Individualistische AlternativeIst der Rafale noch ein Renault von altem Glanz?
Von Patrick Broich
Mit dem flachen SUV Rafale zeigt die Marke Renault, dass sie auch jenseits der Retro-Palette noch spannende Modelle bietet. Doch die gehen fast unter. ntv.de war mit der starken PHEV-Version unterwegs. Verströmt der 4x4 noch den alten Markenglanz?
Renault gibt Gas (und Strom), was in der Tat auffällt. Vor allem die neuen Retroprodukte R4, R5 und Twingo bringen der Marke gerade viel Aufmerksamkeit. Doch es wäre fatal, die Tragfähigkeit einer ganzen Automarke auf Retro-Romantik zu begründen. Aber gerade in der Vergangenheit war Renault eben unglaublich stark. Und zwar nicht nur bei den kleinen Flitzern, sondern auch in der Mittel- und Businessklasse.
Noch in den 1980er-Jahren gab es scharfe Produkte wie den R21 Turbo beispielsweise. Oder man denke nur an den legendären Safrane Biturbo der Neunziger. Und selbst in den Nullern gab es mit dem Crossover-Coupé Avantime ein verrücktes Halo Car.
Und heute? Müssen sich die Verantwortlichen ganz schön ins Zeug legen, um an das frühere Niveau heranzureichen. Mit dem Retro-Fundament allerdings ist ja schon ein guter Grundstein dafür gelegt, um an alte Zeiten anzuknüpfen. Im mittleren Bereich immerhin ist Renault wieder im Kommen - auch wenn die Zeiten von Sechszylinder und Co. wohl vorbei sind.
Lass über den Rafale sprechen, denn er hat gerade die Aufgabe, das Label als Topmodell zu repräsentieren. Und im Konfigurator heißt es "Hyper Hybrid E-Tech 4x4 300 Plug-in" - das sind große Worte. In der Tat verfügt der Top-Rafale über die größte bisher im Konzern ausgegebene Motorleistung, wenn man einmal vom künftigen R5 Turbo 3E absieht. So listet das Pdf-Prospekt Renaults ziviles Topmodell mit 300 PS - wobei das zwar souverän klingt, aber für heutige Verhältnisse eben auch nicht mehr gigantisch. Und richtig sportlich ist das 4,71 Meter lange Coupé-SUV auch nicht unbedingt, was aber auch nicht wirklich gewünscht ist.
Beim Rafale geht der Mattlack in Ordnung
Hier zählen andere Währungen, und die heißen Design, Komfort sowie Platz. Einen Blick auf die Außenhaut des Crossover geworfen: Muskulös, schneidig, spannungsgeladen - so könnte man die Kreation kompakt beschreiben. Doch das Blechkleid mit seinen ästhetischen Sicken und der schicken Form sind die eine Sache, Farbe die andere. Daher ruhig mal zum "satinierten" Gipfelblau greifen, denn der matte Ton erzeugt beim Rafale ein punktgenau dosiertes Maß an Sportlichkeit.
Was bei Kalibern wie Mercedes G-Klasse oder Lamborghini Urus drüber und prollig wirkt, entfaltet beim eher dezenten Renault die richtige Wirkung. Kombiniert mit markant-schwarzem Kühlergrill sowie leicht futuristisch angehauchten Scheinwerfern heißt das: ganz schön cool. Cooler, als man bei der Marke Renault heute erwarten würde. Denn die Modelle in den letzten Jahren waren ja eher blass.
Doch dann hat man das Interieur noch nicht gesehen. Hier geht es nämlich mindestens eine Nummer fetziger zu mit einer Mischung aus Drahtigkeit, Kreativität und Noblesse. Insbesondere bei den Sitzen haben die Verantwortlichen geklotzt und nicht gekleckert. Denn einerseits haben die Architekten das vordere Mobiliar mit üppigen Wangen ausgestattet, sodass man selbst bei zügiger Kurvenfahrt kaum aus der Mittelbahn geworfen wird. Und diese Wangen wurden auch noch mit feinen Tripple-Ziernähten in den französischen Landesfarben versehen. Sportsitze eben. Zur Krönung ist das Alpine-Markenlogo "A" in den Sitzlehnen beleuchtet, das beispielsweise für die Ausstattungslinie "Esprit Alpine" steht. Wenn das nicht mal special ist. Andererseits sind die durchaus stattlichen Sessel so komfortabel, dass man ihnen glatt Langstreckentauglichkeit bescheinigen könnte.
Interieur ist praktisch und fein
Was den Rest des Innenraums angeht, ist, sagen wir mal, typisch Renault anno 2025. Als da wären: Annehmlichkeiten wie eine große, leicht zum Fahrer hingewandte Display-Einheit, wie es vom Prinzip her einst BMW vormachte. Funktioniert von der ergonomischen Erreichbarkeit auch heute noch ganz gut, und die von Google kreierte Menüoberfläche lässt den Bediener recht intuitiv durch das Menü wischen.
Als Schrulligkeit geht der etwas versteckt rechts der Lenksäule angebrachte, mit Knöpfchen gespickte Satellit durch. Weiß man erst, wo er zu finden ist, kann man sich mit ihm arrangieren. Hier lässt sich beispielsweise die Lautstärke der Musikanlage per physischer Taste regeln. Gut zugängliche USB-Schnittstellen sowie einfaches Abschalten störenden Piepkrams sind in der heutigen Zeit so die kleinen Dinge des Autofahrerlebens, die Anlass zur Freude bieten.
Spätestens nachdem das alles besprochen wäre, kommt man unweigerlich zum Thema Antrieb. Tja, und da gibt es beim jungen Topmodell der Marke leider auch nur noch bürgerliche Kost. Die V6-Zeiten sind vorbei, stattdessen arbeitet unter dem Blech als primäre Antriebsquelle ein 150 PS starker Dreizylinder-Turbobenziner mit 1,2 Litern Hubraum plus 34 PS kräftigem Startergenerator. Der liefert bei Bedarf zusätzliche 50 Newtonmeter Boost.
Außerdem ist das Ottotriebwerk über das im Konzern übliche Multi-Mode-Getriebe mit seinem 70 PS starken Elektroaggregat an der Vorderachse verbunden. Es bietet zwei Übersetzungsstufen für das elektrische Kraftpaket und vier für den Verbrenner. In Bewegung setzt sich der Zweitonner elektrisch (keine Kupplung nötig), bevor sich Kollege Otto einklinkt, was für ein geschmeidiges Anfahren sorgt - besser kann es auch ein Wandler nicht.
Auch die Übersetzungswechsel gelingen weitgehend ruckfrei. Beim Plug-in-Hybrid mit 22 kWh großer Batterie sorgt ein dritter Elektromotor mit 136 PS an der Hinterachse für zusätzlichen Schub. Außerdem wird der Franzose dadurch unweigerlich zum Allradler. Nicht aber zum Autobahnjäger, denn bei 180 Sachen ist Ende der Fahnenstange.
Kein überbordendes Dynamik-Bündel
Hochgradig fahrdynamisch ist der Top-Rafale jetzt natürlich nicht. Indes auch alles andere als träge. Er schiebt beflissen, darf man sagen. Unter voller Last fühlt sich das aber mehr bemüht als druckvoll an, zumal das Benzinmotörchen nicht von der Sorte Triebwerk ist, die sich jenseits der 4000 Touren wohlfühlt. Ja, man kann das Gefährt binnen 6,4 Sekunden auf 100 km/h treiben. Doch die gelassene Fahrweise steht ihm besser zu Gesicht. Dann bewegt sich der Renault gelassen und lässt den Verbrenner akustisch auch eher zurückhaltend wirken dank ordentlicher Dämmung.
Ganz ehrlich? Dass hier ein vom Typus her eher sirrender Dreizylinder sein Unwesen treibt, bekommt der Passagier kaum mit. Apropos gelassen fahren. Eigentlich sollte man die Traktionsbatterie ja immer schön laden, um dann zumindest in urbanen Gefilden über 100 Kilometer weit kommen zu können ohne Benzinantrieb. Vielleicht sollte Renault noch an der Ladeperformance arbeiten, damit diese Möglichkeit etwas attraktiver wird. Derzeit braucht es mindestens fünfeinhalb Stunden, um den Akku vollzukriegen mit einer maximalen Ladeleistung von 3,7 kW. Fährt man hybridisch, geht der Verbrauch von 6,5 Litern (WLTP) allerdings in Ordnung für ein System mit einem solchen Output.
Dafür ist der Rafale ein kleines Technik-Biest mit Allradlenkung und regelbarer Dämpfung, was Assets wie Komfort auf der Langstrecke und Wendigkeit in der City verknüpft. Auch platztechnisch geht das schon in Ordnung. Für 2,74 Meter Radstand, was nicht ausufernd ist, kann der Franzose selbst im Fond Reisetauglichkeit offerieren - nämlich insofern, als dass man seine Beine ganz gut sortiert bekommt.
Nur: Wo bleibt die Sitzheizung hinten? Nicht zu haben, weder für Geld noch gute Worte. Dafür gibt es aber in der zweiten Reihe USB-Anschlüsse. Außerdem erweist sich das SUV mit der fließenden Dachlinie als ganz schön praktisch angesichts 1826 Litern Kofferraumvolumen. Bei voller Besatzung sind immer noch 539 Liter möglich - für eine Mittelklasse schon ansehnlich. Es sind eben nicht bloß Kombis praktisch.
Mit mindestens 53.500 Euro ist der Rafale 4x4 gefühlt kein richtiges Schnäppchen, auch wenn er schon ohne Sonderausstattungen wirklich top ausgestattet daherkommt, sogar mit Gimmicks wie elektrischer Heckklappe, adaptiven LED-Scheinwerfern sowie Navi. Andererseits muss man fairerweise sagen, dass der hiesige Wettbewerb für vergleichbare Produkte (BMW X3 oder Mercedes GLC) bis zu 20.000 Euro mehr verlangt. Insofern darf das Preis-Leistungs-Verhältnis wieder als attraktiv durchgehen.
Datenblatt Renault Rafale Hyper Hybrid E-Tech 4x4 300 Plug-in
Abmessungen: (Länge/Breite/Höhe) 4,71 / 2,09 (mit Außenspiegeln) / 1,61 m
Radstand: 2,74 m
Leergewicht: 2009 kg
Sitzplätze: 5
Kofferraumvolumen: 539 bis 1826 Liter
Motorart: 1,2-Liter-Dreizylinder-Benziner mit Direkteinspritzung und Turboaufladung
Getriebe: 2-plus-4-Gang-Automatikgetriebe (Multimode)
Leistung, Verbrenner: 150 PS (110 kW) bei 5500 U/min
Leistung, Elektromotor vorn: 70 PS (51 kW)
Leistung, Elektromotor hinten: 136 PS (100 kW)
Leistung, System: 300 PS (221 kW)
max. Drehmoment (Verbrenner): 230 Nm bei 1750 U/min
max. Drehmoment (Elektromaschinen): 205 Nm vorn, 195 Nm hinten
Kraftstoffart: Benzin
Antrieb: Allradantrieb
Beschleunigung 0-100 km/h: 6,4 Sekunden
Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h
Elektrische Reichweite: 97 Kilometer (kombiniert)
Tankvolumen / Akkukapazität: 55 Liter / 22 kWh
Benzinverbrauch (kombiniert): 6,5 Liter (WLTP), bei entladender Batterie
Stromverbrauch (kombiniert): 16 kWh (WLTP)
CO₂-Emission kombiniert: 146 g/km (WLTP), bei entladender Batterie
Grundpreis: Ab 53.500 Euro
Fazit: Der Renault Rafale Plug-in-Hybrid ist absolut betrachtet vielleicht kein Schnäppchen. Allerdings bekommt man für den Kurs ein Auto mit ordentlichem Komfort und wirklich üppiger Ausstattung. Sein Antrieb arbeitet geschmeidig und souverän, auch wenn man sich unter 300 PS ein etwas dynamischeres Naturell vorstellt. Das Platzangebot geht in Ordnung; darüber hinaus überzeugt der Franzose mit großem Kofferraum. Und am Ende des Tages fährt man ein individualistisches Produkt mit adrettem Innenraum, cooler Optik und ziemlich feinen Sesseln samt Massagefunktion je nach Ausstattung. Insofern ist der universell einsetzbare Mittelklässler eine feine Alternative zum Massen-Mainstream.