Darf's ein bisschen mehr sein? Wurst ist Wahrheit
01.07.2018, 11:59 Uhr
Der Autor in einer für einen Autoren doch eher untypischen Umgebung.
Wenn der vegane Wahnsinn überhandnimmt, wenn die Welt sich nicht mehr so dreht wie gewohnt und wenn einer anklopft und fragt, ob man der guten alten Wurst zu mehr Glamour verhelfen könnte - dann hat ein Werber ein Buch geschrieben.
In Zeiten, in denen Veganer die besseren Menschen zu sein scheinen, entwickeln sich natürlich auch Gegenströme. Leute, die den ganzen Lifestyle-Mist nicht mitmachen wollen entwickeln einfach einen neuen. Oder gab's den nicht längst schon, diesen "Wurst"-Lifestyle?
Bei "Wurst" von Fritz Hendrick Melle handelt es sich explizit um kein Kochbuch und auch keinen Ratgeber - auch wenn man damit momentan eigentlich nie verkehrt liegen würde. Doch glauben Sie es oder glauben Sie es nicht: Sie würden diese Wurst nicht essen wollen. Die "Grobe Kobe" vielleicht, die schon, aber die anderen, die der wortkarge Metzger Meester in seiner geheimen Laborküche zusammenmixt, während draußen junge Menschen wie von Geisterhand verschwinden - nein, die wollen Sie nicht.
Lesen wollen Sie "Wurst" aber schon, denn das ist recht vergnüglich. Wobei der Roman sich stark entwickelt: Autor Melle, aus der kunterbunten Welt der Werbung stammend und verantwortlich für Kampagnen von "Bruno Banani" bis zu "James Bond", versprüht wie ein Graffiti-Künstler seine Farbe in Form von Buchstaben, Slogans. Jeder Satz ein Treffer. Und dann kommt der "American Psycho" von hinten durch die kalte Küche angeschlichen.
Liebe? Sex? Geld?
Der Roman ist in Ich-Form geschrieben, also interpretiert man durchaus gern etwas in den Hauptprotagonisten Frederic Baecker hinein, was dem Autoren selbst eventuell gar nicht mal fremd ist: mittelalt, mittelsympathisch (das Leben zwingt ihn dazu), auf leicht verlebte Weise wahrscheinlich gut aussehend und mit dem Wortwitz und dem schnellen Geist des Werbers, der auch weiß, wie es auf der Straße und im Leben abläuft.
Melle gelingt es tatsächlich, in der Wurst so etwas wie Wahrheit zu finden. Im Buch findet Baecker sein Glück, temporär, und jeder darf gern für sich definieren, was Glück ist. Die Liebe? Der Sex? Eine volle Brieftasche? Anerkennung von den anderen Mackern in der Stadt?
Der Leser findet eine Beschreibung unserer Welt, in der jeder seinen Platz sucht, seinen Sinn, und erlebt beim Lesen, wie schnell man in Dinge hineinrutschen kann, von denen man nie dachte, dass man da hineinrutschen könnte: Sei es eine Frau, die Art der Gesinnung, Wahnsinn, Wut, Mord? Über sich sagt Fritz Hendrick Melle, der nicht gern Untertan war, der 1960 in Karl-Marx-Stadt geboren wurde und 1985 "rübermachte", der mal im Gefängnis saß und mal Heizer war: "Ich liebe Feuer und noch mehr liebe ich, Feuer zu entfachen!" Das können wir so stehen lassen.
Quelle: ntv.de