"Da läuft der Tränen-Apparat" Hartmut Engler fiebert Pur-Musical entgegen
18.10.2023, 15:25 Uhr Artikel anhören
Bringt die Songs seiner Band nun auch auf die Musical-Bühne: Pur-Sänger Hartmut Engler.
(Foto: Patric Fouad / BB Promotion)
Seit Jahrzehnten zählen Pur zu Deutschlands erfolgreichsten Bands. Nun ist die "schwäbische Provinzcombo" sogar reif fürs Theater: Am Sonntag feiert "Abenteuerland - Das Musical" in Düsseldorf Premiere. Mit ntv.de spricht Sänger Hartmut Engler über diesen "Ritterschlag".
ntv.de: Am Sonntagabend ist es so weit: Dann feiert "Abenteuerland - Das Musical" in Düsseldorf seine Weltpremiere. Steigt die Aufregung gerade mit jedem Tag ein bisschen mehr?
Hartmut Engler: Ja, speziell seit Mitte September, als ich zum ersten Mal die Menschen bei der Arbeit gesehen habe, die das Stück auch wirklich auf die Bühne bringen. Auch das Casting, bei dem es neben dem Singen ja auch um die schauspielerische Leistung ging, war sehr spannend. Dann kamen als Eindrücke noch das Bühnenbild, die Band und das Theater hinzu, dessen Bühnentechnik für uns komplett umgebaut wird. Als ich gesehen habe, wie spektakulär das alles wird, habe ich richtig gespürt, wie mich das doch touched. Seither bin ich wirklich on fire.
Erstmals wurde die Idee zu einem Pur-Musical 2018 an dich herangetragen. Warst du auch da bereits direkt Feuer und Flamme oder vielleicht erst einmal eher skeptisch?

(Foto: BB Promotion)
"Abenteuerland - Das Musical" gastiert ab kommender Woche bis zum 10. März 2024 im Düsseldorfer Capitol Theater. Tickets für die Show mit der Musik von Pur gibt es auf der Webseite der Veranstaltung zu erwerben.
Skeptisch würde ich nicht sagen. Wir waren davor ja auch schon alle Möglichkeiten durchgegangen, was wir mit unserer Musik vielleicht noch so anstellen können. Wir haben sie unplugged aufgenommen, mit Bläsern und sogar mit einem klassischen Orchester - all das, was wir eben selbst so auf die Beine stellen konnten. Irgendeiner hat da natürlich auch schon mal gesagt: "Mit den Songs könnte man auch ein schönes Musical machen." Aber wir haben das nicht forciert oder weiter verfolgt.
Bis 2018 auch der Produzent Martin Flohr auf die Idee gekommen ist …
Die Idee dazu hatte auch er sicher schon deutlich früher, da er ja bereits mit einem Drehbuch auf uns zugekommen ist. Das hat uns gleich begeistert und stieß bei uns sofort auf offene Ohren. Gerade weil es eben nicht die naheliegendste Version war, eine Geschichte über uns als Band zu erzählen - eine Geschichte, die auch noch lange nicht zu Ende erzählt wäre. So ist es jetzt nur die Musik, die alles trägt und zeigt, was wir über 40 Jahre an Songs angehäuft haben, die die Handlung über einen kompletten Abend vorantreiben können. Es ist die Geschichte einer Familie über drei Generationen, verbunden durch Songs, die querbeet vom Leben erzählen und so hoffentlich auch außerhalb des Musicals drei Generationen erreichen. Das fanden wir von Anfang an grandios.
Als Rockband in die Welt des Musicals einzutauchen, ist sicher dennoch etwas Besonderes. Hast du dich schon früher für dieses Genre interessiert oder konntest du bis dato damit eher wenig anfangen?
Das stimmt: So eine Musical-Inszenierung mit all den Gewerken, die da dranhängen, ist schon etwas ganz anderes als eine Rockshow. Von Musicals hatte ich bisher tatsächlich wenig Ahnung. Da ich bisher auch nur wenige gesehen hatte, haben wir uns an einem Wochenende in London mal einen kleinen Überblick verschafft, um überhaupt ein bisschen mitreden zu können. Wir haben uns hintereinander weg "Les Misérables", "Kinky Boots", "Mamma Mia" und "König der Löwen" angesehen. Danach haben wir darüber gesprochen, wo wir uns in diesem Kontext sehen, was uns gut gefällt und was weniger. So haben wir uns herangetastet, um zu verstehen, was alles dahintersteckt, damit so ein Stück funktioniert.
Nun hat es von der Vorstellung der Idee 2018 bis zur Umsetzung 2023 noch einmal ganze fünf Jahre gedauert …

Produzent Martin Flohr (l.) kam mit der Idee für das Musical auf die Band zu.
(Foto: Patric Fouad / BB Promotion)
Das hat natürlich auch mit der Pandemie zu tun. Martin Flohr und ich haben in der Zeit aber nicht nur regelmäßig Kontakt gehalten, sondern uns auch richtig angefreundet. Er hat mich in die Arbeit an dem Musical immer stark eingebunden. Er hat mich zum Beispiel häufiger in meinem Ferienhaus auf einer sehr schönen Insel besucht, um dort zu arbeiten und mit mir das Drehbuch durchzugehen. Das war alles sehr angenehm und respektvoll. Im November vor zwei Jahren bin ich 60 geworden. Ursprünglich hatten wir den Start für diesen Zeitpunkt avisiert. Das wäre natürlich ein Traum gewesen! Aber letztlich ist das jetzt auch egal. Hauptsache, es wird gut!
Corona hat euch auch sonst etwas ausgebremst. Ihr wart dieses Jahr nach fünf Jahren das erste Mal wieder auf Tour …
Stimmt, auf Hallentour. Wir haben aber letzten Sommer auch schon ein paar Open Airs gespielt - zur Eingewöhnung sozusagen. Darunter war das Konzert auf Schalke: 68.000 Zuschauer, ausverkauft - der Hammer!
Unter anderem von euren Shows in Köln und Berlin konnte man lesen, dass es sehr emotionale Auftritte waren. Wie hat sich die Rückkehr auf die Bühnen für dich angefühlt?

Anfang 2024 war Engler mit Pur auf großer Hallen-Tournee.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Das war wirklich eine große Freude. Die Pandemie an sich hatte natürlich überhaupt nichts Positives an sich. Aber ich habe den Eindruck, dass die Menschen aufgrund dieser Erfahrung das Konzert-Erlebnis jetzt noch einmal mehr wertzuschätzen wissen. Ich hatte das Gefühl, dass die Freude noch größer und das Publikum beim Zuhören und Mitmachen noch aufmerksamer ist als früher. Deshalb waren das wunderschöne Konzerte.
Euer jüngstes Album trägt den Titel "Persönlich". Darauf greifst du nicht nur die Pandemie in ein paar Texten auf, sondern beziehst in einem Lied etwa auch klar gegen Verschwörungsmythen Stellung. Sind dir die letzten Jahre also auch im wahrsten Sinne des Wortes "persönlich" nahegegangen?
Das zum einen. Zum anderen steckt darin aber auch ein Hinweis auf die Entstehungsart des Albums. Normalerweise stecken wir als Band immer die Köpfe zusammen und sind bei den Aufnahmen dicht beieinander. Ich habe einen Text, gehe mit ihm ins Studio und singe ihn vor. Wir sprechen darüber, ich freue mich, wenn alle den Text gut finden und arbeite weiter daran. Dieses Mal waren wir aber doch sehr getrennt, jeder in seinem Heimstudio.
Wie lief das konkret ab?
Die Jungs haben mir Songs zugeschickt, während ich ohne viel Feedback an den Texten gearbeitet habe. Am Ende war ich positiv überrascht, dass alle dann doch mit ihnen einverstanden waren. Auf keinen Fall wollte ich ein Album machen, von dem wir dann in zehn Jahren oder so sagen: "Das war unser Pandemie-Putin-Album." Natürlich musste sich das irgendwie niederschlagen. Aber so richtig aus dem Vollen schöpfen konnte ich eigentlich erst wieder, als ich das Gefühl hatte, dass irgendwann auch mal wieder andere Dinge wichtig werden. Weil ich darauf gewartet habe, hat es mit dem Album auch etwas länger gedauert.
Das Album ist im vergangenen November erschienen. Wahrscheinlich zu spät, um auch Songs davon im Musical einfließen zu lassen …
Nicht ganz! Martin Flohr durfte natürlich vor allen anderen schon mal in die neuen Sachen reinhören. Kleine Anklänge wird es geben.
Als es um die Songauswahl für das Musical ging, gab es sicher ein paar Pur-Klassiker, die gesetzt waren: "Ein graues Haar" zum Beispiel, "Lena" und natürlich "Abenteuerland". Gab es aber vielleicht auch ein paar weniger offensichtliche Songs, die auf deiner Wunschliste standen?
Ich musste da von mir aus gar nicht viel sagen. Martin Flohr hat ja die Story kreiert und musste die passenden Songs finden, um sie voranzutreiben. Außerdem kennt er sich mit Pur-Texten inzwischen besser aus als ich. Wir haben uns bei einem gemeinsamen Abendessen Text-Zitate um die Ohren gehauen und geraten, aus welchen Songs sie stammen. Da war er deutlich besser als ich. Jetzt sind natürlich schon auch ein paar Songs drin, die für mich bei einem Konzert nicht unbedingt an erster Stelle gestanden wären.
Zum Beispiel?
Nehmen wir etwa "Dass es dir leid tut" vom Album "Abenteuerland". Das ist schon ein guter Song, aber er findet erst in diesem Musical seine wahre Bestimmung. Da streitet Sohn mit Vater. In diesem Kontext erscheint der Song in einer völlig neuen Dimension, die ich so ursprünglich gar nicht im Hinterkopf hatte. Ich dachte dabei eher an zwei Freunde. Oder es gibt wie bei "Allein vor dem Spiegel" einen Perspektivwechsel. "Sie steht wieder allein vor dem Spiegel" - das habe ich aufgrund eines Briefes gesungen, den ich von einem weiblichen Fan bekommen habe. Jetzt kommen die Worte aus dem Mund der Darstellerin: "Und ich stehe wieder allein vor dem Spiegel …" Da läuft bei mir sofort der Tränen-Apparat an und ich habe das Gefühl: Ja, genau, so gehört es eigentlich.
Als du Anfang des Jahres bei "Verstehen Sie Spaß?" einen verhunzten Pur-Text singen solltest, hast du souverän reagiert und das abgelehnt. Das wird in dem Musical so natürlich nicht passieren. Aber trotzdem musst du dafür deine Songs und Texte auch loslassen. Wie schwer oder leicht fällt dir das?
Hier fällt es mir überhaupt nicht schwer. Ich habe von Anfang an gesagt: "Das ist nicht heilig." Und manchmal mussten Texte auch einfach angepasst werden, damit sie inhaltlich zum Stück passen. Damit habe ich gar kein Problem.
Bei den Castings haben sich rund 1100 Darstellerinnen und Darsteller beworben. 25 von ihnen wurden am Ende genommen. Bist du mit der Auswahl zufrieden?
Ja! Ich selbst war nach unserer Tournee tatsächlich nur an einem Casting-Tag dabei. Aber ich war echt geplättet, was die Bewerberinnen und Bewerber alles konnten. Ich kann sagen: "Being Hartmut Engler is my job." Also ich kann singen, aber ich muss nicht schauspielern. Da war es aber so, dass die unterschiedlichen Leute auch mal nach unterschiedlichen Regieanweisungen die Dinge mal so oder so vortrugen. Das war für mich echt total beeindruckend, denn das kann ich nicht. Ich war deshalb mehr am Staunen und habe eigentlich alles einfach nur abgenickt. Sie haben ohnehin die besten Leute ausgesucht.
Du hast schon erwähnt, dass ihr es gerade gut findet, dass es in der Story nicht um euch als Band geht. Warum eigentlich?
Weil wir nicht das Selbstvertrauen haben, dass sich die Geschichte einer schwäbischen Provinzcombo dafür eignen würde. Was hätte man da denn darstellen können? Ein paar Jungs im Probekeller, die wachsen und immer größer werden. Aber die Musik ist doch das Entscheidende, was wir gemacht haben. Bei ihr geht es nicht um unsere Privatleben oder darum, immer größer zu werden, sondern um die Geschichten von Freuden oder Menschen, die wir beobachtet haben. Geschichten, die einfach passiert sind. Das ist die Quintessenz unserer Arbeit und nicht unser ach so spannendes, dramatisches Privatleben.
Was das Privatleben angeht, giltst du doch als recht heimatverbunden mit Bietigheim-Bissingen. Auch die Arena auf Schalke hast du schon erwähnt, wo ihr regelmäßig mit euren Fans feiert. Wie erklärst du da bloß euren Anhängern, dass das Musical jetzt in Düsseldorf aufgeführt wird?
Da ich ja aus Schwaben komme, sehe ich Nordrhein-Westfalen als Quelle unserer Fans generell positiv. Mit dieser Konkurrenz habe ich nicht wirklich etwas am Hut. Darüber, dass wir in der Dortmunder Westfalenhalle zu besten Zeiten viermal hintereinander gespielt haben, freue ich mich genauso wie darüber, dass wir in der Kölner Lanxess-Arena oder auf Schalke ausverkaufte Konzerte geben. Wir haben da keine Berührungsängste und sind deshalb gerne dem Vorschlag gefolgt, als uns gesagt wurde, in Düsseldorf gebe es ein Gebäude, das perfekt geeignet und verfügbar ist.
Wenn man auf eure Band-Historie blickt, dann seid ihr seit inzwischen über 30 Jahren unglaublich erfolgreich. Trotzdem hat man den Eindruck, dass ihr oft vergessen werdet, wenn über die Speerspitze der deutschen Rock- und Popmusik gesprochen wird. Empfindest du das auch so?
Ich habe jedenfalls auch schon die eine oder andere Musik-Doku über erfolgreiche deutsche Bands gesehen und mich dabei die ganze Zeit gefragt, wo jetzt das Kapitel über uns bleibt. Aber warum das nicht kommt, muss man die Leute fragen, die solche Sachen anfertigen. Klar, die Zahlen und Facts zur deutschsprachigen Pop- und Rockmusik sprechen für uns. Es gibt uns über 40 Jahre und wir haben Anfang der 90er mit einem Livealbum unseren ersten Millionenseller gehabt. Ich glaube, seither sind wir fester Bestandteil der Kultur, aus der viele unserer Songs nicht mehr wegzudenken sind. Auch unser Partyhit-Mix ist ein ständiger Begleiter - ob man will oder nicht. (lacht)
Ist das Musical da jetzt auch ein bisschen Balsam für die Seele?

(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)
Auf der Suche nach Musik von Pur? Songs, Alben und Infos der Band gibt es auf RTL+ Musik.
Wir hoffen ja immer noch und haben auch das Gefühl, dass wir mal anders wahrgenommen werden. Und ja, das Musical trägt extrem dazu bei. Für uns ist es schon ein kleiner Ritterschlag, als erste deutschsprachige Band Gegenstand so einer Produktion zu sein. Man muss sehen: Musical ist nicht gleich Musical. Wir sprechen hier von einem wirklich großen Investment. Egal, ob es um das Arrangement, die Choreo oder die Regie geht, sind hier auch internationale Spitzenleute am Start, die bereits ganz tolle Sachen umgesetzt haben. Das ist keine Bietigheimer Provinzangelegenheit, sondern richtig fett.
Vorerst ist die Aufführung für fünf Monate angesetzt. Ist auch denkbar, dass das Musical in die Verlängerung oder sogar auf Tour geht?
Jetzt müssen wir erst einmal bekannt machen, was da überhaupt stattfindet. Das ist das Wichtigste. Aber wenn die fünf Monate gut laufen, wäre es ja dumm, nicht auch weiterzudenken. Damit beschäftigen wir uns aber erst, wenn es so weit sein sollte.
Mit Hartmut Engler von Pur sprach Volker Probst
Quelle: ntv.de