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Ritualmorde im Piemont Tödliche Schönheit quält Ex-Kommissar

Ein Serienmörder tötet in den italienischen Alpen sechs Frauen. Die letzte ist die Ehefrau des ermittelnden Kommissars Bramard. Der quittiert den Dienst. Aber der Mörder schreibt ihm trotzdem Briefe - und macht nach 20 Jahren plötzlich einen Fehler.

Der Ablauf ist immer der gleiche: Ein anonymer Hinweis lockt die Polizei in eine der unzähligen abgelegenen Hütten in den Bergen des Piemonts. Auch das Bild, das sich den Ermittlern dort bietet, ist jedes Mal gleich: In der Mitte des Raumes liegt eine tote Frau. Der Täter hat ihr eine filigrane Zeichnung auf den nackten Rücken geritzt, die Haare abgeschnittenen und um den leblosen Körper verteilt.

Schauplatz des Thrillers: die raue Alpenlandschaft im Nordwesten Italiens.

Schauplatz des Thrillers: die raue Alpenlandschaft im Nordwesten Italiens.

(Foto: imago/blickwinkel)

Kommissar Corso Bramard soll die Serie von Ritualmorden aufklären. Doch als er die Tatmuster fast entschlüsselt hat, geschieht das Unfassbare. Seine Frau Michelle wird das sechste und letzte Opfer des Mörders. Gleichzeitig verschwindet seine kleine Tochter. Bramard gibt seinen Beruf auf, betäubt sich eine Zeitlang mit Alkohol, beginnt als Lehrer zu arbeiten und zieht sich auf den alten Berghof seiner Eltern zurück.

Der Mörder wird nie gefasst, gibt aber keine Ruhe. Er schreibt dem Ex-Kommissar immer wieder Briefe mit Zeilen eines Liedes von Leonard Cohen. Dann aber, 20 Jahre nachdem die Mordserie plötzlich abbrach, begeht er einen Fehler - und Bramard setzt sich erneut auf seine Spur.

An dieser Stelle lässt der Italiener Davide Longo seinen packenden, düsteren Thriller "Der Fall Bramard" beginnen. Er entwickelt seine Geschichte mit großer Bedächtigkeit, setzt nicht auf atemlose Spannung und schafft es dennoch, seinen Lesern den Atem zu rauben. Das liegt vor allem daran, dass er seinen Roman raffiniert aufbaut und am Ende in einer in allen Belangen außergewöhnlichen Begegnung gipfeln lässt. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

Zweifache Perfektion

Eine besondere Meisterschaft beweist Longo darin, sein Personal zum Leben zu erwecken. Allen voran ist da Corso Bramard, kauzig, einsam, lieber mit Gesten als mit Worten kommunizierend. Weil er nachts nicht mehr schlafen kann, klettert er im Dunklen ungesichert die Bergwände hoch und hängt an Felsvorsprüngen - nicht aber an seinem Leben. Sich selbst attestiert er die "Tendenz zu Selbstschädigung, Schuldgefühlen, fehlender Trauerarbeit und noch ein Dutzend anderer Störungen, die mich zu einem Fall von Borderline machen".

Der Roman ist bei Rowohlt erschienen, hat 320 Seiten und kostet 19,95 Euro.

Der Roman ist bei Rowohlt erschienen, hat 320 Seiten und kostet 19,95 Euro.

Denn als wären der Verlust von Frau und Tochter nicht genug, quält ihn noch etwas anderes: An dem Tag von Michelles Tod wurde Bramard sich selbst fremd. Und zwar in genau dem Moment, als er die Tür zu der Hütte öffnete, "in der er Schönheit entdeckt hatte, dort, wo der Mensch, der er zu sein glaubte, nur Grauen hätte sehen können."

Die aufgefächerten Haare, die in die Haut geschnittenen Linien, das ganze Arrangement in der Hütte – obwohl ohnmächtig vor Schmerz fühlte sich Bramard der verstörenden Perfektion des Tatorts ausgeliefert, die der Täter bei Michelle auf die Spitze getrieben hatte. Aber im Perfektsein ist Bramard dem Täter ebenbürtig: Sein messerscharfer Verstand, der ihn einst zum jüngsten Kommissar Italiens machte, ist noch immer hellwach. Und er will den Serientäter im zweiten Anlauf nicht nur finden, sondern auch dessen Motiv erkennen.

Gedankliches Puzzlespiel

Bei der Suche stellt Longo seiner Hauptfigur zwei Personen an die Seite: den kettenrauchenden Kommissar Arcadipade, "ein Mann von dreiundvierzig Jahren mit einem Gehalt von zweitausendvierhundert Euro im Monat und vielen Sorgen", der für seinen ehemaligen Chef so manche polizeiinterne Gepflogenheit über Bord wirft. Und die junge Isa, die sich durch Tattoos, Piercings, ein Motorrad, Hackerqualitäten und eher unkonventionelle Manieren auszeichnet, vorsorglich aber klarstellt: "Ich bin nicht Lisbeth Salander". Immerhin kenne sie ja nicht einmal die Bücher des Schweden Stig Larsson.

Die Psychogramme, die Longo von seinen Figuren zeichnet, sind stimmig und überzeugend. Nebenbei entwirft er präzise Studien verschiedener Gesellschaftsschichten – von den wortkargen Bewohnern der piemontesischen Alpenwelt über die Lehrer und pubertierenden Schüler mit ihren ganz speziellen Problemen bis hin zum moralisch korrumpierten Turiner Establishment.

Die Tatsache, dass Longo nicht alle Zusammenhänge auf dem Silbertablett präsentiert, ist das Faszinierende an diesem Thriller. Er funktioniert ein bisschen wie ein gedankliches Puzzlespiel, bei dem der Autor zwar alle Einzelteile zuverlässig liefert, der Leser sie aber oftmals selbst zusammensetzen muss. Und darauf lässt man sich nur zu gerne ein, denn Longo ist ein hervorragender Erzähler.

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Quelle: ntv.de

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