Aus dem Wohnzimmer ins Stadion Philipp Poisel und die ganz großen Gefühle
20.02.2017, 19:06 Uhr
Der Motor, im Leben lebendig zu bleiben.
Wer träumt denn jetzt bitte noch den "American Dream"? Dass jeder, wenn er nur hart genug arbeitet, aufsteigen - und es bis zum Millionär bringen - kann im Land der unbegrenzten Möglichkeiten?! Der US-Wahlkampf und der neue Präsident haben da vieles verändert. Jetzt heißt es: Nur wer richtig haut, sticht und lügt kann es bis ganz nach oben schaffen in "God's own country". Tja, der amerikanische Traum mag den Bach runter gehen, und doch steckt in uns allen mehr Amerika, als so manchem lieb sein mag. Man muss da nur mal Philipp Poisel fragen, der sich als Kind regelmäßig mit den "Drei Fragezeichen" auf Abenteuer zum Rocky Beach begab, für den eine Coca Cola die beste Erfrischung war, und der mit Bruce Springsteen auf MTV die Straßen Philadelphias entlanggelaufen ist. Der Traum von diesem Amerika, der Sehnsucht nach Abenteuer, Freiheit und Weite bleibt für Poisel weiterhin lebendig. Für sein neues Album begab er sich daher mit seiner Band und dem Produzenten Frank Pils auf eine ganz persönliche Reise und Spurensuche in die USA. "Mein Amerika" entstand auf einer Analog-Bandmaschine in den legendären "Blackbird Studios" in Nashville/Tennessee.
Über seine intensive Gefühlswelt, die von seinen eigenen Erfahrungen zehrt - Seelenpein und Herzensnot nicht ausgeschlossen - spricht der sympathische 33-Jährige mit n-tv.de. Und so kommt am Ende doch immer wieder ein Ausblick zustande, der versöhnlich stimmt. Und neugierig macht auf die emotionalen Pirouetten, die ein Singer-Songwriter so hinlegen kann, ohne Gefühlssalat zu produzieren. Das Album lässt eine deutliche Entwicklung hörbar werden, denn Poisel hat seinen Songwriter-Stil in einen Bandsound verpackt, der reichlich Platz für seine Stimme bietet. Der leise Gesang der frühen Tage weicht an so mancher Stelle einem Sänger, der die großen Bühnen als Arena sucht. In Hamburg, Leipzig, München, Köln, Frankfurt, Berlin und anderen Städten wird Poisel ab Ende März seine Arena-Tour präsentieren.
n-tv.de: Ich sag' mal so: Meine Tochter und ihre beste Freundin beneiden mich gerade sehr, weil ich mit dir spreche.
Philipp Poisel: (lacht) Das freut mich irgendwie …
Wenn es einem gut geht, dann kann man deine Musik sehr entspannt hören, wenn es einem aber nicht so gut geht, dann ist das doch eigentlich immer wie noch ein Stich ins Herz: "Und hier, nimm dies, und noch einer", oder?
Musik ist etwas, das sich bei mir einfach so ergibt. Es ist wie eine Befreiung, manchmal sind es Träume, und manchmal versucht man, seine Zweifel mit jemandem zu teilen. Auch die traurigen Momente, das gehört ja dazu. Die Musik ist aber nur eine Facette meines Lebens, es gibt noch viele andere, und die finden vielleicht gar nicht so sehr den Weg in die Musik. Aber es ist schon immer emotional aufgeladen, stimmt schon.
Du bist ein Künstler, der Stimmungen wahrnimmt, auch die der anderen. Du bist also ein Umwandler ...
Ja, klar, im besten Falle ist das so!
Du wirst auf deiner Tour große Hallen bespielen, Arenen. Ist das nicht ein ganz schöner Akt, die Leute in der letzten Reihe zu erreichen? Dein Publikum ist ja mehr Nähe zu dir gewöhnt.
Ich habe da einen Heidenrespekt vor, aber ich wollte das gerne mal ausprobieren. Und ich dachte, wenn nicht jetzt, wann dann. Und außerdem gibt es sonst ja nur die Möglichkeit da zu spielen, wo wir schon aufgetreten sind, oder eben ganz groß. Mittelgroße Hallen gibt es gar nicht so viel.
Es beschäftigt mich aber sehr, das kannst du mir glauben, wie ich es schaffe, den Kontakt zu den Leuten herzustellen. Das ist mir total wichtig. Ich denke über eine B-Bühne nach, soviel kann ich ja schon mal verraten. Damit die Leute sagen können, dass sie mich auch wirklich gesehen haben, und nicht nur einen Punkt am Horizont.
Das ist sicher die Erwartungshaltung, die dir entgegengebracht wird. Denn deinen Fans ist die Musik ja sehr wichtig, sie wollen das spüren.
Das ist mein Anspruch, es muss diesen speziellen Moment zwischen dem Publikum und mir geben. Ganz so nah wie bei einem Wohnzimmerkonzert wird es wohl nicht werden (lacht), aber ich versuch' mein Bestes. Ich beschäftige mich echt damit. So eine Halle hat aber so viele Spielräume, die ich noch gar nicht kenne, Möglichkeiten, die ich noch nicht ausgenutzt habe. Das heißt ja nicht, dass ich keine kleineren Konzerte mehr geben werde. Ich will zwar alles, aber eine Mischung aus Wohnzimmer und Mercedes Benz Arena wär' mir am liebsten. Kreative Lösungen zu finden, zum Beispiel mit den Leuten, die das Licht machen, das ist auch eine Herausforderung, das hatte ich noch nicht.
Mein Amerika - aktueller kann's ja eigentlich nicht sein. Was ist dein Amerika, dieser Sehnsuchtsort?
Für mich ist es die Musik, und die Filme, von solchen Drehorten, die man meint zu kennen, dabei kennt man sie nur aus einem Film. Musik war für mich schon immer ein Ort, an dem ich Freiräume finde. Deswegen mag ich es auch gar nicht, diese aktuelle Brisanz der Politik, der Weltlage, mit meiner Musik zu vermischen. Der Fokus ist so krass da drauf, und trotzdem ist dieses Land es ja wert, dass es zum Beispiel bereist wird, weiter geliebt wird. Es kommen so viele Künstler von dort, an denen wir uns erfreuen, weil die sich jetzt äußern und man ihnen gerne zuhört.
Was kann man tun?
Es gibt diese Debatten auf Facebook oder anderen sozialen Netzwerken, wo alle sich irre aufregen, und danach gucken die Leute, sowohl die einen als auch die anderen, also meinetwegen Trump-Hasser und Trump-Befürworter, ein und dieselbe Serie aus Amerika an. Und oft bringt man das Land und diese Serie dann gar nicht auf einen Nenner. Wir sollten uns auch immer wieder fragen, wo denn jetzt die schönen Seiten an Amerika zu finden sind. Da leiste ich gerade jetzt gerne meinen Beitrag, um weiterhin sagen zu können, dass das das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist. Amerika hat mich zu vielem inspiriert, und viele andere auch, das sollte man jetzt nicht vergessen. Denn als Künstler träumt man sich weg, baut sich Märchenschlösser. Man ist aber auch ein politischer Mensch. Das ist natürlich ein großer Kontrast.
Man kann es ja manchmal schon nicht mehr hören, die Berichterstattung, die sich nur noch um Trump dreht, da sind andere Amerika-Themen tatsächlich auch mal sehr willkommen.
Wir wussten ja nicht, als wir das Album aufgenommen haben, wie sich die Lage in Amerika entwickeln wird. Die Ideen dazu sind ja viel älter.
Und woran denkst du als erstes, wenn du an Amerika denkst?
Ich hab' ein Gefühl, das ist so eine Weite. Das Gefühl der Freiheit. Ich habe so lange davon geträumt, diese Möglichkeiten zu haben, die ich jetzt habe. Ich muss aber noch ergänzen: Es haben ja auch so viele Leute nicht Trump gewählt, und diese Leute sind auch noch alle da, das sollte man nicht vergessen. Die Kontraste sind riesig, der Unterschied zu uns hier ist: Nach oben ist keine Grenze. (zögert) Nach unten aber auch nicht.
Wie meinst du das?
Ich habe mich mit einem Liftboy unterhalten, der so klischeemäßig davon träumt, Millionär zu werden. Und wer weiß, warum auch nicht. Amerika ist für mich so eine Melange aus vielem: Zum einem das Amerika, über das ein Adler fliegt, der sich frei fühlt, dann das Amerika aus meiner Kindheit, mit Serien wie "Knight Rider" und so. Das war immer das Land, wo aufregende Dinge passieren. Wo alles herkommt, was hip ist. Wo Künstler, Megastars, krasse Leute sind, Leute, die die Köpfe voller Ideen haben.
England, Frankreich, das hat dich nicht so inspiriert?
Ich war jetzt gerade das erste Mal in Amerika, ich habe mir sehr viel Zeit gelassen, könnte man sagen. Und ich habe davor so ziemlich alle Länder in Europa bereist, also fast alle. Habe dort viel Straßenmusik gemacht. Amerika war immer ganz weit weg. Dieses Gefühl ist näher gerückt, als ich Erfolg hatte. Da sind manche Dinge in den Bereich des Möglichen gekommen für mich.
Wenn man von etwas viel geträumt hat, kann man ja aber auch so richtig enttäuscht werden, oder?
Ja, ich dachte zwischendurch mal, will ich das überhaupt noch, und ich habe schon gemerkt, dass ich das echte Amerika und meine Träume nicht vergleichen oder vermischen darf, aber meine Erfahrungen sind letztendlich gut gewesen. Und es hat neue Träume erweckt. Auf dem Weg nach Nashville dachte ich: "Jetzt einen Wohnwagen mieten und nach San Francisco fahren, das wär's!!"
Dieser Hype um Nashville - erzähl' mal ein bisschen von dort, vom Spirit …
Das ist vielleicht anders, als man erwartet hätte, aber man findet eben auch Dinge, von denen man nie gedacht hätte, dass man sie dort findet. Als wir zurück waren, haben wir jedenfalls immer gesagt beim Proben: Kommt, lasst es uns Nashville-mäßig spielen. Es verändert einen, wenn man dort war: Früher hätte ich so getan wie einer, der aus Nashville kommt, jetzt bin ich mit der Band wirklich dort gewesen! Wir haben diese Erfahrungen geteilt und können uns nun damit identifizieren. Das ist ein Gefühl, das wir gespürt haben.
Willst du mal auf Englisch singen?
Ja, dann kann man auch weiter weg auf Tour gehen (lacht). Aber das steht in den Sternen. Mit dem Gedanken zu spielen ist jedoch schön. Das wäre sicher aber andere Musik, als die, die ich jetzt mache.
Deutsch außerhalb Deutschlands zu singen bleibt nach wie vor schwer, oder?
Auf jeden Fall.
Wo ist dein Lieblings-Amerika - ist ja doch recht groß und unterschiedlich.
Das kann ich noch gar nicht sagen. Ich werde ja wieder hinfliegen. Das ist das Schöne an Amerika, es ist dermaßen vielfältig, dass man nicht von "einem Amerika" sprechen kann.
"Roman" heißt ein Song auf dem Album: kannst du dir vorstellen, ein Buch zu schreiben?
Ja, das ist eine tolle Idee. Man kann sich in einem Roman verlieren, eintauchen, nachmittagelang. Diese Tiefe ist schön. Mich fasziniert, wenn man einen guten Roman liest, dass man gar nicht möchte, dass er aufhört.
Woher kommt diese Sehnsucht in deiner Stimme?
Keine Ahnung. (zögert) Schwierige Frage, ich spüre das dann, die trag' ich wohl in mir, die Sehnsucht.
Ein Kommentar unter einem Video auf Youtube ist: "Wie kann man nur so punktgenau ins Herz treffen??" Das würde mich auch interessieren ...
Ich habe gute Fans (lacht). Weil die sowas schreiben. Dass man mich auf Youtube sehen kann ist überhaupt ein langer Prozess, weil ich doch eigentlich schüchtern bin und früher nur leise am Lagerfeuer gespielt habe. Aber durch dieses positive Feedback konnte ich so viel Vertrauen entwickeln, das ist enorm. Und dann traue ich mich jetzt viel mehr.
Ist man woanders jemand anders?
Man kann es eine Zeitlang mal versuchen. Aber es ist nur ein Urlaub. Der eine ist länger als der andere, aber letztendlich ist es eine Illusion. Auch wenn man endlich mal dazu kommt, Dinge auszuprobieren, die man zu Hause nie machen würde. Das ist ein Motor, im Leben lebendig zu bleiben. Ich denke jedenfalls noch weiter über den Roman nach. Ich male aber auch gern (lacht).
Mit Philipp Poisel sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de