Marius Müller-Westernhagen, das Alphatier "Ich versuche mich voll hinzugeben"
08.10.2015, 16:11 Uhr
Liebt Schnitzel, die Bühne und seine Erfahrungen: MMW.
(Foto: picture alliance / dpa)
Über der Hauptstadt-Wirtschaft "Borchardt" in Berlin-Mitte sitzt Marius Müller-Westernhagen und begrüßt alle 20 Minuten einen neuen Medienvertreter, um Auskunft zu geben über seine bevorstehende Großtournee zum letztjährigen Album "Alphatier". Der bleibende Eindruck: Dieser 66 Jahre alte, vorzüglich gelaunte Rocker, wird auf seine älteren Tage irgendwie immer entspannter.
n-tv.de: Herr Müller-Westernhagen, wenn der kleine Hunger kommt, gehen Sie runter und essen ein Schnitzel?
Marius Müller-Westernhagen: Nee, die bringen was hoch. Ich rede mir hier den Mund fusselig, so viel Zeit, um ordentlich essen zu gehen, lässt man mir hier nicht (lacht).
Alle Welt will also mit ihnen über ihre bevorstehende Tournee sprechen?
Ja, das Feedback ist wirklich erstaunlich.
Sie wirken fast überrascht.
Nun ja, du weißt natürlich, ob du was Gutes gemacht hast oder nicht. Deswegen war es ja auch unser Wunsch, "Alphatier" zunächst im vergangenen Jahr per Clubtour komplett und zusammenhängend zu spielen.
Wann war Ihnen klar, dass Sie auch wieder in die großen Hallen wollen?
Das wurde uns während der Clubtour im vergangenen Jahr bewusst. Ich war richtig traurig, als die zu Ende ging, dachte "Mensch, warum können wir jetzt nicht weiterspielen?" Der Band ging es auch so. Die Chemie untereinander wird immer noch besser und intensiver. Außerdem wussten wir anfangs nicht, ob das Interesse der Leute groß genug ist für eine Arena-Tour.
Sie haben seit einem Jahr jetzt nicht gespielt. Leiden Sie schon unter Entzug?
Ich spiele wahnsinnig gerne. Doch ich bin zum Glück niemand, der diesen Applaus vermisst. Es ist einfach ein schönes Gefühl, auf der Bühne zu stehen und zu sehen, wie du Menschen bewegst. Ich liebe das, aber ich bin nicht süchtig danach. Ich würde mich genauso darüber freuen, eine Woche im Übungsraum zu spielen.
Auch ein Westernhagen muss also üben?
Logisch. Das geht nicht anders. Gerade jetzt mit der großen Produktion, so etwas musst du natürlich einstudieren. Das geht auch nicht von heute auf morgen, man entwickelt so eine Show im Laufe eines ganzen Jahres.
Der Laie denkt ja, ein Meister wie der Herr Westernhagen, der bequemt sich erst kurz vor Tourneebeginn dazu.
Das käme für mich nicht in Frage, das gibt es aber auch. Meine frühere Backgroundsängerin Della Miles hat mir erzählt, wie es damals mit Whitney Houston war. Die kam noch nicht einmal zu den Proben. Die Band sah Whitney das erste Mal beim Konzert, das muss man sich mal vorstellen. Bei mir würde das schon deshalb nicht funktionieren, weil die Beziehung zwischen meinen Musikern und mir eine Ensemblearbeit ist. Wir erarbeiten so eine Show wirklich sehr gemeinschaftlich.
Haben Sie dieselben Musiker dabei wie letztes Jahr?
Absolut. Das ist wirklich die Creme de la Creme. Ich freue mich, wie toll wir zusammengewachsen sind. Wir sind tierisch tight .
Können Sie schon sagen, wo die Schwerpunkte der Show liegen?
Ich lege sehr viel Wert auf die Reihenfolge der Songs, da ist es mir sehr wichtig, einen richtigen Bogen zu spannen. An der Setlist habe ich wochenlang getüftelt, das dauert ewig, weil du das Zeug wirklich gründlich durchhören musst um zu sehen, was gut aufeinander passt und was nicht. Das ist eine echte Fleißarbeit, bei der ich versucht habe, die Songs von "Alphatier", die ich spielen möchte, mit alten Nummern wie "Mit 18" oder "Sexy" sinnvoll zusammenzubauen. Aus Respekt den Leuten gegenüber gibt es natürlich ein paar von den alten Songs. Vornehmlich sind das solche Stücke, die ganz gut zusammen mit mir älter geworden sind.
Welche sind das?
Ich will auch nicht alles verraten (lacht).
Was sind für Sie die wesentlichen Unterschiede zwischen einem Konzert vor 1000 und einem vor 15.000 Menschen?
Im Club konzentriert es sich ganz auf die Leute, die da vorne spielen. Eine Arena-Tour geht mehr ins Multimediale. Die Videoleinwand und das Licht schaffen Räume, eine Szenerie, in der wir uns aufhalten.
Haben Sie ausschließlich eingeschworene Fans oder kommen noch neue Leute?
Speziell bei der Clubtour waren die Leute extrem aufmerksam und neugierig, das war überhaupt nicht so ein Gröl-Publikum, sondern hat mich an mein studentisches Publikum erinnert, das ich ganz früher zu Anfang einmal hatte. Ich würde sagen, das war ein sehr intelligentes Publikum, wobei der Pennebaker ("Keine Zeit"-Konzertfilmregisseur D.A. Pennebaker, d. Aut.) immer behauptet habe, das hätte ich sowieso (lacht).
Vielleicht gibt es ja auch ein intelligentes Gröl-Publikum.
Weiß ich nicht. Ich habe natürlich gerade in den Neunzigern auch Leute gehabt, die immer nur so "DICKEEE" brüllten, das bleibt bei so vielen Menschen nicht aus. Kann ja auch schön sein. Ich habe mich immer gefreut, dass so viele Altersgruppen und so viele Gesellschaftsschichten das gleiche empfinden bei meiner Musik.
Also sind denn auch ein paar Studenten von heute im Publikum?
Ja. Der Anteil der Jungen ist verhältnismäßig groß. Auch, was junge Mädchen angeht. Das ist schon erstaunlich und wundert mich sehr. Bei älteren internationalen Acts wie Eric Clapton ist das Publikum eine ganze Ecke älter als bei mir.
Soso, junge Mädchen. Kommen die, weil Sie sich so gut gehalten haben?
Ich weiß es nicht. Manchmal sind die sogar jünger als meine eigene Tochter, dann ist es ein wenig eigenartig (lacht). Aber wenn sie nur wegen der Musik kommen, ist das natürlich super.
Ihre Partnerin Lindiwe Suttle ist ja ebenfalls auf der Bühne und singt in Ihrer Band. Die wird schon aufpassen, dass die Mädels Ihnen nicht zu nahe kommen.
Davon gehe ich auch aus.
Sie erwähnten gerade Clapton. Absolvieren Sie oft Recherchebesuche bei anderen Kollegen?
Clapton habe ich zuletzt in London in der Royal Albert Hall gesehen. Ansonsten siehst du hier in Berlin viele Künstler, die du in anderen deutschen Städten nicht so oft siehst. Die Alabama Shakes habe ich mir zum Beispiel angeschaut, die finde ich ganz toll. Die richtig Großen gucke ich mir lieber in New York oder London an, einfach, weil ich da anonym bin.
Wie geht es Ihnen, wenn das Konzert zu Ende ist?
Dann bin ich alle. Ich spreche ja oft mit jungen Musikern, und ich sage denen immer, du kannst so eine Nähe zum Publikum nur herstellen, wenn du dahin gehst, wo es weh tut, wenn du echt Substanz abgibst. Das macht es dann natürlich auch anstrengend. Ich versuche, mich im Konzert völlig hinzugeben. Und hinterher bin ich einfach müde und platt.
Bett?
Massage, was Anständiges essen, Bett, ab dafür.
Also nix mit wildem Rock'n'Roll-Leben?
Nein. Das gibt es ja auch gar nicht mehr. Wenn du so eine Tournee durchstehen willst, musst du fast so fit sein wie ein Athlet. Gerade im fortgeschrittenen Alter. Aber das ist ja bei den ganz Großen inzwischen auch so. Auch ein Keith Richards ist seit vielen Jahren vernünftig, was den Lebenswandel angeht. Sonst stünde der nicht mehr auf der Bühne.
Sie sind ohnehin sehr gut in Form. Gehen Sie trotzdem vor der Tour ins Trainingslager?
Ja, vor der Tour gebe ich nochmal besonders Gas zusammen mit meinem Personal Trainer, der mich wirklich heftig rannimmt. Während der Tour ist aber nur wichtig, dass du genug schläfst und ausgeruht bist. Vielleicht gehe ich an freien tagen mal aufs Laufband oder mache ein paar Gewichte, aber das hängt davon ab, was der Körper mir sagt.
Sie sind 66 Jahre alt. Können Sie die Aussage des Kollegen Udo Jürgens bestätigen, dass das Leben nun anfängt?
Nein, es fängt nicht an, aber es geht weiter. Für mich ist diese Zahl auch vollkommen absurd. Weil ich mich nicht so empfinde, als wäre ich 66. Ich kann das gar nicht glauben. Ich habe ja Glück mit meinen Genen, alles funktioniert noch wunderbar.
Können Sie sich vorstellen, auf die alten Tage nochmal Vater zu werden?
Ja, warum denn nicht?
Ihr Lied "Freiheit" ist eine der großen Wiedervereinigungshymnen. Haben Sie kein Interesse, mit der Nummer vor dem Brandenburger Tor aufzutreten?
Ich halte mich da zurück, denn es ist ein schmaler Grat. Ich weiß, dass der Song für einige Leute, speziell für Leute, die geflohen sind, eine große Bedeutung hat, was mich auch sehr berührt. Aber ich will einfach nicht, dass dieser Song inflationär gehandelt wird. Denn es gibt Songs, die hat mal irgendjemand geschrieben, und die werden dann bei jeder Gelegenheit immer wieder dargeboten. Und bei diesen großen Feiern … also ich weiß nicht, ob ich da stehen und "Freiheit" singen muss. Vom Gefühl her ist mir da unwohl bei. Das erlangt dann auch so eine Wichtigkeit, die ich auch nicht haben möchte.
Ist Marius Müller-Westernhagen eigentlich auf Facebook und postet sein Schnitzel?
Nein, nein. Ich halte das für schrecklich. Erstens befriedigt es niedere Instinkte wie Narzissmus, Exhibitionismus und Voyeurismus, Hass, Neid, Diskreditierung und Diskriminierung. Und zweitens entmystifiziert das Internet dich als Künstler. Es nimmt dir das Geheimnis. Und das ist gar nicht gut.
Das Gespräch führte Steffen Rüth
Marius Müller-Westerhagens Tour startet am 8.10. in Hamburg und endet am 24.10. in Berlin
Quelle: ntv.de