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Tsunami-Warnung aufgehoben In Japan bebt wieder die Erde

Ein buddhistischer Mönch betet für die Opfer von Erdbeben und Tsunami am 11. März.

Ein buddhistischer Mönch betet für die Opfer von Erdbeben und Tsunami am 11. März.

(Foto: AP)

Die Katastrophenregion im Nordosten Japans wird von einem schweren Erdbeben der Stärke 7,1 erschüttert. Der Erdstoß hat aber offenbar keine Auswirkungen auf das havarierte AKW Fukushima 1. Dort pumpen Arbeiter weiter Stickstoff in einen Reaktor, um Explosionen zu verhindern. Polizisten suchen derweil rund um Fukushima nach Opfern des ersten Bebens.

Ein neues starkes Erdbeben hat die Katastrophenregion im Nordosten Japans erschüttert. Die Stärke des Bebens um 23.30 Uhr Ortszeit (16.30 Uhr MESZ) wurde zunächst mit 7,4 angegeben, später jedoch von der US-Erdbebenwarte USGS auf 7,1 heruntergestuft. Das Epizentrum lag demnach 66 Kilometer östlich der Stadt Sendai, die bereits bei der Katastrophe am 11. März verwüstet worden war. Auch in der Hauptstadt Tokio, mehr als 300 Kilometer entfernt, bebten die Häuser.

Es seien viele Notrufe wegen verletzter Menschen, Brände und Gaslecks eingegangen, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo unter Berufung auf Polizei und Feuerwehr. In der Präfektur Miyagi sperrte die Polizei die Autobahnen. In mehreren Regionen wie Fukushima, Yamagata, Aomori, Iwate and Akita fiel der Strom aus. Hochgeschwindigkeitszüge wurden teilweise angehalten. Die zunächst ausgegebene Tsunami-Warnung für die Katastrophenregion im Nordosten Japans wurde laut Kyodo wieder aufgehoben.

Die Polizisten suchen in Schutzkleidung nach Erdbeben- und Tsunamiopfern.

Die Polizisten suchen in Schutzkleidung nach Erdbeben- und Tsunamiopfern.

(Foto: REUTERS)

An dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima 1 und dem AKW Fukushima 2 wurden laut Betreiber Tepco keine Auswirkungen der neuen Erdstöße festgestellt. Die Arbeiter wurden jedoch vorübergehend in Sicherheit gebracht. Nach Aufhebung der Tsunami-Warnung sollte weiterhin Stickstoff in Reaktor 1 gepumpt werden. Im Kernkraftwerk Onagawa berichtete der Betreiber nach Angaben des Fernsehsenders NHK über Probleme mit der äußeren Stromversorgung. Die Versorgung der Anlage sei aber sichergestellt. Das AKW liegt seit dem Beben vor vier Wochen still. Im AKW Higashidori und in der Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho wurde die externe Stromversorgung unterbrochen, berichtete Kyodo. Die Notversorgung funktioniere aber an beiden Orten.

Die Präfektur Miyagi war am 11. März am schwersten von dem Erdbeben der Stärke 9,0 getroffen worden, das einen mehr als zehn Meter hohen Tsunami auslöste. Durch das bislang schwerste Beben in Japan und die Flutwelle kamen vermutlich fast 28.000 Menschen ums Leben. Mehr als 12.600 Tote wurden bereits registriert, aber mehr 15.000 Menschen werden noch immer vermisst. Große Teile der Region wurden durch den Tsunami verwüstet, und noch immer wohnen tausende Menschen in Notunterkünften.

Opfersuche in der Sperrzone

Hunderte Polizisten hatten zuvor in der Evakuierungszone um das Atomkraftwerk Fukushima 1 nach Opfern der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe vor knapp vier Wochen gesucht. An der Aktion beteiligten sich 300 Polizisten, wie ein Polizeisprecher sagte. Die Arbeiten konzentrierten sich auf ein Gebiet im Abstand von zwischen zehn bis 20 Kilometern um Fukushima 1. Die Beamten trugen weiße Schutzkleidung und hatten Strahlenmessgeräte bei sich.

Für Fukushima gilt ein "beschränkter Zugang", wie es auf dem Schild (l) heißt.

Für Fukushima gilt ein "beschränkter Zugang", wie es auf dem Schild (l) heißt.

(Foto: dpa)

In der Region um das Unglücks-Atomkraftwerk werden seit dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März mehr als 2400 Menschen vermisst. Die Polizei hatte bereits am Montag mit ersten Sucheinsätzen in dem Gebiet begonnen, nachdem die Rettungskräfte aufgrund der in dem Gebiet gemessenen Radioaktivität davon zunächst Abstand genommen hatten.

Die Regierung überlegt auch, den geflohenen Menschen eine kurze Rückkehr in die Sperrzone zu erlauben. Sie sollten an ihren früheren Wohnorten schnell noch Wertgegenstände und andere Dinge holen können. Regierungssprecher Yukio Edano deutete gleichzeitig an, die Evakuierungszone von 20 Kilometern könne möglicherweise ausgedehnt werden, wie das unter anderem die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) und Experten aus dem Ausland gefordert hatten. Anordnungen zur Evakuierung würden ausgesprochen, wenn das Risiko einer Strahlenbelastung von mindestens 50 Millisievert bestehe, sagte Edano.

Druck beginnt zu sinken

In Fukushima hatten die Arbeiter bereits vor dem neuerlichen Beben mit der Einspeisung von Stickstoff in den Reaktor 1 begonnen, um eine drohende Explosion zu verhindern. Der Druck in dem Reaktorbehälter sei seit Beginn der Einspeisung gestiegen, das Gas habe sich offenbar gut ausgebreitet, teilte Betreiber Tepco mit. Um insgesamt 6000 Kubikmeter Stickstoff einzuspeisen, soll die als "Präventionsmaßnahme" eingestufte Maßnahme sechs Tage dauern.

Die defekten Reaktoren müssen noch immer gekühlt werden.

Die defekten Reaktoren müssen noch immer gekühlt werden.

(Foto: dpa)

Die Brennstäbe im Reaktorblock 1 hatten zeitweise aus dem Kühlwasser geragt und sich gefährlich erhitzt. Dadurch könnte sich das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff getrennt haben. In diesem Fall steigt das Risiko einer Knallgasexplosion. Mit Stickstoff lässt sich das gefährliche Gemisch verdünnen. Stickstoff ist reaktionsträge, so dass unerwartete chemische Reaktionen ausgeschlossen sind. Tepco plant, in den kommenden Wochen Stickstoff auch in die Reaktoren 2 und 3 zu pumpen. In den Tagen nach dem Tsunami vom 11. März war es in den Blöcken 1, 3 und 4 zu Wasserstoff-Explosionen gekommen, die starke Zerstörungen angerichtet hatten.

Der Betreiber bemühte sich gleichzeitig, Sorgen vor einer weiteren Wasserstoffexplosion zu zerstreuen. Es sei eine reine Vorsichtsmaßnahme, dass die Arbeiter Stickstoffgas in die Reaktorgebäude pumpen, sagte ein Sprecher. Die Wahrscheinlichkeit weiterer Wasserstoffexplosionen sei "extrem gering". Vorsichtig optimistisch äußerte sich auch Regierungssprecher Edano: "Daten zeigen, dass sich die Reaktoren stabilisiert haben, aber wir sind noch nicht über dem Berg." Auch der Atomsicherheitsbehörde NISA zufolge besteht keine unmittelbare Explosionsgefahr. Gleichzeitig wies die Behörde Tepco an, die radioaktive Strahlung in der Umgebung genau zu beobachten. Zuvor war es den Arbeitern bereits gelungen, ein Leck an den Reaktorruinen mit Hilfe von Wasserglas zu verschließen. Aus dem havarierten Atommeiler fließt seitdem kein hochradioaktives Wasser mehr ins Meer.

Arbeit an erstem Krisen-Sonderhaushalt

Die Regierung arbeitete derweil mit Hochdruck an ihrem ersten Krisen-Sonderhaushalt, der bis Ende des Monats stehen soll. Der Minister für Nationale Strategien, Koichiro Gemba, sagte vor Abgeordneten, mit einem Volumen von umgerechnet knapp 33 Milliarden Euro (vier Billionen Yen) werde der Nothaushalt wohl deutlich umfangreicher ausfallen als erwartet. Mit dem Geld sollten die unmittelbaren Schäden vom Erdbeben sowie dem Tsunami beseitigt und die Errichtung von Notunterkünften finanziert werden. Die Bank of Japan beschloss zudem die Gewährung von Sonderkrediten für die betroffene Region im Nordosten.

Unterdessen erwägt die Regierung, ein ferngesteuertes US-Flugzeug einzusetzen, um die extrem hohe Strahlung an den Abklingbecken der Reaktoren zu messen. In Fukushima liegen die Becken mit den gebrauchten Kernbrennstäben offen. Um sie zu kühlen, werden die Becken mit Wasser geflutet. Da dieses verseuchte Wasser überlaufen kann, muss das automatische Kühlsystem wieder in Gang gebracht werden. Die Arbeiter können diese Maschinen jedoch wegen der extremen Verstrahlung nicht erreichen. Mit Hilfe eines kleinen unbemannten Flugzeugs vom Typ T-Hawk könne die Strahlenkonzentration an den Abklingbecken ohne Gefahr gemessen werden.

Laut will US-Außenministerin Hillary Clinton nächste Woche Japan besuchen. Erst am vergangenen Wochenende war Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu einem Kurzbesuch in Japan. Als erster ausländischer Staatsgast war Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy nach der Katastrophe nach Japan gereist.

Auch außerhalb Japans wächst die Furcht vor tödlichen Strahlen aus Fukushima. Südkorea schloss aus Angst vor radioaktiv verseuchtem Regen mehrere Schulen, die Behörden rieten der Bevölkerung von Aktivitäten im Freien ab. Südkoreas Präsident Lee Myung Bak setzte einen Krisenstab ein, der über Schutzmaßnahmen gegen radioaktive Strahlung beraten sollte. In China entdeckten Wissenschaftler radioaktiv belasteten Spinat in Proben aus drei Provinzen.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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