Triumph und Tragik Die Geschichte von HER
05.04.2018, 16:50 Uhr
Victor Solf macht weiter - auch wenn sein Freund und Bandmitglied ihm unglaublich fehlt.
Die Geschichte von HER ist gezeichnet von Triumph und Tragik gleichermaßen - doch letztlich ist es vor allem die Geschichte einer Freundschaft: der zwischen Victor Solf und Simon Carpentier. Der in Deutschland geborene Victor und der Franzose Simon lernten sich schon 2007 kennen - sie gingen noch zur Schule - und beide verstanden sich gleich wie zwei Brüder. Als sie dann anfingen, gemeinsam Musik zu machen, war ihr Sound gleichermaßen von klassischem Soul und von Hip-Hop beeinflusst. Den Namen HER gaben sie ihrem Projekt im Jahr 2015. Schlagartig bekannt wurde ihre Musik durch eine iPhone-Kampagne mit dem Song "Five Minutes". Doch mitten in dem ganzen Trubel verlor Simon, was kaum einer mitbekam außerhalb des engsten Familien- und Freundeskreises, einen langen, harten, im Stillen geführten Kampf gegen seine Krebserkrankung: Er starb im August 2017. "Das ganze letzte Jahr war unglaublich hart, weil es Simon so schlecht ging", berichtet Victor. "Es fiel ihm schwer, unsere Tour zu bestreiten - nur fand er eben auch, dass es wichtig war, damit weiterzumachen und Konzerte zu geben! Er wollte einfach nicht aufgeben, nicht aufhören. Sechs Jahre lang hat er mit dieser Krankheit gekämpft." Zumindest im Geiste unterstützt von seinem verstorbenen Freund, begab sich Victor also wieder ins Studio und arbeitete weiter an ihrem Debütalbum "HER", das nun erschienen ist. Er verpasste den bestehenden Songs den letzten Schliff und kehrte zwischendurch auch auf die Bühne zurück: Er spielte unter anderem ein umwerfendes, zutiefst ergreifendes Set beim "Rock En Seine Festival" in Paris " - einem Festival, bei dem HER schon immer hatten auftreten wollen. Es folgten weitere Shows in ganz Europa und dann war das Album so gut wie im Kasten: "Die meisten Songs waren schließlich schon vorher fertig; sie brauchten nur noch etwas Feinschliff am Gesang, am Hintergrundgesang ...", so Victor. "Mir war wichtig, dass Simons Stimme, Simons Vision und sein Gitarrenspiel quasi unberührt bleiben und in der finalen Version wirklich genau so klingen, wie er das wollte. Daran habe ich gefeilt." Mit n-tv.de hat Victor Solf über HER, das Leben und den Tod und das Weitermachen gesprochen.
n-tv.de: Sprechen wir deutsch oder englisch miteinander, Viktor?
Victor Solf (spricht mit entzückendem Akzent): Isch kann fast alles verstehen, aber es ist better for me in English, tut mir leid.
Um es mit Abba zu sagen: Thank you for the Music!!
Gerne, vielen Dank.
HER haben mir letzte Woche das Leben gerettet: Es passiert ja nicht mehr so oft, dass man ein Album komplett durchhören kann. Es war wie Medizin, wie eine Therapie in einer echt ätzenden Woche.
Das tut mir leid wegen der ätzenden Woche, aber ich freue mich, wenn die Musik dir weiterhelfen konnte. Das hört man als Künstler immer gerne.
Ungerechterweise weiß man noch nicht so viel über HER, wie man wissen sollte, das sollte sich aber ändern, deswegen müssen wir natürlich als erstes über dein früheres Bandmitglied, deinen Freund und wichtigen Partner Simon Carpentier sprechen, der letztes Jahr verstorben ist. Das klingt alles sehr tragisch, gleichzeitig aber auch so, als gäbe es eine Menge Hoffnung.
Ja, das ist richtig. Simon und ich waren Freunde seit 10 Jahren und wir gründeten eine Band. Wir spielten vorher in einer anderen, aber von einem Tag auf den nächsten war uns klar, dass wir etwas Neues brauchten, nur wir beide. So entstand HER. Wir haben einen Song komponiert, das ist der erste auf dem Album. Für eine Weile wollten wir es geheim halten, dass Simon so krank war. Ungefähr fünf oder sechs Jahre haben wir es für uns behalten. Es war ihm sehr wichtig, dass er als mehr wahrgenommen wird als "der Sänger, der gegen Krebs kämpft".
Verständlich ...
...ja, denn HER ist so viel mehr. Die Band hat was zu sagen, über Liebe, über Hoffnung, das Leben. Es reichte schon, dass der Tod in unserem Leben irgendwie immer präsent war. Das wollten wir anderen gar nicht zumuten. Wir hatten uns entschieden, das Leben zu leben und nicht ständig über den Tod nachzudenken.
Hat eure Freundschaft und eure Zusammenarbeit durch diesen Umstand an Tiefe gewonnen, kann man das so sagen?
Ich denke schon, ja. Alles war anders. Es hatte alles eine gewisse Dringlichkeit. Wir wussten nicht, wie viel Zeit wir haben werden, die Uhr tickte. Es hing quasi ein ständiges Damoklesschwert über uns. Aber die gegebenen Umstände halfen uns auf der anderen Seite auch, einen anderen, einen positiveren Blick auf das Leben zu haben.
Wie hart ist es, in diesem jungen Alter mit so einem schrecklichen Schicksal umgehen zu müssen? Wie lebt man da weiter?
Mein Antrieb war immer, das Album rauszubringen. Ich wusste, dass ich das für ihn mache. Als Simon starb, war es für mich, als ob mit ihm vieles weggewaschen werden würde. Ich hatte Angst, dass Dinge verschwinden könnten, Gedanken, Melodien. Für mich war das sehr hart. Ich bin nicht der Typ, der viele Freunde hat, ich fühle mich wohler mit wenigen, die mir aber sehr nahe sind. Und Simon gehörte natürlich dazu. Das heißt, dass jetzt ein ganz wichtiger Teil von mir weg ist. Aber ich hatte auch eine Aufgabe, denn wenn ich das Album nicht beenden würde, dann würde das keiner tun, es war ganz allein meine Aufgabe. Und alles, was wir bisher zusammen komponiert oder aufgenommen hatten, würde vom Krebs weggefegt werden, wenn ich nichts unternehme. Ich wollte unbedingt, dass es mit HER und dem Album weitergeht. Auch wenn sonst nichts mehr so wie vorher war. Es ist auch ein bisschen so, als hätten HER damit den Krebs besiegt.
Ist die Arbeit für dich denn heilsam?
Ein bisschen schon. Ich habe ihm versprochen, dass ich auf Tour gehe, dass das Album fertig wird, und das ist exakt das, was ich jetzt mache beziehungsweise in den letzten Monaten gemacht habe. Außerdem fühle ich mich ihm auf diese Art und Weise nahe. Er ist zwar physisch nicht mehr anwesend, aber ich fühle mich ihm durch die Musik verbunden. Ich versuche, die Dinge so anzugehen, wie er es getan hätte.
Ist das nicht auch schmerzhaft?
Schon, aber ich mag es, seine Stimme zu hören. Unsere Musik ist ja sehr intim und ich habe das Gefühl, dass ich ihn damit noch ein bisschen länger bei mir habe. Er hat so viel in unsere Musik hinein gegeben, er hatte Visionen, er wusste genau, wie einzelne Stücke live klingen sollten, das hilft mir jetzt schon.
Also lebt er in dir weiter.
Ja, zum Glück.
Wie wirst du seinen Part auf der Tour denn ersetzen, wenn das überhaupt irgendwie möglich ist?
Das ist tatsächlich ein sehr befremdlicher Vorgang, stimmt. Ich versuche immer, mich daran zu erinnern, wie er diversen Themen gegenüberstand. Wir haben immer viel über das Leben gesprochen und die Songs, seine Songs, jetzt selbst zu singen, ist für mich schon eigenartig. Aber er würde das so wollen. Es macht mir ja auch große Freude, weil ich das mit anderen Leuten teilen kann, aber gleichzeitig bereitet es mir natürlich große Schmerzen, weil er nicht mehr da ist.
Warum nennen zwei Männer ihre Band HER?
Wir hatten bereits eine Menge Songs. Und HER entstanden, weil wir viel über Gefühle, Sensibilität und sogenannten Frauen-Themen gesprochen haben (lacht). Außerdem wurde ich nur von Frauen erzogen: von meiner Mutter, meiner Großmutter und meiner Tante, in Paris. Wir wollten auf unsere alten Hauptpfade zurückkehren, zu der femininen Seite in unserem Leben, unseren Müttern, und zur Soul-Musik. Mit der Soul-Musik haben wir unsere Liebe zur Musik überhaupt erst entdeckt. Und mit Jazz und Blues und der Freude an der Improvisation. Mit HER wollten wir all diesen Themen unsere Ehre erbieten.
Es klingt auf jeden Fall irgendwie mysteriös.
Das soll auch so sein (lacht). Deswegen hatten wir auch lange keine Fotos von uns im Internet. Nur das Foto einer Frau. Lange dachten die Leute auch, dass eine Frau singt.
Eine sehr maskuline Frau ...
Ja, aber die Leute haben das gedacht, es war eine Weile ganz witzig.
Es ist so oder so schön, wenn eine Band den Frauen auf diese Art und Weise huldigt ...
(lacht) HER sind übrigens die französischen Botschafter des Frauen-Tages.
Was für ein gutes Zeichen!
Ja, die Kampagne heißt "he for she", und es ist in diesen Tagen natürlich ausgesprochen wichtig, auf die Belange von Frauen aufmerksam zu machen, Simon und ich fühlten uns sehr geehrt. Emma Watson ist auch eine Botschafterin, aber wenn Männer da benannt werden, dann bedeutet das besonders viel.
Als ihr damals vor fünf, sechs Jahren bekannt wurdet mit dem Song "Five Minutes" für eine iPhone-Kampagne - was ist das bei euch losgewesen?
Wir hatten ja nicht darauf hingearbeitet. Aber wir wurden von der Company in Los Angeles angesprochen und irgendwie haben wir denen sofort vertraut. Es hat uns jede Menge Türen geöffnet. Keine Ahnung, ob wir ohne die Kampagne da wären, wo wir jetzt sind.
Wir haben schon über Hoffnungen gesprochen - was sind deine Hoffnungen für die Zukunft?
Ich hoffe, dass viele Leute unser Album hören und verstehen, warum wir es gemacht haben, dass wir unseren Standpunkt rüberbringen können. Und ich hoffe, dass ich in der Lage sein werde, weiter Musik zu machen. Ohne mich von Geld oder Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen. Das Wichtigste aber ist für mich, zu leben. Ich habe ja nicht das Gefühl, dass ich arbeiten muss (lacht), ich bin ein Glückspilz, was das angeht. Meine Arbeit ist die Musik und das ist keine Arbeit. Ich hoffe, dass ich das für den Rest meines Lebens machen kann.
Mit Victor Solf sprach Sabine Oelmann
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Zu sehen sind HER hier:
17.4.2018 Berlin, verlegt in Festsaal Kreuzberg
18.4.2018 Köln, Stadtgarten
22.9.2018 Hamburg, Elbphilharmonie (Großer Saal)
Quelle: ntv.de