bedeutet, dass ich in Hotels aus dem Koffer lebe. Dabei bin ich immer auch auf der Suche nach den besten Häusern im Business-Segment, von denen zukünftig die Besten unter dem Gütesiegel "Fine Hotels by ntv" ausgezeichnet werden. Die Qualität eines Hauses erkenne ich oft schon vor der Anreise bei der Reservierung. Und schon beim ersten Blickkontakt mit den Mitarbeitern an der Rezeption weiß ich, ob hier Haltung oder nur Hochglanz herrscht.
Der Hintergrund: Gäste lieben Individualität. Und ich schätze Gastfreundschaft, die aus Überzeugung kommt – nicht aus einem Pflichtgefühl oder einer Schulung heraus. Aber manchmal bleibt mir keine Wahl. Dann lande ich bei einem der großen Konzerne wie Marriott, Accor oder Hilton. Ich finde mich wieder in einer Welt, in der jeder Aufenthalt von einem neuen Markenversprechen begleitet wird – und von einem immer gleichen Gefühl: Entfremdung.
Das beginnt schon beim Check-in. "Feel Welcome", steht in großen Lettern hinter der Rezeption. Auf der Willkommenskarte im Zimmer: "Wonderful Hospitality. Always". Und die Hotel-App verspricht: "Exceptional Stay. Every Stay". Jetzt stehe ich aber noch immer vor dem Empfang in der Schlange und warte auf einen Mitarbeiter. Der ist offenbar tief in der Markenidentität versunken. Dabei bemerkt er nicht, dass ich seit Minuten an der Rezeption stehe.
Wir leben im Zeitalter der großen Worte und der kleinen Wirklichkeiten. Marriott, Accor, Hilton – das sind drei Hotelgiganten mit mehr als 60 Submarken. Ich kenne die Gespräche, die Hotels von einer "Brand Conversion" überzeugen sollen. "Wir könnten aus Ihrem Haus in Lissabon ein Autograph Collection machen." – "Oder ein Handwritten Collection von Accor." – "Oder ein Curio by Hilton – das ist gerade emotional sehr aufgeladen."
Powerpoint-Pyramiden mit großspurigen Sinnformeln

Als früherer Grandhotelier und Betreiber des relevantesten Gütesiegels "Fine Hotels ntv" (www.fine-hotels.de) im deutschsprachigen Raum, ist Carsten K. Rath Globetrotter von Berufs wegen. Sämtliche Hotels, über die er für ntv.de schreibt, bereist er auf eigene Rechnung. (Porträt: Carsten Rath)
Kommt eine neue Submarke auf den Markt, bedeutet dies: Es gibt ein neues Logo, neues Farbkonzept, neue Lizenzgebühr, neue Präsentation für Investoren – und die Illusion von Innovation. Jede dieser Submarken will besonders sein. Jede behauptet, einzigartig zu sein. Doch ihre Sprache klingt immer gleich. Sie ist durchsetzt mit Begriffen wie Connected Culture, Empowered Hospitality, Meaningful Travel, Serve 360, Purpose-Driven Experience. Wenn aber jede Marke mit denselben Worthülsen arbeitet, wird aus Differenzierung ein rhetorischer Einheitsbrei. Am Ende bleibt nur Marketing mit wohlklingenden Sinnversprechen – aber keine echte Haltung dahinter. Das dient allenfalls der Hotelgesellschaft und manchmal auch dem Immobilieneigentümer.
Die großen Marken also sind damit beschäftigt, sich selbst zu verheißen. Sie bauen Powerpoint-Pyramiden mit großspurigen Sinnformeln, entwickeln neue Untermarken und hoffen, dass die Gäste den Unterschied nicht bemerken. Doch immer öfter höre ich von ihnen die Frage: "Was bringt mir diese Marke eigentlich – außer Punkte?" Meine Antwort lautet: wenig. Hier ersetzt das Loyalitätsprogramm die Loyalität, und der Aufenthalt wird Mittel zum Zweck. Man schläft bei Marke A, um bei Marke B ein Gratisfrühstück zu bekommen. Das ist kein Beziehungssystem, sondern eher ein Rabattkalender.
Die wahren Alternativen sind dort zu finden, wo Haltung nicht auf einer Powerpoint-Folie basiert. Ich übernachte lieber in Häusern, die sich nicht unterordnen müssen, sondern auf Augenhöhe agieren. Best Western, Romantik Hotels, The Leading Hotels, Preferred Hotels & Resorts oder Relais & Châteaux sind solche Marken. Sie schreiben ihren Mitgliedern nicht vor, ob die Lobby ein Emotion Hub ist oder der Service Empathy First heißen muss. Sie lassen Gastgeber Gastgeber sein, geben Raum statt Richtlinie. Bei diesen Marken gibt es zwar auch Punkte. Aber das Bonusprogramm ist eher Beiwerk als Geschäftsmodell.
Wer klar bleibt, bleibt relevant
Die stärksten Marken sind die mit einer Einmarkenstrategie – und zwar aus Überzeugung. Wer etwas auf sich hält, lässt sich nicht zur Untermarke degradieren. Ich spreche von Aman, Four Seasons, Rosewood, Mandarin Oriental. Diese Marken brauchen keine Lifestyle-Ableger mit adjektivlastigen Namen. Diese Marken sollten bitte nicht mit Kempinski verglichen werden – sie stehen für Excellence. Jede Entscheidung, jede Dienstleistung, jedes Möbelstück ist Teil eines Markenkerns, der gelebt und nicht erklärt wird. Dann braucht der Gast auch keinen Purpose-Folder auf dem Zimmer. Er spürt den Sinn - in Haltung, Präsenz, Konsequenz.
Das gilt übrigens auch im Budget-Bereich. Wer klar bleibt, bleibt relevant. Motel One oder B&B Hotels machen vor, wie es geht: Statt eines Markengewitters und globaler Floskeln gibt es einen Namen, eine Linie und ein Versprechen. Und dazu: Wiedererkennbarkeit, Ehrlichkeit und Struktur.
Für mich als Vielreisenden bedeutet das, dass ich keinen "Deep Dive into Guest Empowerment", kein "Local Immersion with Global Connectivity" und kein "Curated Emotional Environment" möchte. Ich möchte einen ehrlichen und zugewandten Check-in. Ein ruhiges Zimmer. Ein Team, das Haltung hat. Und einen Kaffee, der nicht nach Konferenz schmeckt.
Quelle: ntv.de