100 Seiten über Taylor Swift Warum ein Professor stolz ist, ein Swiftie zu sein
24.02.2024, 15:51 Uhr Artikel anhören
Taylor Swift bei einer Show in Melbourne.
(Foto: IMAGO/AAP)
Jörn Glasenapp ist 1970 geboren und Professor und Lehrstuhlinhaber für Literatur und Medien an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. In seiner Jugend hörte er The Cure und Madonna, mittlerweile spielt Taylor Swift nicht nur in seinem Privatleben eine Rolle. Seit vergangenem Herbst unterrichtet er ein Seminar über die US-amerikanische Sängerin, vor ein paar Tagen veröffentlichte er das Buch "Taylor Swift. 100 Seiten". Er hält Swift für eine großartige Sängerin und für ein Genie.
ntv.de: Herr Prof. Dr. Glasenapp, Sie sind nicht der gewöhnliche Taylor-Swift-Fan, trotzdem bezeichnen Sie sich als "Swiftie". Womit begann ihre Faszination für Swift?
Jörn Glasenapp: Es war das Album "Midnights", das im Herbst 2022 erschien. Erst mit ihm wurde Taylor Swift zu einer wirklichen musikalischen Größe in meinem Leben. Im Anschluss daran habe ich mich rückwirkend mit all ihren anderen Alben befasst - und war rundum begeistert.
Woher kommt das Interesse für ihre Musik?
Ich war schon mit 11 bis 12 Jahren sehr Pop-affin. Kim Wilde, Cyndi Lauper und Madonna waren wichtige Wegmarken in meiner musikalischen Sozialisation. Bald kamen Indie-Bands hinzu, The Cure etwa oder The Birthday Party, die frühe Band von Nick Cave. An ihnen gefiel mir natürlich auch, dass nur wenige sie kannten - nach dem Motto "Höre das, was niemand kennt, dann bist du cool". Ein typisch männliches, ein wenig peinliches Gebaren, fürchte ich.
Und jetzt Taylor Swift?
Popmusik höre ich eigentlich bis heute nicht so sehr aufgrund der Texte. So ist es auch bei Taylor Swift. Damit es zu keinen Missverständnissen kommt: Sie ist eine großartige Lyrikerin, aber ihre Kompositionen und die Produktion ihrer Songs überzeugen mich noch mehr. Diesbezüglich halte ich sie für ein regelrechtes Genie. Sie arbeitet seit Jahren schon mit brillanten Produzenten zusammen, vor allem Max Martin und Jack Antonoff. Beide hat Swift immer wieder zu Höchstleistungen angespornt - zu hören etwa auf den Alben "1989" und "Midnights".
Was aber oft übersehen wird: Swift ist mittlerweile eine große Sängerin, auch wenn sie nichts von einer Gesangsakrobatin hat wie beispielsweise Beyoncé oder Adele. Wir hören von ihr keine spektakulären vocal runs. Stattdessen steht ihr oft hauchiger Gesang immer wieder dem Sprechen nahe. Das passt insofern, als sie in ihren Songs Geschichten erzählt - wie es für Country-Musik üblich ist. Und von dort aus startete sie ja bekanntlich ihre Karriere.
Wie viel Platz nimmt Taylor Swift in Ihrem Leben ein?
Ich höre fast jeden Tag ihre Musik. Im Schnitt wohl etwa eine halbe Stunde, aber nicht immer intensiv und konzentriert, gern auch nur im Hintergrund. Seit dem Schreiben des Buches verfolge ich natürlich auch die Medienberichterstattung aufmerksam. Insgesamt komme ich etwa auf eine Stunde Swift täglich.
Ihr Lieblingsalbum?
Ohne Frage "1989". Für mich ist es eines der besten Pop-Alben seit der Jahrtausendwende.
Wie stehen Ihre Freunde zu Ihrem Swiftie-Dasein?
Einige der Männer haben noch immer dieses Abwehrverhalten gegenüber Taylor Swift. Es gilt als uncool, ihre Musik zu hören. "Ich höre die nicht, aber meine 14-jährige Tochter" - so oder so ähnlich lautet der übliche Abwehrreflex. Was da mitkommuniziert wird, ist: Was weibliche Teenagerinnen toll finden, kann nicht gut sein. Ich finde das deprimierend. Glücklicherweise wird diese Argumentation aber seltener. Ein Grund dafür sind die zwei während der Pandemie entstandenen Alben "Folklore" und "Evermore", auf denen Swift mit Indie-Größen wie Aaron Dessner von The National oder Justin Vernon zusammenarbeitet. Sie kommen damit einem "männlichen" Musikgeschmack stärker entgegen. Insofern ist das große Lob, das die Presse über beide Alben ausschüttete, ein wenig mit Vorsicht zu genießen.
Seit vergangenem Herbst bieten Sie auch ein Seminar über den Superstar an. Ist das nicht übertrieben?
Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Als Kultur- und Medienwissenschaftler befasse ich mich mit populären Kulturen und Milieus, deshalb muss Taylor Swift auf mein Interesse stoßen. Auch wenn ich kein Fan wäre, wäre es relevant, sie als großes, mediales Phänomen zu betrachten. Und das Seminar drehte sich natürlich nicht nur um ihre Musik, Songtexte und Videos, es ging beispielsweise auch um Feminismus, Phänomene wie Queerbaiting und kulturelle Aneignung und Swifts Verantwortung und Macht bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen.
Welches Feedback gab es vonseiten der Universität?
Es gibt bestimmt Kollegen und Kolleginnen, die Taylor Swift als Gegenstand für nicht seriös genug halten, um wissenschaftlich behandelt zu werden. Aber in meiner Anwesenheit hat sich niemand negativ darüber geäußert.
Sie haben Taylor Swift vergangenes Jahr bereits zweimal live in den USA gesehen - wie fühlten Sie sich in dem jungen, weiblichen Publikum?
Ich fühlte mich nicht deplatziert. Den Swifties sei Dank! Alle sind bei ihnen willkommen! Bei Swift-Konzerten sind die Swifties neben Taylor Swift und ihrer Musik auf der Bühne die zweite Attraktion. Das muss man erlebt haben! So etwas kenne ich von anderen Konzerten nicht.
Werden Sie Taylor Swift auch in Europa sehen?
Selbstverständlich. Ich darf es gar nicht laut sagen, weil es bei meinen Studierenden Neid auslöst, aber ich werde auf vier ihrer Konzerte gehen.
Das ist Commitment! Wie wird Deutschland auf die Megatour reagieren?
Taylor Swift wird hier bereits gut aufgenommen, nicht zuletzt, weil sie als Gegnerin Donald Trumps gilt, der in Deutschland keine gute Reputation hat. Man hofft, dass sie uns eine weitere Trump-Amtszeit erspart. Auch das sorgt dafür, dass der Vorwurf, sie sei uncool oder irrelevant, immer seltener wird.
Swift musste immer wieder Kritik einstecken, zuletzt etwa von NFL-Fans, da viel über ihre Anwesenheit bei den Spielen ihres neuen Partners Travis Kelce berichtet wird.
Eine Journalistin des New Yorker kommentierte brillant, dass Taylor Swift durch ihre Konzerte und Fans angestammte Stätten der männlichen Aggression, wie etwa Football-Stadien, in Sphären weiblichen Frohsinns verwandelt. Durch ihre Beziehung zu Travis Kelce und ihrem Erscheinen bei seinen Spielen führt sie dies nun fort. Nun dringt sie sogar in den regulären NFL-Betrieb ein. Das Publikum der NFL wird durch sie weiblicher. Erwartungsgemäß gefällt das vielen Männern nicht.
Ist Taylor Swift auch ein Katalysator gegen toxische Männlichkeit?
In ihrer Karriere hat sich Swift immer wieder speziell mit Männern auseinandersetzen müssen, sei es mit dem mittlerweile offen antisemitischen Kanye West, dem Musikkritiker Bob Lefsetz, Damon Albarn von der Band Blur oder dem Musikmanager Scooter Braun. Ihre Fans sind oftmals Teenagerinnen - die entmachtetste Gruppe unserer Gesellschaft. Was Teenagerinnen und junge Frauen feiern, wird seit jeher vom männlich dominierten Betrieb nicht ernst genommen und abgewertet. Weibliche Fans gelten als irrational und hysterisch. Das war schon bei den Beatles und Take That so. Ähnliches gilt für die Harry-Styles-Fans oder die Swifties. Aber es verändert sich etwas. Nicht nur wegen des Erfolgs von Taylor Swift, auch wegen Beyoncé, Dua Lipa, Barbie etc. Girl Culture setzt sich immer mehr durch - und das ist natürlich zu begrüßen.
Welche Rolle wird die Sängerin bei den US-Wahlen noch spielen?
Seit 2018 bekennt sich Swift klar zu den Demokraten. Von da an hat sie immer wieder scharfe Posts gegen Trump veröffentlicht. Ihre Zielgruppe, größtenteils jüngere Frauen, hält nicht viel von den Republikanern und verachtet Trump, nicht zuletzt wegen seiner Misogynie. Dass der Supreme Court 2022 Roe v. Wade (Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht von 1973, Anmerkung d. Red.) gekippt hat und man dafür maßgeblich die von Trump ernannten Richter verantwortlich macht, macht Trump bei den Swifties auch nicht gerade beliebter. Auf Instagram folgen 280 Millionen Menschen Taylor Swift, bei Donald Trump sind es gerade mal 24 Millionen. Trump ist nicht blöd, er hat sich öffentlich noch kein einziges Mal scharf gegenüber Taylor Swift und ihren Fans geäußert. Er wird sich auch in Zukunft davor hüten. Noch hat sich Swift nicht direkt zu den Kandidaten geäußert, zuletzt rief sie nur ihre Fans dazu auf, sich für die Wahlen registrieren zu lassen - das allein reicht aber schon, den Demokraten eine größere Wählerschaft zu bescheren. Noch muss sie sich nicht explizit gegen Trump äußern. Sollte er aber erneut als Kandidat der Republikaner antreten, bin ich mir sicher, dass sich Swift explizit für die Demokraten aussprechen wird. Meines Erachtens wäre es jetzt noch zu früh für ein entsprechendes Statement.
Wird Taylor Swift noch weitere Rekorde brechen?
So sieht es im Moment aus. Nachdem sie 2014 mit ihrem Album "1989" zum Megastar wurde, kam es zwar schon einmal zu einem Abnehmen des Interesses, doch ein weiterer Backlash ist derzeit nicht in Sicht. Mit Spannung wird ihr neues Album erwartet, das im April erscheint, sie wird weiterhin in Europa und Nordamerika auf Tour sein, in den USA findet der Wahlkampf statt, wo viele Augen auf sie gerichtet bleiben werden. Allein durch ihre Beziehung zu Travis Kelce und der NFL wird sie in den Schlagzeilen bleiben. Auch künstlerisch wird sie noch wachsen, ihren Zenit hat sie noch lang nicht überschritten. Zumindest dieses und nächstes Jahr wird sie noch größer werden.
Mit Jörn Glasenapp sprach Sandra Will
Quelle: ntv.de