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Stefan Riße Sagt uns endlich die Wahrheit

Griechenlands Verschuldungskrise hat den Fokus der heimischen Politik stärker den je auf die eigenen Budgetdefizite und den Zwang zum Sparen gelenkt. Doch leider fehlt den Politikern das Format und der Mut die Bevölkerung über die Konsequenzen aufzuklären.

Stefan Riße, CMC Markets

Stefan Riße, CMC Markets

Ab jetzt muss eisern gespart werden, in diesem Punkt gibt es derzeit einen selten anzutreffenden parteiübergreifenden Konsens. "Wir haben die gesetzlich verankerte Schuldenbremse, und die gilt", lautet die einmütige Aussage der Vertreter fast aller Parteien. Sie bedeutet, dass der Staat ab diesem Jahr bis 2016 jedes Jahr 10 Mrd. Euro im Bundesetat wird einsparen müssen, so dass sich die Neuverschuldung ab dann auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes reduziert hat.

Bei der Frage, wo die Einsparungen vorzunehmen sind, ist es mit der Einigkeit aber auch ganz schnell wieder vorbei und zwar nicht nur zwischen den unterschiedlichen Parteien, sondern auch zwischen den unterschiedlichen Resorts innerhalb der Regierung. Einzige Ausnahme stellte Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg dar, der im Verteidigungshaushalt Einsparpotenzial benannt hat, dafür aber umgehend erheblichen Protest aus den eigenen Reihen von ranghohen Vertretern der Bundewehr erntete.

Noch drückt sich Finanzminister Schäuble bisher um klare Aussagen herum, wahrscheinlich weil er weiß, dass wo auch immer er den Rotstift ansetzt, ein Sturm der Entrüstung losbrechen wird. Dabei dürften die 10 Mrd., die in diesem Jahr einzusparen sind, noch einhaltbar sein, und wenn es mit Bilanztricks ist, wie die Bundesrechnungshöfe von Bund und Ländern bereits befürchten. Doch mit jeden weiteren 10 Mrd. wird es immer stärker ans Eingemachte gehen. Einsparungen dieser Größenordnung über einen so langen Zeitraum hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie gegeben.

Entbehrungen sind fremd geworden

Die öffentliche Meinung ist in Bezug auf die Notwendigkeit des Sparens derzeit identisch mit der der Politik. Gerade der typische solide Deutsche, dem der Konsum auf Pump im Vergleich zu den Bürgern der angelsächsischen und südlichen Länder fremd ist, sieht ein, dass um Ausgabendisziplin derzeit kein Weg vorbei führt. Die Antwort lautet eindeutig: "Ja", aber mit der Einschränkung, "bitte nicht bei mir".

Wenn die Regierung die Karten auf den Tisch legt und konkrete Felder benennt, auf den gespart werden soll, kommt die Nagelprobe. Noch ist die Regierung frisch im Amt und hat bis zur nächsten Wahl Zeit, unpopuläre Entscheidungen durchzuziehen, doch die NRW-Wahl hat sie bereits verloren, weitere Landtagswahlen werden folgen und die Einsparungen gehen bis weit über die Legislaturperiode hinaus. Viel zu groß sind die Beträge, als dass sie sich geräuschlos aus den Etats herausschneiden lassen würden. Zu den Defiziten bei Bund und Ländern kommen außerdem die Zuschüsse in die Sozialversicherungen, die mittlerweile alle defizitär sind. So wird voraussichtlich die Arbeitslosenversicherung in diesem Jahr 16 Mrd., die Krankenversicherung 4 Mrd. und die Rentenversicherung 57 Mrd. Euro vom Bund erhalten, um ihre Leistungsversprechen erfüllen zu können.

Diskutiert werden zudem immer nur die rund 79 Prozent Staatsverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt. Addiert man hierzu die aufgrund des demographischen Faktors stetig steigende Rentenverpflichtung, kommen Experten auf Werte von über 300 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Sollen diese enormen Löcher tatsächlich durch zukünftige Einsparungen gestopft werden, müssen wir uns auf enorme Entbehrungen einstellen. Um es einfach auszudrücken: Der Lebensstandard wird sinken. Die Krankenvollversorgung wird der Vergangenheit angehören und die Rentner werden sich auf permanente Nullrunden einstellen müssen. Auch um die lange geschonten Beamten wird kein Weg mehr herum gehen, und vieles was heute aufgrund von Subventionen erschwinglich ist, wird es zukünftig nicht mehr sein, wenn die Politik es ernst meint und vor allem – das ist das Entscheidende – ernst macht.

Gerade letzteres ist aber kaum vorstellbar. Welcher Politiker wird den Mut aufbringen, den Rentnern diese Grausamkeiten zu verkünden, die aufgrund ihrer immer größer werdenden Zahl mittlerweile wahlentscheidend sind? Oder wer hat den Mut die Zwei-Klassen-Medizin auszurufen? Keiner wird diesen Mut aufbringen und das aus verständlichen Gründen. Wir Deutschen haben uns in den vergangenen Jahrzehnten an unsere Sozialsysteme so gewöhnt, dass uns Entbehrungen völlig fremd geworden sind. Jeder Politiker, egal von welcher Partei, der es wagen würde solche Grausamkeiten zu verkünden, würde bei nächstem Wahltermin aus dem Amt gejagt.

Schuldenbremse ist eine Illusion

Als Alternative zu den Einsparungen bleiben dann nur Steuererhöhungen. Sie haben den entscheidenden Vorteil, dass man sie im Wesentlichen "den Reichen" zumuten kann, die sich als Wählergruppe stets in der Minderheit befinden. Doch in Zeiten der Globalisierung und des Standortwettbewerbs sind Kapital und auch Humankapital zu flexibel, als das man sie unlimitiert belasten könnte, was die Einnahmen wiederum limitieren würde. Dennoch werden sich die besser Verdienenden und Vermögenden auf höhere Steuern in den kommenden Jahren einstellen müssen. Die Wiedereinführung der Vermögenssteuer wird bereits rege diskutiert. Doch es ist illusionär zu glauben, dass solche Maßnahmen ausreichen, um die gewaltigen Löcher zu stopfen.

Doch genug mit dem Realismus. Nehmen wir einmal rein hypothetisch an, die Politik fände nicht nur im Sparzwang an sich, sondern auch bei den einzelnen Sparmaßnahmen einen breiten Konsens. Und nehmen wir weiter an, es gäbe außerdem Politiker, die das Format hätten, den Wählern dies so zu erklären, dass die Mehrheit tatsächlich bereit wäre, die sie betreffenden Sparmaßnahmen zu akzeptieren und den Gürtel enger zu schnallen. Das Problem wäre damit noch längst nicht gelöst, denn völlig unterschätzt werden die konjunkturellen Auswirkungen dieser Sparmaßnahmen. Denn das Geld, das dem System so entzogen wird, fehlt natürlich im Konsum und bei den Investitionen.

Ein Rentner, der weniger zur Verfügung hat, weil seine Rente nicht steigt und der medizinische Versorgung zum Teil selbst tragen muss, wird weniger konsumieren. Das wird Arbeitsplätze vernichten, damit den Sparzwang des Staates aufgrund einer wachsenden Anzahl von Leistungsempfängern weiter erhöhen und die Konsum weiter schwächen. Bliebe aus deutscher Sicht die Hoffnung auf den Export. Doch auch hier ist nichts Gutes zu erwarten, denn unser größter Exportmarkt, die Staaten in der Eurozone, stehen zur gleichen Zeit ebenfalls auf der Ausgabenbremse und wollen zusammen mit Deutschland 400 Mrd. Euro einsparen. Die USA sind ebenfalls hoch verschuldet und der Boom in China wird niemals so groß sein, um die rückläufige Nachfrage aus Europa und den USA auszugleichen.

Die Schuldenbremse wird sich deshalb selbst unter den besten Annahmen als Illusion erweisen und am Ende nicht eingehalten werden. Mit aktuellen nicht vorhersehbaren konjunkturellen Entwicklungen wird die Politik am Ende erklären, warum die selbst beschlossenen Gesetze am Ende nicht eingehalten werden konnten. Übung darin besteht bereits in Bezug auf die Nicht-Einhaltung der Verschuldungsgrenzen des Maastricht-Vertrages.

Die Wahrheit wäre der erste Schritt

Wir müssen uns bewusst machen, dass wir ein Teil unseres Wohlstandes in der westlichen Welt auf Verschuldung aufgebaut haben. Oder anders ausgedrückt: Wie haben über unsere Verhältnisse gelebt und zwar in allen Industrieländern der westlichen Hemisphäre. Das Ende dieser Periode scheint nahe, und um wieder ins Gleichgewicht zu kommen, müssten wir nun jahrelang unter unseren Verhältnissen leben, indem wir nicht mehr, sondern sogar weniger ausgeben, als wir einnehmen und mit dem Rest die Schulden tilgen.

Doch wer sind eigentlich die Gläubiger, die den Schuldnern gegenüberstehen? Gesprochen wird immer nur von den verschuldeten Staaten oder Immobilienbesitzern. Viele denken es seien die Banken. Doch das ist falsch. Sie sind zwar de jure die Kreditgeber, de facto aber vermitteln sie den Kredit nur zwischen Gläubiger und Schuldner. Die tatsächlichen Gläubiger sind die Sparer dieser Welt, vom Sparbuchbesitzer bis zum Milliardär. Und es geht in den kommenden Jahren schlichtweg nur um eines: Das Geld von deren Konten wenigstens zu einem gewissen Teil an die Schuldner zurück zu transferieren ohne dass das Vertrauen in unser Finanz- und Wirtschaftssystem zu sehr zu erschüttern wird. Einfach ausgedrückt geht es um Enteignung. Aus staatlicher Sicht gibt es dazu zwei Wege. Der erste sind Steuerhöhungen oder gleichbleibende Steuern bei gleichzeitiger Ausgabenkürzung, oder einem Mix aus beidem. Der zweite ist die Inflation. Letzerer ist aus politischer Sicht der einfachere Weg weil die Geldentwertung schleichend beginnt und sich mit externen Einflüssen erklären lässt. So oder so wird es für die Besitzenden zu Vermögensverlusten kommen und bei vielen zu Einbußen beim Lebensstandard.

Ein erster richtiger Schritt der Politik wäre, uns darüber offen aufzuklären. Solange hierzu der Mut fehlt, darf sich niemand über sinkende Wählerzahlen und Politikverdrossenheit beschweren. Wer die Menschen fortgesetzt belügt, hat nichts Besseres verdient. Doch weit und breit erkenne ich bisher nirgendwo die wirkliche Bereitschaft dies zu ändern. Deshalb bleibt die Aufklärung die Sache anderer.

Stefan Riße, ist Deutschlandchef und Chefstratege von CMC Markets. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender n-tv. Sein aktuelles Buch "Die Inflation kommt", liegt aktuell auf Platz 1 der Handelsblatt-Bestsellerliste.

Quelle: ntv.de

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