Max Giesinger im Interview Über das "Giesingerische Emotionszentrum"
15.11.2021, 15:55 Uhr
Kann seit Corona kochen - zumindest ein bisschen: Max Giesinger.
Nach seiner Teilnahme bei "The Voice of Germany" erobert Max Giesinger im Jahr 2016 mit "80 Millionen" und "Wenn sie tanzt" die deutschen Single-Charts. Nun meldet sich der Sänger mit seinem vierten Studioalbum zurück. Mit ntv.de spricht der 33-Jährige über seine Selbstreflexion während des Corona-Lockdowns, Social Media und über "Vier" - die Platte, die "bisher am nächsten am Giesingerischen Emotionszentrum dran ist".
Seit deiner Teilnahme bei "The Voice of Germany" im Jahr 2014 hat sich einiges bei dir getan. Du hast gerade dein viertes Album - "Vier" - herausgebracht!
Ja! Und ich war mir damals gar nicht sicher, ob ich da wirklich hinfahren soll. Für mich gab es nie eine andere Option, als Musiker zu werden und damit Erfolg zu haben. Castingshows hatten damals einen schlechten Ruf und ich hatte Schiss, dass ich mir damit etwas verbaue. Auf der anderen Seite war ich unfassbar ungeduldig. Ich dachte mir: Mit 22 Jahren bist du schon ganz schön alt, Justin Bieber ist jetzt schon mit 15 bekannt, jetzt musst du mal ein bisschen Power reinkriegen.
Aber du bereust es nicht?
Im Nachhinein glaube ich schon, dass es ein cleverer Move war. Ich hatte damals gerade eine Bankausbildung angefangen und schon nach zwei Wochen gemerkt, dass das null Komma null mein Ding ist. Aber ich bin so ein Harmonie-Typ, ich kann Leuten super schlecht absagen, deswegen hätte ich ohne "The Voice" die Ausbildung wahrscheinlich durchgezogen, um es allen recht zu machen. Aber dann bin ich in der Show zum Glück so weit gekommen, dass ich gar keine Zeit mehr für die Bank hatte.
Wären Finanzen ansonsten dein Ding gewesen?
Nee, das kam mehr so von zu Hause - "Lern mal was Ordentliches, danach kannst du immer noch Musiker werden". Das meinte auch eine Bank-Chefin: "Machen Sie erstmal Ihre Ausbildung, zu Castings können Sie danach auch noch." Aber zwei Jahre sind schon eine lange Zeit. Ich will Leuten jetzt nicht raten, Dinge grundlos abzubrechen, vor allem, wenn man schon viel Zeit und Mühe investiert hat. Oft lohnt es sich gerade, dranzubleiben, sei es im Job, in der Beziehung oder sonst wo. Ich habe aber damals gespürt, dass die Bank nicht der richtige Ort für mich ist und dass ich alles in die Musik investieren muss.
Du hast also deine Ausbildung abgebrochen und dein erstes Album durch Crowdfunding finanziert. Hättest du gedacht, dass du einmal so viel Erfolg mit deiner Musik haben würdest?
Ich habe mir auf jeden Fall nichts sehnlicher gewünscht, seit ich ein Kind war. Nach der Show hatte ich aber die ein oder andere Absage von großen Labels und die Befürchtung, dass es ziemlich schwer werden wird, da noch etwas an den Start zu bringen. Aber ich bin trotzdem drangeblieben und hatte trotz der Zweifel irgendwie das Gefühl, dass ich das Zeug dazu hätte. Dass ich Leute begeistern kann, wenn ich die richtigen Songs habe und dass die Bühne mein Terrain ist. Sonst kann man das auch nicht so lange machen. Bevor der Erfolg kam, habe ich das ja schon 27 Jahre lang durchgezogen, ohne dass etwas Nennenswertes abging.
Woran hat's gelegen?
Ich musste solche Absagen erstmal verdauen, die auch viel damit zu tun hatten, dass ich diesen Castingshow-Background hatte und es super selten vorkommt, dass einem danach eine neue Chance geboten wird und man erfolgreich ist. Damals waren tatsächlich schon "80 Millionen" und "Wenn sie tanzt" draußen, die ganzen Hits, aber niemand hat daran geglaubt. Im Nachhinein ist es aber gut, dass es nicht so schnell ging, jetzt kann ich es umso mehr wertschätzen.
Und gelingt dir das? Oder was hast du gefühlt, als dein Traum, auf den du so lange hingearbeitet hattest, erfüllt wurde?
2016 war das krasseste Jahr ever in meinem Leben, ein Endorphin-Level hoch Tausend - nur um dann zu merken: Jetzt machst du das schon ein Jahr, aber hast nicht mehr das Glücksniveau von vor einem Jahr. Man gewöhnt sich irgendwie daran und hat das Gefühl, dass man mehr und noch mehr Erfolg braucht. Dann überlegt man sich: Wenn mein großer Lebenstraum in Erfüllung gegangen ist und ich trotzdem nicht nachhaltig der glücklichste Mensch auf Erden bin, dann muss die Reise ja auch noch irgendwo anders hingehen. Und dann beschäftigt man sich: Woher kommt das, dass ich so krass erfolgreich sein und vor Zehntausenden Leuten auftreten möchte? Fehlt mir vielleicht was an Selbstliebe? Da checkt man erst, dass es eigentlich nicht darum gehen darf, immer mehr zu wollen, sondern dass weniger auch mehr ist. Es macht mich glücklicher, vor Tausend Leuten zu spielen, wenn ich weniger Druck habe und ich entspannter bin. Ich glaube, fast alle Künstler kommen früher oder später an diesen Punkt. Da entscheidet sich dann, ob man den Weg der Selbstreflexion geht und sich seinen kleinen Dämönchen stellt oder ob man lieber abends an die Hotelbar geht. Gut, man kann auch beides kombinieren.
Und kombinierst du beides?
Nö, ich bin eher der healthy Dude. Also, ich bin schon gerne mit Leuten unterwegs und nehme den ein oder anderen Drink, aber ich denke schon nach zwei Tagen, wenn ich getrunken habe, dass ich ein Alkoholproblem habe. Ich war da schon immer so vorsichtig, dass ich eher in die Konfrontation gehe und sechs Wochen alleine in Thailand bin und nur gesunde Sachen mache.
Jetzt im Lockdown warst du sicherlich auch viel alleine. Du hast sogar angefangen zu kochen. Wie hast du dich vorher ernährt, hast du alles bestellt?
Nee, die Essens-Apps habe ich auch erst seit einem Jahr. Davor bin ich immer rausgegangen, morgens, mittags, abends. Nicht so Schicki-Micki-Essen, mal hier zum Inder und da zum Asiaten. Aber im Lockdown habe ich endlich angefangen, richtig zu kochen, was ich mir schon lange vorgenommen hatte, aber wegen des vielen Unterwegsseins nie richtig anpacken konnte. Ich kann jetzt 'ne ganz gute Scampi e Spinaci machen, 'ne ordentliche Pilzpasta und Ofengemüse, auch wenn das vielleicht für viele nichts allzu Besonderes ist. Zu der Zeit hatte ich noch nicht gecheckt, dass man sich über Lieferando was bestellen kann. Ich bin immer der Letzte, der sowas mitbekommt, auch WhatsApp und so, ich bin bei digitalen Sachen nicht so fortschrittlich. Und habe trotzdem überlebt!
Noch ...
Ich habe einfach grundsätzlich das Gefühl, dass viele Apps dich daran hindern, im Hier und Jetzt zu sein. Und viele dieser Apps verleiten dich zum Selbstdarstellungszwang. Ich glaube nicht, dass das in Richtung Glück führt. Das hat eher was von Sucht, ähnlich wie bei Drogen. Für alle umsonst und wie ein Dopaminschub, wenn du ein paar Likes bekommen hast. Und wenn du keine bekommst, bist du traurig. Ich habe nicht das Gefühl, dass Social Media wirklich zu einer besseren Gesellschaft beiträgt.
Inwiefern?
Ich glaube, dass sich die Gesellschaft dadurch politisch eher entfremdet, dass sich viel mehr aufspaltet in verschiedene Extreme. Die Leute, die schon irgendeine Meinung geformt haben, klicken auf ein paar Beiträge, die Facebook-Algorithmen speichern sich das und schicken dir nur irgendwelche Verschwörungssachen und irgendwann bist du in einer Bubble und kommst nicht mehr raus.
Kümmerst du dich selbst um deine Social-Media-Kanäle oder machen das andere Leute für dich?
Wir haben das mal für zwei Monate ausprobiert, aber man checkt das sofort, wenn ich das nicht selber mache. Manchmal habe ich Tage, an denen es mir Spaß macht, etwas zu teilen, aber dann auch ganz viele, an denen es keinen Spaß macht. Aber wenn ich etwas poste, dann muss es mein Wortlaut sein.
Lass uns mal über dein neues Album sprechen. Ist "Vier" auch im Lockdown und im Zuge deiner Selbstreflexion entstanden?
Ja, ich habe versucht, mir eine relativ entspannte Zeit zu machen. Ich war, so lange es ging, in Portugal, bin gesurft, habe Yoga gemacht und ein paar Ideen aufgenommen. Davor war ich in der Eifel und habe in einer Hütte mit Songwriting-Buddies von mir geschrieben. Das war sehr chillig, mitten in der Natur mit einer kleinen Ziegenherde, die ich jeden Morgen gestreichelt habe und die immer in unser Wohnzimmer reingeguckt hat. Und in dieser Atmosphäre kamen viele Themen auf ganz natürliche Weise raus, die schon lange unterschwellig da waren: Prägungen aus der Kindheit; meine Oma, die sich immer so aufgeopfert hat und selber nur dreimal im Bayrischen Wald war, und die ich jetzt so mit mir trage. Der Song "In meinen Gedanken" ist sozusagen eine Ode an meine Oma.
Wie hat sie reagiert, als du ihr das Lied vorgespielt hast?
Das war so unverhofft, dass sie gar nicht wusste, was da gerade passiert. Sie steht so selten im Mittelpunkt und ist jemand, der immer alles für andere macht und dafür keinen Credit will. Sie hat erst ein paar Wochen später verstanden, was der Song für eine Tragweite hat, als er rausgekommen ist. Sie war sehr berührt.
War sie eine Bezugsperson in deiner Kindheit?
Ich war die Hälfte der Zeit bei ihr, meine Eltern waren getrennt, meine Mutter hat gearbeitet. Sie war wie eine zweite Mutti und hat sich ganz lieb um mich gekümmert.
Zusammenfassend kann man sagen, dass dir der Lockdown ganz gutgetan hat, oder?
Dass diese Handbremse von außen gezogen wurde, hatte für mich nicht unbedingt nur schlechte Auswirkungen. Tatsächlich hat sie mir etwas von dieser Grundanspannung genommen, die ich oft spüre. Ich habe die Zeit genutzt, um einen Reset zu machen und zu gucken, was dabei herauskommt. Mir Gedanken darüber zu machen, was wirklich wichtig ist, was ich brauche und was ich nicht brauche. Und ob ich nicht schon mega-viel von dem, was ich brauche, irgendwie in mir habe. Ich hatte einen Moment letztes Jahr, bei dem mir das mega-bewusst wurde. Da war ich auf Bali in einem wirklich wunderschönen Restaurant am Strand und um mich herum waren nur Leute, die damit beschäftigt waren, Boomerangs zu machen und diese dann noch stundenlang zu bearbeiten. Und ich dachte: Ey, ihr seid überall, aber nicht hier. Dieser Fokus auf das Außen und das Vergleichen mit anderen hindert einen komplett daran, den Moment wirklich zu genießen. Im Song "Das Wunder sind wir" geht es genau darum: Sich darauf zu besinnen, was man eigentlich schon in sich hat, um sich das Jetzt gut zu machen.
Wenn du "Vier" in einem Satz beschreiben müsstest ...
Beste Platte, die ich jemals gemacht habe! Oder: Die Platte, die bisher am nächsten am Giesingerischen Emotionszentrum dran ist. Geil, ne?
Mit Max Giesinger sprach Linn Penkert
"Vier" ist ab sofort überall erhältlich.
Quelle: ntv.de