50 Jahre GöttinKleine Ausfahrt mit Citroën DS und luxuriösem DS9
Von Patrick Broich
Citroën feierte dieses Jahr 50-jähriges Jubiläum mit dem D-Modell. Grund genug, noch mal eine Runde mit der im Volksmund Göttin genannten Sänfte zu drehen. Als modernen Gegenpol hat ntv.de ihr einen DS9 zur Seite gestellt. Welcher hat mehr Charakter?
Mal ehrlich, das Citroën D-Modell hat immer ein bisschen darunter gelitten, dass der ursprünglich angedachte Sechszylinder-Boxer in der Serie nicht realisiert wurde. Egal, dennoch kam die vor exakt 70 Jahren erschienene Neuheit aus dem Hause Citroën Mitte der 1950er-Jahre einer automobilen Revolution gleich. Radikal anderes Design, das damals hypermoderne hydropneumatische Fahrwerk und seinerzeit unglaublich moderne Features wie Kurvenlicht (kam allerdings später) oder Scheibenbremsen machen das kleine Sechszylinder-Malheur mehr als wett.
Und aus heutiger Sicht? Wirkt die DS antriebsseitig ein bisschen raubeinig, vom Fahrwerk geschmeidig und optisch cool. Allein diese Proportionen! Welches Auto weist schon 3,13 Meter Radstand bei bloß 4,84 Metern Länge auf? Irre! Die Zielgruppe für den Klassiker ist heute gemischt. Der automobile Hipster passt hier ebenso gut hinter das Steuer wie der ältere Herr mit weißem Bart, der vielleicht langjähriger Zweitbesitzer ist.
Das für diese Geschichte aufgetriebene Exemplar stammt aus dem Jahr 1974 und gehört zu den ganz späten Vertretern und als DS23 vor allem zu den Topmodellen. Allerdings ist es eine 110 PS starke Vergaser-Variante und nicht der Einspritzer.
Innen herrscht Wohnzimmer-Flair mit üppigen Stoff-Fauteuils und statt des rechteckigen Bandtachos gibt es zwar gewöhnlichere, aber auch sportlicher anmutende Rundinstrumente. Macht nichts, der Hauch von Drahtigkeit steht der mondänen DS eigentlich gut als kleiner Kontrastpunkt und passt wiederum zum akustisch rauen Vierzylinder.
Was wiederum weniger zur DS passt, ist das halbautomatische Viergang-Getriebe. Aber das ist subjektiv, eingefleischte Fans werden an dieser Stelle sowieso protestieren. Es wirkt eben immer ein bisschen fragil, denn du kannst nicht einfach hektisch "D" einlegen und auf das Gas, sondern musst immer betont gefühlvoll mit dem Getriebe umgehen, sonst ruckelt es und fühlt sich falsch an.
Also, entweder Schaltgetriebe oder die exotische Wandlerautomatik, die es allerdings fast nie gab und wenn überhaupt, dann nur bei den ganz späten Ausführungen. Fans raten ohnehin von der Borg-Warner-Automatik ab. Aber warum nicht ein bisschen Anti-Mainstream unterwegs sein?
Zentralhydraulik gehört zur DS-DNA
Und sonst? Mit 110 PS ist die Berline (steht für Limousine) gut aufgestellt, das Fahren mit dem rund 1,3 Tonnen schweren Fronttriebler gelingt unaufgeregt. Nicht so einfach im Umgang hingegen ist die an die Zentralhydraulik angedockte Bremse. Hier bitte wirklich Vorsicht beim Dosieren, denn das ist schon eine kleine Kunst. Der Knopf statt Pedal da unten im Fußraum hat einfach keinen klassischen Pedalweg - einmal unachtsam auf ihn getappt, und die Passagiere bewegen sich ruckartig Richtung Windschutzscheibe. Nach ein bisschen Praxis geht jedoch alles glatt von der Hand, selbst der Umfang mit der Halbautomatik.
Als modernes Gegenstück hat ntv.de nicht den aktuellen DS N°8 gewählt, sondern den DS9, der inzwischen zwar ausgelaufen ist, aber modellhistorisch besser passt. Zur Einordnung: Formal handelt es sich beim DS8 um eine Mittelklasse, während man den DS9 trotz des Bruchs (DS wurde längst zur eigenständigen Marke) getrost in die Ahnenreihe DS, CX, XM und C6 einordnen darf.
Er tritt mit 4,93 Metern Außenlänge segmentgerecht auf, bleibt aber mit einem Radstand von 2895 Millimetern weit hinter der Ur-DS zurück. Mangelnder Fortschritt? Nein, sicher nicht, schließlich musste binnen sieben Jahrzehnten das eine oder andere Sicherheitsmerkmal installiert werden.
DS9-Topmodell ist Kraftpaket
Aber! Und so schließt sich der Kreis: Der auf der EMP-Plattform basierende Luxus-DS trägt im Gegensatz zu XM und C6 obligatorisch einen Vierzylinder unter der Motorhaube. Dafür im Falle der Spitzenausführung "E-Tense 360 4x4" allerdings auch geballte Elektropower in Form zweier Zusatzaggregate. Denn der 200 PS starke 1,6-Liter-Benziner bekommt Schützenhilfe in Form von 110 PS elektrischen PS vorn. Außerdem gibt es weitere 113 PS eigens für die Hinterachse, wodurch der DS auch noch zum Allradler wird.
Zudem bunkert sein Akku knapp 12 kWh, der DS9 ist also ein echter Plug-in-Hybrid mit 47 Kilometern elektrischer Reichweite. Entscheidend aber ist, dass es sich mit 360 PS Systemleistung (bis heute übrigens) um das stärkste DS-Modell handelt, denn selbst der rein elektrisch angetriebene DS N°8 leistet maximal 350 PS.
Und so wird der durchaus schick eingekleidete Businessklässler zur ganz schön fixen Angelegenheit. Auf dem Papier stehen 250 km/h und kurze 5,7 Sekunden bis 100 km/h. Das klingt allerdings wilder, als die Praxis aussieht. Der komfortabel abgestimmte Zweitonner ist alles andere als ein Racer, sondern vielmehr ein souveräner Tourer ohne Vollgas-Ambitionen. Einer, der außerdem über ganz kommode Sitze und reichlich Platz verfügt. So ist der mit Achtgang-Wandlerautomatik ausgerüstete Franzose ein dankbarer Langstrecken-Kandidat.
Und was unterscheidet ihn von der alten DS? Sicherlich das eher konventionelle Erscheinungsbild, wobei man so manches coole Detail an der DS9-Karosse findet. Traurig ist, dass PSA - damals für die Entwicklung des DS zuständig, heute in Stellantis aufgegangen - niemals die Kraft gefunden hatte, für DS-Fahrzeuge eine Hydropneumatik oder wenigstens ein anderes aktives Federungssystem zu entwickeln. Stattdessen gibt es bloß elektronisch regelbare Dämpfer, aber das ist eben nicht vergleichbar.
Und verrückt ist eigentlich, dass der exzentrisch-ikonisch gestaltete Ur-DS seiner Zeit eine Massenerscheinung war, während der moderne DS9 lediglich ein Randphänomen blieb. Gerade mal 255 Exemplare wurden hierzulande zugelassen, davon sogar noch 25 Stück dieses Jahr. Das sind von der Anzahl deutlich weniger Neufahrzeuge als DS-Klassiker, die immer noch auf deutschen Straßen unterwegs sind.
In den einschlägigen Internetbörsen finden sich DS9-Allrad-Topmodelle mit wenigen Kilometern auf der Uhr für etwas mehr als 40.000 Euro. Insgesamt ist das Angebot überschaubar und beträgt nur ein Drittel dessen, was sich an alten DS tummelt und zum Verkauf bereitsteht. Um ein gutes Exemplar zu ergattern, sollte man 20.000 Euro einplanen.
Aber welcher hat nun mehr Charakter? Eine alte DS als Sommer-Genussfahrzeug geht immer, ist aber allein wegen ihrer massenhaften Erscheinung eigentlich kein Aufreger mehr. Und der DS9-Exot ist fast zu blass, um als Charakter-Mobil aufzufallen, aber eigentlich ziemlich cool bei genauer Betrachtung. Der Hardcore-Fan muss natürlich beide haben, klarer Fall.