Leistungsstark und flexibel Deutschland – ein Wunderland?
20.07.2011, 12:27 Uhr
(Foto: dpa)

In der nationalen und internationalen Wirtschaftspresse kommt Deutschland so gut weg wie seit Jahrzehnten nicht mehr. "Deutschlands kleines Wirtschaftswunder", titelte beispielsweise die Financial Times Deutschland. Und das renommierte britische Wirtschaftsmagazin The Economist schrieb sogar von "Angela im Wunderland".
Für Tammo Greetfeld gehen die Schlagzeilen allerdings zu weit. "Von einem Wunder zu sprechen ist nicht richtig", sagt der Anlagestratege der UniCredit. Ein Wunder sei schließlich ein Ereignis, das unerklärbar sei. Für den Aufschwung in Deutschland gibt es hingegen durchaus Erklärungen. In Kurzfassung: "Sowohl die Politik als auch die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht. Nun fährt Deutschland die Ernte ein", so Greetfeld.
Innovativ an die Spitze
Die Saat für die gute Entwicklung in Deutschland wurde bereits vor Jahren und weit vor der Krise gelegt. Die Politik reformierte den Arbeitsmarkt, senkte das Staatsdefizit und die Steuern für den Mittelstand, investierte in Bildung und förderte zukunftsträchtige Technologien wie beispielsweise erneuerbare Energien.
Auch die Wirtschaft tat einiges dafür, dass aus dem noch um die Jahrtausendwende als "kranker Mann Europas" geschmähten Land die Konjunkturlokomotive des Kontinents wurde. "Die Unternehmen haben die Kosten drastisch gesenkt und die Verschuldung heruntergefahren", erklärt Greetfeld. "Zudem positionierten sie sich gut in Wachstumsregionen wie Asien und eroberten durch Innovationen global eine starke Marktposition." Das gilt vor allem für die Automobilindustrie: BMW, Mercedes, VW und Audi geben nicht nur in Europa und den USA, sondern auch in Asien kräftig Gas.
Doch auch auf anderen Gebieten muss die deutsche Wirtschaft sich nicht verstecken. BASF ist der weltweit größte Chemiekonzern, produziert Kunststoffe, fördert Öl und Gas. Inzwischen erwirtschaften die Ludwigshafener über 80 Prozent des Umsatzes außerhalb Deutschlands. Siemens ist in den vergangenen Jahren von der oft bespöttelten "Bank mit angeschlossener Elektroabteilung" zum Konzern der Zukunft mutiert. Die Handy- und die Chipsparte wurden abgegeben. Stattdessen investierte das Unternehmen in Wachstumssegmente wie Medizintechnik und Energie. Ein weiteres Positivbeispiel: Fresenius Medical Care (FMC). Die Tochter des Gesundheitskonzerns Fresenius ist der weltweit größte Betreiber von Dialysekliniken und einer der größten Hersteller entsprechender Geräte. Doch es sind nicht nur die deutschen Großkonzerne, die sich auf dem Weltmarkt einen Namen gemacht haben. Einer Untersuchung der Harvard Business School zufolge sind insgesamt 1.107 deutsche Firmen in ihren Bereichen Weltmarktführer. Dazu zählen Maschinen- und Anlagenbauer ebenso wie Anbieter von Technik rund um die erneuerbaren Energien.
Die Unternehmen profitieren vom Erfindungsgeist der hiesigen Ingenieure und Wissenschaftler: Deutschlands Tüftler und Erfinder sind erfindungsreich wie eh und je. Im Jahr 2010 gab es hierzulande mehr als 17.500 Patentanmeldungen. Das waren 4,9 Prozent mehr als 2006. In den USA ging die Zahl neu angemeldeter Patente in der gleichen Zeit um 12,4 Prozent zurück.
Zwar verlagerte die Industrie viele Produktionsstätten ins günstigere Ausland. Dennoch blieb der Beitrag des produzierenden Gewerbes zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit rund 23 Prozent in den vergangenen Jahren relativ stabil. Zum Vergleich: In Großbritannien und den USA schrumpfte die Quote auf nur noch 15 Prozent und in Frankreich sogar auf 11,4 Prozent. Trotz starker internationaler Konkurrenz sind Autos und Maschinen made in Germany international gefragter denn je. Das Resultat: Im März wurden Waren im Wert von über 98 Milliarden Euro exportiert – Rekord.
Flexibel durch die Krise
Einen großen Beitrag zur Erfolgsgeschichte Deutschlands steuerten auch die Arbeitnehmer bei. Ein Faktor: Die Reallöhne sind hierzulande seit dem Jahr 2000 nur marginal gestiegen. Durch die Lohnzurückhaltung stieg die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft – und die Arbeitslosigkeit sank. Seit 2005 ging die Zahl der Arbeitslosen von knapp fünf auf weniger als drei Millionen zurück. Wie flexibel der Arbeitsmarkt funktioniert, zeigte sich insbesondere bei Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008. Obwohl keine neuen Aufträge eingingen und viele Bänder ganz oder teilweise stillstanden, blieb eine Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt aus. Die Ausweitung der Kurzarbeit half den Konzernen, ihre Belegschaft weitestgehend zu behalten und die Krise zu überstehen. "Die rasche und flexible Reaktion auf neue Bedingungen war einer der maßgeblichen Faktoren für die rasche Überwindung der Krise. Heute werden in zahlreichen Betrieben wieder Sonderschichten gefahren, um die Aufträge zu bearbeiten", sagt Aktienstratege Greetfeld. "Strukturell ist Deutschland bestens aufgestellt."
Davon zeugen die Statistiken. Die Industrieproduktion legte im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahresniveau deutlich zu. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind gut gefüllt. Die Auslastung der Fabriken liegt bei mehr als 86 Prozent und damit über dem Niveau vor Ausbruch der Krise. Das BIP stieg in den ersten drei Monaten des Jahres um 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum – das stärkste Wachstum seit der Wiedervereinigung. Zahlreiche Wirtschaftsinstitute haben ihre Prognose für das Wachstum im Gesamtjahr in den vergangenen Wochen nach oben revidiert. Der Export trug zwar erneut entscheidend zum Wachstum bei. Der ifo-Geschäftsklimaindex, einer der wichtigsten Indikatoren für die aktuelle Lage der deutschen Unternehmen, erreichte im März mit 115,4 Punkten ein Rekordhoch. Experten prognostizieren angesichts dieser Werte bereits ein goldenes Jahrzehnt für die deutsche Wirtschaft.
Zahlreiche Indizien sprechen für ein weiterhin solides Wirtschaftswachstum. "Für das laufende Jahr rechnen wir mit einem Anstieg der Wirtschaftsleistung um 3,5 Prozent. Für das kommende Jahr wird sich das Wachstum zwar auf etwa 2 Prozent abschwächen", erklärt Alexander Koch, Volkswirt der UniCredit. Akuten Grund zur Besorgnis sieht der Volkswirt aber nicht. "Die Konjunktur ist weiterhin robust. Eine Wachstumsrate von 2 Prozent liegt immer noch deutlich über dem Durchschnitt der zurückliegenden zehn Jahre."
Auch Anleger konnten vom Aufschwung der Wirtschaft profitieren. Die deutschen Aktienbarometer schnitten in den vergangenen Monaten überdurchschnittlich gut ab. UniCredit-Analyst Greetfeld ist auch für die Zukunft grundsätzlich optimistisch: "Die gute Entwicklung deutscher Titel gegenüber anderen europäischen Märkten wird anhalten." Allerdings macht er auch eine Einschränkung: "Die Krise in der Europäischen Währungsunion belastet derzeit den Aktienmarkt. Es besteht das Risiko, dass sie sich weiter verschärfen könnte. Anleger sollten sich nicht wundern, wenn es in den kommenden Monaten zeitweise zu deutlichen Schwankungen kommt."
Für volatile Kurse spricht, dass sich trotz der guten Lage erste Unsicherheit bei den Konzernen breitmacht. Vor allem externe Faktoren sind hierfür verantwortlich: Das Wachstum in großen Abnehmerländern wie Frankreich und den USA lässt nach, China zieht die Zinszügel an, um das Wachstumstempo zu drosseln. Das zeigt sich in einem leichten Rückgang der Auftragseingänge in den ersten drei Monaten des Jahres und bestätigt sich in den Erwartungen der Konzernlenker für die künftige Geschäftsentwicklung, die für den ifo-Geschäftsklimaindex erhoben werden. Diese gingen im Mai zum dritten Mal in Folge leicht zurück. Die Stimmung ist zwar noch positiv, aber nicht mehr euphorisch.
Defensiv ist Trumpf
Die Marktteilnehmer beäugen dies mit Argwohn. Schließlich waren die vom ifo ermittelten Erwartungen der Unternehmer in den vergangenen Jahren ein guter Indikator für die Entwicklung des DAX. Sanken die Erwartungen, fiel auch der Aktienindex. Hinzu kommt die Unsicherheit wegen der Schuldenkrise in Griechenland. So wundert es nicht, dass die Aktienmärkte in der ersten Jahreshälfte immer wieder leicht korrigierten. Anleger sollten sich darauf einstellen, dass das Auf und Ab noch eine Weile anhält. Einen Kurssturz prognostizieren Experten aber nicht. "Wir rechnen damit, dass sich der DAX in den kommenden Monaten seitwärts entwickeln wird", sagt Anlagestratege Greetfeld. "Mittel- bis langfristig dürften die Kurse sogar steigen – vorausgesetzt, die Krise in Griechenland weitet sich nicht aus." Auf Basis der aktuellen Daten taxiert er das DAX-Ziel zum Jahresende auf 7.400 Punkte.
Gegen einen größeren Kursrutsch spricht auch, dass der DAX gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) noch moderat bewertet ist. Die Kennzahl gibt die Relation zwischen Aktienkurs und Gewinn pro Aktie wieder. Ein niedriges KGV gilt als Indikator für eine günstige Bewertung. Kennzahlen wie diese sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Sie sind kein Patentrezept, um den richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt zu finden.
Angesichts der Unsicherheiten raten die Experten der UniCredit kurzfristig zu defensiveren Anlagestrategien.
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Neben breit diversifizierten Indizes können sich auch Zertifikate auf bestimmte Sektoren lohnen. "Exportwerte, insbesondere der Maschinenbau, sind zwar teilweise ambitioniert bewertet. Mittel- bis langfristig dürften sie allerdings vom weltweiten Wirtschaftswachstum und hier vor allem von der Dynamik in Asien profitieren", sagt UniCredit-Aktienexperte Stocker. Mit einem Index-Zertifikate auf den Solactive Deutscher Maschinenbau Performanceindex und den DAXplus Export Strategy Performanceindex können Investoren von einer möglichen Aufwärtsentwicklung dieser Sektoren profitieren.
Erfolg versprechend sind auch Index-Zertifikate, die spezielle Anlagestrategien abbilden. Angesichts steigender Ausschüttungen der Unternehmen erscheinen derzeit vor allem Index-Zertifikate interessant, die sich auf Dividendenindizes beziehen. Der DivDAX enthält die 15 dividendenstärksten Unternehmen des DAX. Mit einem Index-Zertifikat auf das Barometer können Anleger gezielt auf diese Anlagestrategie setzen. Vor einigen Wochen entwickelte die Deutsche Börse einen vergleichbaren Index auf Unternehmen aus dem MDAX und SDAX. Mit einem Index-Zertifikat auf den DivMSDAX können Investoren von einer Aufwärtsentwicklung dieser Titel profitieren.
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Quelle: ntv.de