Bestsellerautorin im Interview Elke Heidenreich über das Leben, das Altern - und den Tod
27.09.2024, 17:21 Uhr Artikel anhören
Elke Heidenreich ist im Februar 81 geworden und schreibt noch immer Bestseller.
(Foto: picture alliance/dpa)
Mit ihrem Buch über das Altwerden und -sein traf Elke Heidenreich einen Nerv. Den immensen Erfolg schreibt sie ihrer positiven Botschaft zu: "Habt keine Angst vor dem Alter, es ist ein wunderbarer Teil des Lebens." ntv.de sprach mit der Literaturkritikerin über ihre Mission, die da lautet: "Bitte nicht jammern!"
Der Erfolg ihres Buches zeigt: Altwerden scheint ein Thema zu sein, das die Menschen bewegt. Was glauben Sie, warum Sie einen Nerv getroffen haben?
Immer mehr Menschen werden sehr alt. In unserer Welt, in der so viel entwertet wird, fürchten sich sehr viele vor ihren letzten Jahren. Ich stelle dem eine positive Botschaft entgegen: Habt keine Angst vor dem Alter, es ist ein wunderbarer Teil des Lebens. Wartet nicht auf den Tod, der findet euch sowieso. Genießt euer Leben bis zum letzten Augenblick. Ich glaube, das spendet Trost. Und deshalb ist das Buch so erfolgreich.
Es gibt den Spruch: Je älter man wird, desto schneller vergeht die Zeit. Empfinden Sie das so?
Im Alter rast die Zeit mehr als in der Jugend. Da hatten wir sechs Wochen Sommerferien, die schier endlos waren, und jetzt ist ein Jahr ganz schnell vorbei. Das merke ich selbst. Es hat auch damit zu tun, dass die Kraft knapper wird und man in kürzerer Zeit mehr schaffen muss. Die Leichtigkeit geht verloren. Das Herz ist nicht mehr so stabil, manchmal tun die Knochen weh. Alles nicht so schlimm. Schon in der Pubertät verändert sich der Körper, Jahrzehnte später in den Wechseljahren. Im Alter gewinnen wir aber auch viel, etwa Ruhe und Gelassenheit.
Sie berichten in "Altern" sehr offen, was schlecht und was gut war in Ihrem Leben. Unter dem Strich ist Ihre Bilanz positiv. Wie kam es zu dieser Einstellung?
Der Verlag Hanser Berlin hat mich gefragt, ob ich in der Reihe "Leben lesen", in der Frauen über Themen wie Lieben, Schlafen, Reisen, Wohnen und so weiter schreiben, Altern übernehme. Ich wollte Wohnen machen, weil ich so oft umgezogen bin. Der Verlag beharrte auf Altern, da ich die älteste der Autorinnen bin. Dann lag ich abends im Bett, überlegte und hatte den Einstieg in das Buch. Mein Leben war einerseits beschissen, weil ich viele Fehler gemacht, falsche Entscheidungen getroffen habe, keine schöne Kindheit, Misserfolge und Krankheiten hatte. Und andererseits war es wunderbar, weil ich viele Erfolge, Bestseller, stets genug Geld, tolle Ehemänner und Freunde hatte und habe. Ich beschloss also, beide Seiten aufzuschreiben. Und damit hatte ich auch meine These gefunden.
Die da wäre?
Man kann jedes Leben aus der negativen und der positiven Perspektive erzählen. Niemand kann ununterbrochen glücklich sein und jubeln. Aber es ist auch nicht alles schrecklich und entsetzlich. Ich bin mit Krisen fertig geworden und habe die glücklichen Zeiten sehr genossen. Schatten und Licht wechseln sich ab. Man muss in dem Mix das Gute sehen: Daraus ergibt sich Zufriedenheit. Genau das wollte ich mit dem Buch vermitteln. Meine Mission lautet: Leute, bitte nicht jammern!
Sie loben Deutschland als ein überaus lebenswertes Stück Erde, man könnte sagen: Sie schreiben gegen den Trend des Schlechtredens an.
Mein Grundgefühl ist tiefe Dankbarkeit für das, was ich in meinem gesamten Leben hatte und habe. Wenn wir die Welt angucken, können wir nur sehr dankbar sein, in Deutschland zu wohnen. Wir haben eine starke Demokratie, leben ohne Krieg und Angst vor Hungersnot. Jeder, der Hilfe braucht, kriegt sie.
Sie betonen, sich erst durch "Altern" mit dem eigenen Tod befasst zu haben. Zugleich erzählen sie in dem Buch, sich schon als 13-jährige Gedanken über Ihr Ableben gemacht zu haben, als Ihr Opa starb. Wie passt das zusammen?
Jeder Mensch verliert Familienmitglieder, Freunde, einen Hund, manche Eltern ein Kind. Auch ich musste das durchmachen. Doch habe ich den Tod nie so richtig auf mich bezogen. Ich saß am Bett meines Großvaters, der sehr schwer Luft bekam, und dachte: Wo geht Opa nach dem Tod hin? Muss ich eines Tages sterben? Ja, klar, muss ich das. Ich fing an, darüber nachzudenken, habe es aber, wie man das so macht, wenn man jung ist, schnell verdrängt. Sonst kann man nicht leben. Von da an war mir allerdings klar: Irgendwann läuft die Zeit ab, weshalb man sie nutzen muss. Und das habe ich getan.
Und vor dem Buch haben Sie nie über das Altwerden nachgedacht?
Doch, doch. Ich muss zu Vorsorgeuntersuchungen, habe finanziell für das Alter vorgebaut und ein Testament gemacht. Aber erst beim Schreiben des Buches fing ich an zu überlegen, was es mit mir persönlich macht. Und das hat mir gutgetan. Ich hatte viel Freude daran und dachte: Vielleicht hilft es ein paar Leuten, wohlwollend auf das eigene Alter zu schauen und nicht jedes Jahr zu sagen: Dieses Weihnachten ist mein letztes.
Sie verbinden Ihr Buch mit dem Appell, sich im Alter nicht zu verstecken.
Ja, wir Alten sind doch nur etwas grauer und müder als die jüngeren Leute. Kampfgeist und Hirn sind noch da, auch die Lust am Lieben, an der Diskussion, am Wein, einem Konzert oder einem Treffen mit Freunden. Also: Spielt nicht die graue Maus, bleibt nicht zu Hause, sondern geht raus ins Leben!
Wenn man welche hat. Alterseinsamkeit ist ein krasses Problem. Auch Armut.
Die drei schlimmen Dinge im Alter sind: Arm zu sein. Einsam zu sein. Krank zu sein. Aber man kann vorsorgen. Meine Freundin, der ich "Altern" gewidmet habe, starb mit 105 Jahren. Sie hat bis zum Schluss Freunde und Freude am Leben gehabt. Nicht alles kann man beeinflussen. Aber im Wesentlichen hat es jeder selbst in der Hand, wie man im Alter dran ist, ob man Freundschaften gepflegt und Geld gespart hat.
Diese Haltung bringt Ihnen den Vorwurf ein, aus der Sicht einer Privilegierten zu schreiben.
Wo bin ich denn privilegiert? Als Arbeiterkind habe ich nichts geerbt. Ich habe das Leben, das ich habe, mir immer nur erschrieben.
Sie schreiben im Buch in Bezug auf die Alten und sehr Alten: "Die Gesellschaft weist uns die Rolle zu, die wir zu spielen haben." Haben Sie das auch am eigenen Leib erfahren?
Nein, noch nie. Weil ich das auch nicht bin. Wenn man sich klein, verschreckt und alt gibt, dann ist es so. Wenn ich Bücher signiere und frage, für wen ich die Widmung schreiben soll, höre ich von alten Frauen: "Ach nur für mich." Wenn ich das schon höre! Was heißt denn "nur"? Ist denn jemand "nur" auf der Welt?
Sie zitieren sehr viele Künstler, darunter den Dichter Jean Paul mit den Sätzen: "Sobald wir anfangen zu leben, drückt oben das Schicksal den Pfeil des Todes aus der Ewigkeit ab - er fliegt so lange, als wir atmen, und wenn er ankommt, hören wir auf." Vernehmen Sie das Geräusch des fliegenden Pfeils?
Ja, na klar höre ich das. Ich ertappe mich dabei, dass ich denke, vielleicht ist es mein letzter Sommer, mein letztes Weihnachten. Aber ich verdränge die Gedanken sofort wieder. Die kommen nachts. Tagsüber habe ich viel zu viel zu tun, um über so etwas nachzudenken. Ich habe keine Angst vor dem Sterben und dem Tod. Meine 80 Jahre sind schon ein Geschenk.
In "Altern" erklären Sie, Sie würden auf ein lebensverlängerndes Elixier verzichten. Sagen Sie das, weil Sie wissen, dass es das absehbar sowieso nicht geben wird? Oder meinen Sie: Irgendwann reicht es, muss der Mensch die Welt verlassen?
Letzteres. Jeder hat seine Zeit. Ist meine rum, muss ich abtreten. Ich will auch auf keinen Fall lebensverlängernde Maßnahmen, falls ich schwer krank sein sollte. Ich lasse ja auch keine Operationen an mir vornehmen, um jünger auszusehen. Ich will auch am Ende meiner Tage ganz bei mir bleiben.
Würden Sie auch ein Buch über das Sterben schreiben?
Kann ich nicht, ich kenne es nicht. Der Tod ist kein Ereignis im Leben, sagt Ludwig Wittgenstein. Recht hat er. Denn wir er-leben ihn ja nicht.
Dann eins über den Tod?
Ich habe eins über das Altern geschrieben. Jetzt ist mal gut mit dem Thema.
Mit Elke Heidenreich sprach Thomas Schmoll
Quelle: ntv.de