Mode-Entgleisungen und Techno-Beats 20 Jahre Love Parade
30.06.2009, 10:31 UhrTrillerpfeife im Mund, Sonnenblume im Haar und Bauarbeiter-Weste am durchtrainierten Leib - über die Attribute der Love-Parade-Jünger heißt es in der Szene heute entsetzt: "Geht gar nicht!" Doch 20 Jahre nach der ersten Love Parade in Berlin bekennen sich immer noch regelmäßig Hunderttausende Jugendliche zu solch modischen Entgleisungen. Die wummernden, treibenden Beats der heutigen Techno-Spielarten trieben im vergangenen Jahr bis zu 1,6 Millionen Raver zum Tanzen und Zucken auf ein abgesperrtes Stück Schnellstraße in Dortmund.

In diesem Jahr wird die Love Parade zum dritten Mal seit ihrem Bestehen nicht stattfinden.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Im Jubiläumsjahr aber wird die riesige Open-Air-Party zum dritten Mal in ihrer Geschichte nicht steigen. Die Stadt Bochum - als Austragungsort 2009 auserkoren - sagte aus Platz- und Sicherheitsgründen ab. Parade-Gründer DJ Dr. Motte (alias Matthias Roeingh) lässt das kalt. "Emotional habe ich mit der Love Parade abgeschlossen", sagt er. Der Raver allererster Stunde hat allerdings schon Ideen für eine neue Techno-Parade im Kopf.
"Wir waren alle ziemlich blauäugig"
Am 1. Juli 1989 trommelte Dr. Motte auf dem Berliner Kurfürstendamm Fans von elektronischer Musik zur ersten Love Parade zusammen - unter dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" war der Zug als offizielle Demonstration angemeldet. "Damals waren wir etwa 150 Leute und wir waren alle ziemlich blauäugig. Wir standen im Nieselregen am Wittenbergplatz, dann kam die Polizei und forderte uns auf, endlich mal loszulegen", erzählt Dr. Motte. "Wenn ich zurückdenke, dann denke ich an fünf Stunden Gänsehaut - mit der Musik, mit der wir mit drei kleinen Wägelchen über den Kudamm gefahren sind."
Seine Vision von einer friedlichen Weltrevolution durch seine Tanzgemeinde sah Dr. Motte aber davondriften, als das Techno- Spektakel mit explodierenden Teilnehmerzahlen im Laufe der Jahre immer kommerzieller wurde und seiner Ansicht nach zur "Dauerwerbesendung" verkam. Schon vor dem Umzug der Parade ins Ruhrgebiet im Jahr 2007 - veranstaltet vom Geschäftsführer einer Fitnessstudio-Kette und unterstützt von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Metropoleruhr - war Motte nicht mehr im Organisationsteam dabei.
Dr. Motte plant eine neue Parade
Zurzeit denkt der DJ darüber nach, eine neue Parade mit elektronischer Musik ins Leben zu rufen. "Ich bin schon locker dabei, das Projekt anzugehen. Es laufen vereinzelt Vorgespräche. Man muss mit der Clubkultur reden, der Wirtschaft und der Politik", sagt er. Auch Berlin sei als Austragungsort durchaus denkbar. "Meine Vision war es, meine Ziele positiv zu formulieren. Frieden stand für Abrüstung, Freude für die Musik als neues Medium der Verständigung und Eierkuchen für die gerechte Nahrungsmittelverteilung auf der Welt", erklärt der DJ. "Das ist alles auch heute noch aktuell. Und Musik spricht alle Sprachen und überwindet alle Grenzen."
Die Berliner hatten nach den Techno-Paraden in ihrem größten innerstädtischen Park, dem Tiergarten, jeden Sommer Berge von Müll zu überwinden. Naturschützer schlugen Alarm, weil der Urin Hunderttausender, spätestens gegen Abend angetrunkener Tänzer den Boden im Park auf Dauer übersäuerte und die kilometerweit zu spürenden Basswellen der Musik die Vögel vertrieben. 2001 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die Parade keine politische Demonstration mehr, sondern eine kommerzielle Veranstaltung ist.
Eingezäunter Tiergarten
Je mehr Besucher aus dem In- und Ausland der stets erstaunlich friedlich ablaufende "weltweite Feiertag der elektronischen Tanzmusik" nach Berlin zog, desto schwieriger wurde die Logistik und umso lauter der jährliche Krach der Veranstalter mit dem Bezirk Tiergarten. Am Ende wurde ein Zaun um den Tiergarten gezogen. 2002 gab es einen Besuchereinbruch - nur noch etwa 600.000 kamen. 2004 und 2005 fiel die Parade mangels Sponsoren aus.
Ein Jahr später feierte die Parade ihr Comeback mit neuem Veranstalter, der die Raver schließlich von Berlin ins Ruhrgebiet mitzog. Dort soll der Tanz um die Lautsprecherwagen im nächsten Jahr in Duisburg weitergehen, wie es bei der Fitnessstudio-Kette heißt. Und die einstigen Protagonisten der Szene wie Westbam, Paul van Dyk oder Marusha mit den damals schrillen grünen Augenbrauen? "Die machen alle weiter Musik!", sagt Motte.
Quelle: ntv.de, Elke Vogel, dpa