
(Foto: HR/Degeto/Bettina Müller)
Nach fast drei Monaten kommt die Lieblingskrimiserie der Deutschen aus der langen Sommerpause. Den hohen Erwartungshaltungen zum Trotz entscheidet sich das Erste für einen eher ungewöhnlichen Ansatz. Ob das funktionieren kann?
Abgeschnittene Finger stehen bei Entführern seit jeher hoch im Kurs: Sie sollen den Angehörigen einerseits beweisen, dass der Vermisste nicht nur Zigaretten holen gegangen ist und vermitteln andererseits ein unschlagbares Gefühl von Dringlichkeit. Nun ist das Abschneiden von Fingern naturgemäß auch eine ziemlich blutige und ganz allgemein eher unappetitliche Angelegenheit - und steht deswegen wahrscheinlich selbst bei den meisten Entführern nicht ganz oben auf der Liste der Lieblingsaktivitäten.
Auf die Hundebande, die Millionärssohn Frederick Seibold (Helgi Schmid) ganz standesgemäß vom Golfplatz wegschnappt, trifft das jedenfalls zu: Anstelle von Fredericks Fingern verschicken die Entführer die Griffel ihres Golden-Retriever-Komplizen, nachdem der bei der Entführung unglücklich und ziemlich tödlich in einen Jägerzaun gestürzt ist. Tags darauf bringt Fredericks Ex-Frau Bille Kerbel (Britta Hammelstein) einen der Finger in einer praktischen grünen Tupperbox - inklusive Verwechslung mit den Pausenmöhren des gemeinsamen Kindes - mit aufs Revier der Frankfurter Kommissare Brix (Wolfram Koch) und Janneke (Margarita Broich), der andere landet in der Post des Vaters. Blöd nur, dass das mit der Dringlichkeit in Fredericks Fall nicht so gut zu funktionieren scheint: Vater Konrad Seibold (Bernhard Schütz) jedenfalls glaubt, dass der Sohnemann seine Entführung selbst inszeniert hat.
Kater Caligula
Die Einleitung verrät es bereits: "Wer zögert, ist tot" ist kein Krimi, der sich allzu ernst nimmt. Vielmehr möchte dieser "Tatort" zum Saisonauftakt mit Absurditäten, mehr oder weniger hintergründigen Witzen und einer ordentlichen Portion Slapstick punkten. Ob das auch funktioniert, hängt maßgeblich von der Erwartungshaltung und Offenheit der Zuschauer ab: Die teils massiv überzeichneten Charaktere sind in sich schlüssig, aber sicherlich nicht jedermanns Geschmack.
Die Männer, soviel zum apropos, kommen in dem Streifen übrigens durch die Bank schlecht weg: Vom verwöhnten Hipster-Spross mit sadistischen Tendenzen über den schwer narzisstischen Vater (der nur seinen Kater mit dem bezeichnenden Namen Caligula liebt) bis hin zu mansplainenden Kommissaren ist alles dabei. Kein Wunder, dass die Mitglieder eines Kickbox-Clubs für Frauen, zu dem die Spur schließlich führt, ihre eigenen Schlüsse aus der verfahrenen Situation ziehen.
Drehbuchautorin und Regisseurin in Personalunion Petra Lüschow hat eine ganze Menge in diese ersten 90 "Tatort"-Minuten der Saison gepackt: Sogar für Liebhaber feministischer Sujets und absurder Fälle dürfte das an einigen Stellen zu viel des Guten sein. Aufgefangen wird das Ganze dafür durch den tollen Cast: Christina Große, Britta Hammelstein und Tala al Deen (das Entführertrio) sollte man direkt als deutsche Version von "Drei Engel für Charly" (ohne Charlie, versteht sich) verpflichten - und Bernhard Schütz spielt den misanthropen Anwalt ganz hinreißen. Am Ende des Tages aber kann "Wer zögert, ist tot" kaum die hohen Ansprüche erfüllen, die man von einem "Tatort"-Saisonauftakt erwarten würde.
Quelle: ntv.de